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Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 1/2014

Wird Paris das Klima retten?

Klimaexperte Christoph Bals von Germanwatch findet die aktuellen Wirtschaftstrends und die Bemühungen Chinas hoffnungsvoller fürs Klima als den politischen Willen der EU. Ein Gespräch.

Foto: istockphoto.com/urbandevillDas Internationale Klimaabkommen, das 2015 auf der Weltkonferenz in Paris beschlossen werden soll, kann gelingen.

fairkehr: In zwei Jahren soll die Welt in Paris ein Kimaabkommen beschließen – wie sind die Aussichten?

Christoph Bals: Wir sind im Moment in einer dramatischen Umbruchphase. Die alten Geschäftsmodelle der großen Energieversorger – nicht nur in Deutschland, sondern in den allermeisten Staaten dieser Erde – zerbröseln. Die europäischen Energiekonzerne haben nur noch einen Börsenwert von 20 Prozent gegenüber dem von 2008. Außerdem gerät das Modell der Autokonzerne ins Wanken, vor allem derer, die große Limousinen herstellen. Ähnliches sehen wir im Bereich der Landwirtschaft und in anderen wichtigen Branchen. Die Frage ist jetzt: Wird die Politik in den nächsten Jahren einen Rahmen setzen, damit die neu entstehenden Geschäftsmodelle mit den Nachhaltigkeitszielen vereinbar sind?

Das heißt, die bisherigen Geschäftsmodelle sind nicht vereinbar mit dem Klimaschutz?

Nehmen wir das Beispiel Auto: Die großen, gerade auch die deutschen Autokonzerne haben ihr Geld vor allem mit großen Limousinen und großen Motoren verdient. Diese kommen in verschiedener Hinsicht unter Druck. In dem Wachstumsmarkt der Zukunft, in den Mega­-citys der Welt, ist für Limousinen nur sehr begrenzt Platz. Die Klimapolitik mit immer höheren CO2-Regulierungen drückt eher in Richtung Kleinwagen. Mit denen kann man aber weniger Geld verdienen. In den Städten setzt sich zunehmend der Trend des Carsharings oder verschiedener anderer flexibler Mobilitätsmodelle durch. Dann kann man aber für dieselbe Kilometerzahl, die die Menschen zurücklegen, nur noch ein Fünftel der Autos verkaufen. Es gibt den Trend hin zu Elektroautos, vielleicht auch zur Brennstoffzelle. Damit gerät auch der Motor als zentrales Unterscheidungsmerkmal unter Druck. Für die jüngere Generation spielen andere Statussymbole eine zunehmend wichtigere Rolle als das Auto. Zumindest in den Städten. Alles zusammengenommen, kommt das Geschäftsmodell der Autokonzerne in eine grundlegende  Krise. So könnte man Branche für Branche durchgehen.

Foto: Tina Linster/GermanwatchChristoph Bals, Jahrgang 1960, begleitet die UN-Klimaverhandlungen aktiv seit der COP1 in Berlin 1995. Er ist Politischer Geschäftsführer von Germanwatch. Die Umwelt- und Entwicklungsorganisation ­engagiert sich für Nord-Süd-Gerechtigkeit und den Erhalt der Lebensgrund­­lagen.

Was muss die Politik tun, damit die neuen Geschäftsmodelle nachhaltiger werden?

Die Politik muss einen Rahmen setzen, um Investitionssicherheit zu geben. Viele Unternehmen kämpfen darum, möglichst lang ihr altes Geschäftsmodell aufrechtzuhalten. Gleichzeitig werden neue Modelle angedacht – und die Politik ist ausgesprochen verunsichert, ob sie sich trauen soll, in dieser konfliktgeladenen Situation Rahmensetzungen vorzunehmen. Der politische Wille ist noch nicht wirklich da, weder in der EU noch in anderen Schlüsselstaaten wie den USA oder China. Doch das scheint sich allmählich zu ändern. Auf diese Situation trifft 2015 die Klimakonferenz in Paris. Dort wird die Schlüsselfrage lauten, ob in dem angestrebten internationalen Klimaschutzabkommen die Ziele ambitioniert genug gesetzt werden und ob ein Rahmen für Vorreiterrollen gesetzt wird. Die Dynamik kommt aber nicht vom Klimagipfel, sondern von den Entscheidungen vor Ort. Entscheidend für einen Erfolg des Klimagipfels wird etwa sein, wie Deutschland die Energiewende weiter umsetzt – und ob die EU ambitionierte Energieziele für 2030 beschließt.

