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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 1/2014

Teures Öl um jeden Preis

Weil das leicht zu fördernde Öl zur Neige geht, nehmen die Konzerne unkonventionelle Öle sowie extrem gelegene Fördergebiete ins Visier. Die Folgen für Umwelt und Klima sind fatal.

Foto: Eric de Mildt/GreenpeaceProtest von Greenpeace vor dem Sitz der EU-Kommission in Brüssel: Nicht überall darf Erdöl gefördert werden, wenn Klima- und Umweltschutz ernst genommen ­werden sollen.

Als der Schweizer Greenpeace-Kletterer Marco Weber im September letzten Jahres versuchte, ein Transparent an der Bohrinsel Prirazlomnaya zu befestigen, war ihm klar, dass er nicht mit offenen Armen empfangen werden würde. Immerhin handelt es sich um die erste Ölplattform, die in arktischen Gewässern ihren Betrieb aufgenommen hat, und Gazprom, der Betreiber, gilt als Russlands Vorzeigeunternehmen. Dass er aber gemeinsam mit 29 anderen Aktivisten und Journalisten der bandenmäßigen Piraterie beschuldigt werden würde, damit konnte Weber nicht rechnen. Bis Dezember saßen sie in Russland im Gefängnis, der Vorwurf lautete „Rowdytum“. Kurz vor Weihnachten ließ Putin Gnade walten und ließ sie im Rahmen seiner Massenamnestie freikommen.

Russland statuierte damit ein Exempel, das zeigt: Beim Öl machen wir keine Kompromisse. Erst seit kurzem bietet das klimawandelbedingt zurückweichende Eis die Möglichkeit, in der Arktis nach Öl zu bohren. Russland streitet mit Kanada, den USA, Island und den skandinavischen Staaten um die Zugänge. Präsident Putin präsentierte unlängst seine Vision: „Ein neues Kapitel in der Geschichte der Arktis beginnt, das sich als Epoche des industriellen Durchbruchs bezeichnen lässt, als intensive wirtschaftliche und infrastrukturelle Entwicklung.“ Fragen, was die rauen Wetterbedingungen, das kalte Wasser und die große Entfernung zu notwendiger Infrastruktur bei einem Unfall für die verwundbare und kostbare Biodiversität bedeuten, interessieren nicht.

Die Welt giert ungebrochen nach Öl

Für Jurrien Westerhof, Geschäftsführer des Österreichischen Dachverbandes Erneuerbare Energien, ist der Fall klar: „Das ist die Verzweiflung der Ölindustrie. Es gibt nichts mehr. Die bohren nicht zum Spaß am Nordpol. Es ist gefährlicher, es ist mühsamer, die Risiken sind größer. Das Gleiche gilt für Bohrungen 3000 Meter unter dem Meeresspiegel.“

Tatsächlich ist auch der stete Vorstoß in die Tiefsee als ein Symptom für steigende globale Öl-Nachfrage und sinkende Reserven zu werten. Ob vor den Küsten Indonesiens, Afrikas oder im Golf von Mexiko – immer tiefer und folgenschwerer bohren die Konzerne. Denn obwohl klar ist, dass das restliche Öl im Boden bleiben muss, wenn der Klimawandel gestoppt werden soll und die zwei Prozent beim globalen Temperaturanstieg nicht überschritten werden dürfen, giert die Welt ungebrochen nach Öl. Auch Deutschland: Über 105 Millionen Tonnen Erdöl wurden hierzulande im Jahr 2012 benötigt. Kein anderer Lebensbereich ist hier so stark von dem fossilen Brennstoff abhängig wie der Verkehr –werden doch 78 Prozent allein von Diesel und Ottokraftstoffen bewegt.

Unkonventionelles Öl

Jene, die weiter auf fossile Brennstoffe setzen wollen, sehen die Zukunft auch in unkonventionellen Ölen, die mittels verschiedener Verfahren erst aus Teersand, Ölschiefer oder Schiefergas herausgelöst werden müssen. Das ist mit einem sehr hohen Einsatz von Wasser, Energie und giftigen Chemikalien verbunden – fatal in ökologisch sensiblen Gebieten wie dem Orinoco-Gebiet von Venezuela, wo ein Drittel der weltweiten Teersand-Vorräte lagern. Und dann gibt es da noch einen Grund, dieses Öl besser in der Erde zu lassen: Der CO2-Ausstoß bei der Gewinnung von zum Beispiel Teersand-Öl liegt pro produziertem Liter 23 Prozent über dem von konventionellen Ölen.

Die Betreiber hören das nicht gerne. Obwohl die Teersand-Förderung den kanadische Bundesstaat Alberta mit all seinen borealen Wäldern gerade in eine Mondlandschaft verwandelt, nennt Premierminister Stephen Harper das so gewonnene Öl „ethisch“. Die Indigenen im Land sehen das anders. Lokale Umweltgruppen und zahlreiche Studien auch.

Energieeffizienz 

Ein Riegel kann diesem Trend in die falsche Richtung nur vorgeschoben werden, wenn solche ökologischen Nebenkosten mit eingerechnet werden. Das versucht – zumindest was den CO2-Ausstoß betrifft – die EU-Kommission. Nach Artikel 7a der Kraftstoffqualitätsrichtlinie sollen die Emissionen, die bei der Produktion von Treibstoffen anfallen, bis 2020 um sechs Prozent verringern, ausgehend vom Jahr 2010. Solche Ziele sind nur erreichbar, wenn auch vorgelagerte Emissionen eingerechnet werden. Eine Studie im Auftrag von Transport & Environment (T&E) hat errechnet, dass ein Verbot von Teersandöl in Europa die Emission von 19 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr vermeidet, was dem Ausstoß von sieben Millionen Autos auf den Straßen entspricht. Die wertvollste Ressource ist allerdings die Energieeffizienz. „Europa braucht kein Öl aus Teersand“, sagt Gerd Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher des VCD. „Wir können mehr Öl einsparen, wenn wir auf ineffiziente Maschinen verzichten und Verbrauch und Emissionen durch Grenzwerte mindern.“

Im Jahr 2012 fand sich keine qualifizierte Mehrheit im Ministerrat für oder gegen ein Teersandöl-Verbot, weshalb eine Auswirkungseinschätzung angeordnet wurde. Deutschland stand bei dieser Abstimmung gegen die Empfehlung der Umweltverbände auf der falschen Seite. Der Druck, die Regeln aufzuweichen, ist groß, die Gegner strenger Kriterien drohen mit der WTO. Umso wichtiger ist es, dass die Kommission bei ihrem Vorschlag bleibt. Nusa Urbancic von T&E: „Das wäre auch ein starkes Signal in Richtung Investoren, dass Öl aus Teersand auf einem Kontinent, der den Klimawandel ernst nimmt, nicht wettbewerbsfähig ist.“

Roman Kellner

Peak Oil

Das Ende des Erdölzeitalters wird kommen, die Frage ist, wann. Die Zahlen variieren je nach Berechnungsgrundlage und Weltanschauung. Beim konventionellen Öl ist der Peak Oil, zu deutsch das globale Ölfördermaximum, eindeutig überschritten, das leugnet kaum noch jemand. Auch diese Prognose kann man getrost machen: Das Öl wird in den nächsten Jahren teurer werden. Dass es noch nicht richtig knapp wird, liegt an den unkonventionellen Ölen. Allerdings nimmt die Euphorie über unkonventionelle Öle schon wieder ab, viele Funde wurden als zu hoch eingeschätzt.

fairkehr 5/2023