fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 1/2014

Die Masse machts möglich

Crowdfunding und Crowdsourcing lösen reale Verkehrsprobleme durch virtuelle Vernetzung.

Foto: we are trafficPer Crowdfunding finanziert: Zwei Hamburger Jungs produzieren einen Fotoband über Radfahrer ihrer Stadt.

Crowdfunding funktioniert so: Viele zahlen einen kleinen Betrag und finanzieren gemeinsam ein großes Projekt. Auf Internetplattformen wie kickstarter.com (international) oder startnext.de (deutsch), um die beiden bekanntesten zu nennen, versuchen Kreative, Erfinder und Unternehmer ihre Mitmenschen mit Videopräsentationen von ihren Projekten zu überzeugen und mit Prämien zu locken.
Ein Beispiel aus Hamburg: Die beiden Fotografen Björn Lexius und Till Gläser betreiben gemeinsam das Blog wearetraffic.de. Dort stellen sie ihre Porträts von Hamburger Radfahrerinnen und Radfahrern vor. Sie wollen zeigen: Radfahrer gehören genauso zum Straßen­­­verkehr wie Autos. Ihr Crowdfunding-Wunsch war, die schönsten Fotos in einem gedruckten Fotoband zu veröffentlichen. Die benötigte Geldsumme: 15000 Euro. Vom 16. Januar bis zum 15. April 2013 fanden sich 392 Menschen, die zwischen zwei und 500 Euro für das Projekt zahlen wollten. Gesamtsumme: 15551 Euro – Mission geglückt.

Je nach Höhe des investierten Betrags erhält man beim Crowdfunding verschiedene Dankeschöns. Lexius und Gläser boten zum Beispiel für fünf Euro eine namentliche Erwähnung auf der Website, für 15 ein Poster. Den fertigen Bildband bekommt, wer 40 Euro gespendet hat. Ein Sponsor hat sich sogar mit 500 Euro beteiligt und bekommt dafür ein Einzelcoaching in Sachen Fotografie.

Viel mehr als Subskription

Schon im 18. Jahrhundert ließen sich Verlage Buchdrucke durch Subskription vorfinanzieren. Neu ist, dass jeder ein Projekt verwirklichen kann, unabhängig von Verlagen und Firmen. Die digitale Vernetzung ermöglicht, dass Frau Müller und Herr Meier aus Deutschland eine gute Idee aus Südamerika nicht nur entdecken, sondern auch per Mausklick mit ermöglichen können. Die Crowd, also die Menge, der „Schwarm“, finanziert nicht nur Bücher, sondern auch Filme, Musik-alben, technische Geräte, Software, Ausstellungen und Events.

Foto: FlyKlyDer Gründer von FlyKly geht mit dem Smart-Rad in Serie – einem Hinterrad mit Elektromotor.

Weltweit Aufsehen erregte das FlyKly-Smartwheel – ein Hinterrad, das gewöhnliche Fahrräder in Elektrobikes verwandelt. 100000 Dollar wollte FlyKly, ein Start-up aus New York, auf Kickstarter einsammeln. Nach 40 Funding-Tagen im Herbst 2013 hatte das Unternehmen die siebenfache Summe zusammen.

2358 Menschen beteiligten sich – manche mit nur einem Dollar, Hunderte gaben 59 Dollar – mit einer Fahrradlampe als Dankeschön. Ungefähr 1000 Menschen – vor allem aus den USA, aber auch viele aus Europa – schossen je 590 Dollar, etwa 430 Euro, vor. Sie bekommen im Frühjahr ein Smartwheel geliefert.

Gleich ein ganz neues Verkehrsmittel hat ein Team aus Dresden erfunden. Der „Scrooser“ ist ein Tretroller mit Elektromotor im Harley-Davidson-Look. Hochwertig, aber mit 3500 Euro auch hochpreisig. Trotzdem haben sich letztes Jahr 38 Crowdfunder die ersten „Scrooser“ gesichert. Insgesamt haben mehr als 200 Menschen die Idee auf Startnext unterstützt und den Dresdnern knapp 140000 Euro für die Produktionsphase beschert.