Das sieht ja gerade nicht so aus. Die von der EU vorgeschlagenen Klimaziele für 2030 sind alles andere als ambitioniert.

Ich hoffe, dass da noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Es gibt momentan massive Gegenkräfte in Europa, die versuchen, einen Umschwung um einige Jahre hinauszuzögern. Doch in irgendeine Richtung muss sich die Politik bewegen. Entweder versuchen, unseren klimafeindlichen Lebensstil und unsere zerstörerische Wirtschaftsform als Privileg zu verteidigen. Oder sie muss den Rahmen für neue Mobilitätsmodelle, Energiekonzepte und Landwirtschaftsformen setzen, die auch andere Länder der Welt übernehmen können, ohne den Preis der Selbstzerstörung bezahlen zu müssen. Diese Fragestellung spitzt sich im Moment massiv zu – und wir sehen, dass überall in der Welt die Konflikte härter werden.

Welche Konflikte meinen Sie?

In Russland, wo 30 Besatzungsmitglieder des Greenpeace-Schiffes „Arctic Sunrise“, die nur friedlich demonstriert haben, monatelang eingesperrt und nun begnadigt wurden, weil gerade Olympische Spiele anstehen. Man sieht in den USA, mit welcher Brutalität die Gasförderung durch Fracking durchgedrückt wird. Wir sehen in Australien, wie die Kohlelobby die einzige unabhängige Zeitung, die objektiv über den Klimawandel berichtete, einfach aufgekauft hat. In dieser Situation müssen die Regierungschefs jetzt Farbe bekennen. Dafür ist Paris ein wichtiger Meilenstein.

Wie beurteilen Sie die enttäuschende Klimakonferenz im letzten Jahr in Warschau?

Warschau hat zwei Dinge ergeben: Technisch ist das Klimaabkommen noch möglich. Gleichzeitig hat sich gezeigt, dass bei führenden Industriestaaten und bei wichtigen Schwellenländern der politische Wille dazu noch nicht da ist.

Um welche Länder geht es da konkret?

Japan und Australien haben angekündigt, dass sie in Zukunft nicht mehr, sondern weniger Klimaschutz machen wollen. Ganz enttäuschend ist auch die EU, die ihre Rolle als Klimavorreiter aufgegeben hat. Derzeit dominiert auch hier die Mutlosigkeit. Die EU sagt im Prinzip, sie wolle von jetzt an bis 2020 keinen zusätzlichen Klimaschutz mehr leisten, nachdem sie das Ziel für 2020 durch die Wirtschaftskrise schon übererfüllt habe. Und die Ziele, die die EU-Kommission für 2030 vorgelegt hat, sind viel zu schwach. Die EU braucht ein CO2-Reduktionsziel von mehr als 50 Prozent bis 2030 und für alle Staaten verbindliche Ziele für Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Das EU-weite unambitionierte Ziel von 27 Prozent für erneuerbare Energien ist ein Investitionsabwürgeprogramm. 

Foto: istrockphoto.com/PatrickPoendl Erneuerbare Energien wie Windkraft wirken gegen den Klimawandel - das haben auch die USA und China verstanden.

Wer hatte auf dem Klimagipfel in Warschau größere Fortschritte zu vermelden?

Die positivste Entwicklung der letzten drei Jahren sehe ich in China. Diese ist nicht in erster Linie von klimapolitischen Gründen getrieben. Die Hauptgründe sind Energiesicherheit und die enorme Luftverschmutzung – die Todesursache Nummer eins in China. Aber die Chinesen haben auch ein großes Wissenschaftler-Team an die Frage gesetzt: Wie groß ist die Bedrohung durch den Klimawandel für China wirklich?

Und wie ist die Antwort?

Die Wissenschaftler sagen: Das Land ist in den nächsten Jahrzehnten massiv bedroht, wenn tatsächlich im Himalaya die großen Gletscher schmelzen und der Meeresspiegel steigt. China beschleunigt den Ausbau erneuerbarer Energien vor diesem Hintergrund massiv. In den nächsten drei Jahren soll der Ausbau der Windenergie noch mal verdoppelt werden. Man hat bisher schon so viel Windenergie aufgebaut wie die gesamte EU. Das deckt zwar nur vier bis sechs Prozent des Stromverbrauchs in China, doch das Ausbautempo ist unglaublich. Die ersten großen Studien deuten darauf hin, dass der Höhepunkt des CO2-Ausstoßes in China noch in diesem Jahrzehnt erreicht sein könnte – und die Emissionen dann abnehmen. Das wäre tatsächlich einer  dieser großen Wendepunkte, die wir brauchen in der Klimadebatte. Aber – und das ist ein ganz großes Aber: Auch China ist noch nicht bereit, sich international zu Klimazielen zu verpflichten.

