fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

Obere Wilhelmstraße 32 | 53225 Bonn | Telefon (0228) 9 85 85-85 | www.fairkehr-magazin.de

Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Reise 1/2014

Immer an der Küste entlang

Foto: www.costabrava.orgFreier Blick bis zum Horizont: Wer an der Costa Brava wandert, erlebt die Mittelmeerregion aus ungewöhnlicher Perspektive.

Früher hielten auf dem „Camí de Ronda“ Wachsoldaten ­Aussicht nach Schmugglerbooten. Heute ist der Weg Teil des GR 92, eines der schönsten Küstenwanderwege Spaniens.

Hochsaison an der Costa Brava: In den Strandbars ist kein Stuhl unbesetzt, im Sand steckt Sonnenschirm neben Sonnenschirm, der Eisverkauf läuft auf Hochtouren. An diesem wunderschönen Augustferientag zieht es im Küstenort Palamós alle an den Strand. Kleiderordnung: Weniger ist mehr.

Aber ausnahmsweise ist es einmal nicht die hübsche Blondine im winzigen Bikini, die die meiste Aufmerksamkeit auf sich zieht. Denn von rechts nach links bewegen sich zwei Wanderer ins Bild. Langsam kämpfen sie sich im sandigen Untergrund voran, während alle Augen ihnen folgen und jedes Detail genau registrieren: das schwere Schuhwerk, die großen Rucksäcke, die Ganzkörper-Funktionskleidung.
Der Fernwanderweg GR 92 folgt der Küstenlinie und macht auch vor den Sandstränden rund um die Hotelhochburgen von Blanes, Lloret de Mar oder Platja d’Aro nicht Halt. Der Nachteil dieser Wegeführung: Hin und wieder kommt es zu heftigen Kulturschocks zwischen Outdoor- und Massentouristen. Der Vorteil: Kaum hat man die bekannten Touristenhotspots hinter sich gelassen, trifft man auf eine Costa Brava, die in den Prospekten von TUI und Neckermann nicht vorkommt: traumhafte kleine Fischerdörfer, einsame Pinienwälder und menschenleere Badebuchten – auch während der Hochsaison.

Der „Camí de Ronda“ ist aber auch aus anderen Gründen nichts für Weicheier. Der Weg – angelegt im Kampf gegen Schmuggler – führt immer am äußersten Rand der zerklüfteten Küste entlang. So hatten die Wachposten immer beste Sicht bis zum Horizont. Man kann sich aber gut vorstellen, dass sie an heißen Tagen schon mal die Hosenbeine hochgekrempelt und die Waden im Meerwasser gekühlt haben. Das ständige Auf und Ab geht in die Beine. Bei jeder Bucht und jedem Strand wird die Versuchung größer, Rucksack und Funktionskleidung ab- und sich selbst in die Fluten zu werfen. Die Sonne bricht sich im türkisgrünen Wasser, das so klar ist, dass man Muscheln und Fischschwärme auf dem Meeresgrund erkennen kann. Sich einfach treiben lassen, die müden Muskeln entspannen und sich danach auf einem großen sonnengewärmten Stein ausstrecken und die Stille genießen – so schön kann Natur-Wellness sein. Weit voran kommt man so natürlich nicht. Es empfiehlt sich, die Tagesetappen nicht zu anspruchsvoll zu planen.

Wandern mit Aussicht

Je näher der Weg der französischen Grenze kommt, umso schöner und naturbelassener wird die Landschaft. In historischen Hafenstädtchen wie Palamós, Parafrugell oder Begur belohnen sich Wanderer abends mit einem gemütlichen Zimmer mit Meerblick und einem Abendessen an der Strandpromenade. Ein Glas Rotwein im Sonnenuntergang, dazu phantasievolle Tapas aus frischem Fisch oder Spezialitäten aus den nahen Bergen – das hat mindestens vier Sterne für Genuss und Ambiente verdient.

Wenn die Sommerferien in Frankreich und Spanien Anfang September zu Ende gehen, wird es schlagartig ruhig an der Costa Brava. Die Hotelpreise sinken, die Strände leeren sich und Restaurantbesitzer haben wieder Zeit zu plaudern. Zwar bleibt der Wanderer an der Costa Brava auch in der Nebensaison ein Mensch mit uneleganten Schuhen und verdächtig hippieskem Gepäck. Aber er erntet damit deutlich weniger Aufmerksamkeit – einfach, weil weniger Leute da sind, die gucken können.

Regine Gwinner

fairkehr 5/2023