Fotos: HerstellerDer Hammerhead (l.) weist Radfahrern sicher den Weg. Ein Dresdner Team hat den Scrooser (r.) erfunden

An den Kopf eines Hammerhais erinnert das T-förmige Fahrrad-Navi mit sozialer Komponente. Deshalb haben es seine Designer aus New York „Hammerhead“ getauft. Er funktioniert ohne Text und Karten ganz plakativ mit LEDs. Blaue Lichter weisen die Richtung. Rote sollen sogar vor Hindernissen auf der Fahrbahn warnen. Über eine App gibt man das Ziel ein, erhält Informationen über die Strecke und kann seine Touren mit anderen Nutzern teilen. Das Navi kostet etwa 80 Dollar. Es wurde über die amerikanische Crowdfunding-Plattform dragoninnovation.com finanziert.

Foto: HerstellerLock8“ ist ein Radschloss mit Alarmfunktion und einer App, über die man sein Rad zum Beispiel vermieten kann.

Eine weitere nützliche Fahrrad-Spielerei kommt aus Großbritannien. „Lock8“ ist ein Fahrradschloss mit Alarmfunktion, ermöglicht per Kickstarter. Es wird schlüssellos per Handy verriegelt. Macht sich jemand am Fahrrad zu schaffen, ertönt dank Temperatur- und Bewegungssensor ein schriller Alarm. Sollte ein Dieb trotzdem erfolgreich sein, kann der Besitzer sein Fahrrad per GPS-Signal orten. Die App macht es außerdem möglich, das Rad ohne Schlüssel, per Code zu verleihen – inklusive Buchen und Bezahlen. Bike-Sharing mit „Lock8“.

Eine Goldesel-Garantie gibt es für Crowdfunding-Projekte allerdings nicht: Nur jedes zweite Projekt schließt erfolgreich ab. Für die Entwicklung der App „Straßensheriff“ beispielsweise – ein Programm für Smartphones, das Gehwegparker auf ihr Vergehen hinweisen oder sie gar anzeigen sollte – gab es nicht genug Geldgeber. Statt mindestens 33000 kamen nur 11000 Euro zusammen. „Aufruf zum Denunziantentum“ oder „Petzen per Smartphone“ lautete die Kritik im Netz und in den klassischen Medien. Die 156 Unterstützer bekommen ihr Geld jetzt zurück.
Erreicht ein Crowdfunding-Projekt die Finanzierungsziele nicht, wird das eingegangene Geld von einem Treuhand-Konto zurücküberwiesen. Gestorben ist die Straßensheriff-Idee aber nicht. Initiator Heinrich Strößenreuther hat einen Plan B. Die App kommt voraussichtlich im März auf den Markt – abgespeckt, mithilfe von Kooperationen und teils aus eigenen Ersparnissen finanziert.

Die Crowd kann fast alles

Der Trend zum Teilen und Beteiligen hilft nicht nur beim Geldsammeln für Projekte. Die Crowd kann fast alles und das meist auch noch schnell und günstig. Deshalb wird sie auch bei der Erhebung von Daten eingespannt – wie jüngst vom Berliner Senat. Abbiegende Autos und Lkw sind in der Hauptstadt das größte Risiko für Radfahrer. Um die Zahl der Unfälle zu senken, rief Berlin seine Radlerinnen und Radler zur Mithilfe auf. Auf der Internetseite radsicherheit.berlin.de konnte jeder Ende vergangenen Jahres gefährliche Kreuzungen melden.

Insgesamt wurden mehr als 5000 Hinweise, 4000 Kommentare und 22000 Bewertungen abgegeben. Die Beiträge werden jetzt ausgewertet und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt übergeben. Ziel ist es, für jede Konfliktstelle die passende Maßnahme zu finden und das Radfahren in Berlin schnell und effektiv sicherer zu machen.

Wer den Schwarm nutzt, der ist ihm auch etwas schuldig. Die Berliner Radfahrer kommentieren auf der Internetseite unter „Lob und Kritik“ munter weiter. Einer schreibt: „Tolle Idee. Allerdings weckt das Projekt natürlich Hoffnungen und große Erwartungen. Ich möchte Ihnen raten, die Artikel sorgfältig auszuwerten, da teilweise auch die Kommentare gute Hinweise enthalten. UND – ich kann mir zwar eigentlich nicht vorstellen, dass das nicht selbstverständlich ist, aber so manch neu eingeführte Wegführung lässt mich zweifeln: Holen Sie sich erfahrene (UND reflektierte!) Berlin-Radfahrer ins Team für die geplanten Verbesserungen!“ Sonst wird die Crowd am Ende sauer.   

Valeska Zepp

fairkehr 5/2023