Warum nicht?

Ich sehe drei Gründe: Wenn die USA sich nicht verpflichten, sieht China auch nicht ein, das zu tun. Zweitens haben die Chinesen sich zwar viele Ziele für die Energieeffizienz und den Ausbau erneuerbarer Energien gesetzt. Sie sind sich aber noch nicht sicher, wie gut die Umsetzung gelingt. Sie wollen nicht riskieren, ihr Gesicht zu verlieren, wenn sie nach ein paar Jahren sagen müssten: Wir haben das Ziel nicht erreicht. Drittens wird Klimapolitik in China in zwei getrennten Bereichen behandelt. International heißt das Ziel: Druck abwehren. National hingegen will China seine Probleme bekämpfen. Das ist noch nicht gut miteinander verzahnt – wie übrigens in einer ganzen Reihe von Staaten.

Sind Sie trotzdem optimistisch, dass in Paris ein Welt-Klimaabkommen gelingt?

Ich bin eigentlich hoffnungsvoller, als ich das in den letzten zwei Jahren gewesen bin. Nicht, weil ich die aktuellen politischen Tendenzen so berauschend finde. Es sind die wirtschaftlichen Entwicklungen, die sich normalerweise mit einer gewissen Zeitverzögerung in Politik übersetzen, die mich positiv stimmen.

Wie meinen Sie das?

In Deutschland zum Beispiel sagen derzeit viele, wir müssten mit der Energiewende mal halblang machen und die Kohlekraft schützen. Trotzdem wird der Ausbau der erneuerbaren Energie weitergehen. Mit jeder neuen Anlage untergraben die Erneuerbaren das Geschäftsmodell der Kohlekraftwerke. Es dauert nicht mehr lang, dann können in der Mittagszeit etwa 100 Prozent des Strombedarfs durch Wind- und Sonnenenergie abgedeckt werden. Die Kohlekraftwerke müssen dann immer häufiger runter- und hochgefahren werden. Das kostet Geld. Erneuerbare Energien werden dagegen immer wettbewerbsfähiger. Im Moment werden überall Verteidigungsschlachten geführt, bei denen allerdings sichtbar ist, dass sich die Energiekonzerne in wenigen Jahren neu orientieren müssen. Und dann müsste auch die Politik wieder mehr Mut haben, den Rahmen mitzugestalten.

Gibt es schon Anzeichen oder Beispiele für neuen politischen Mut?

Die US-Regierung übernimmt zum Beispiel eine viel aktivere Rolle als die Europäer in der Forschungspolitik oder in der Regulierung von Kohlekraftwerken. Wer hätte das vor zwei, drei Jahren gedacht? Ganz zentrale Akteure wie die USA und China beginnen mit Umstrukturierungen. Aus Klimaschutzgründen, aber auch aus Innovations- und Wett­­­bewerbsgründen wären die EU und Deutschland doch blöd, wenn sie hier nicht bald die Kurve bekämen.

Ist eine Erhöhung der Weltdurchschnittstemperatur um maximal zwei Grad, die Wissenschaftler als noch hinnehmbar ansehen, noch zu schaffen?

Das Zwei-Grad-Limit ist nach wie vor noch aktuell. 2012 gab es zum ersten Mal Anzeichen für eine positive globale Emissionsentwicklung: China nicht eingerechnet  verzeichneten alle anderen Länder im Durchschnitt zum ersten Mal keinen Anstieg der CO2-Emissionen. Und in China war der jährliche Anstieg um zwei Drittel geringer als in jedem der zehn Jahre zuvor. Das Wachstum erneuerbarer Energien, die neuen Technologien für mehr Energieeffizienz und der zunehmende  Druck, den Menschen auf der ganzen Welt machen, stimmen mich hoffnungsvoll. Allerdings gilt auch: Die Chance, unterhalb des Zwei-Grad-Limits zu bleiben, wird mit jedem vertrödelten Halbjahr kleiner. Ich hoffe, dass die Dynamik so steigt, dass wir in Paris sagen können: Diese Chance, die ganz großen Risiken abzuwenden, besteht weiter. Das wird aber nur geschehen, wenn die Dynamik für ein neues Wohlstandsmodell in verschiedenen Teilen der Welt bis dahin deutlich wächst. Das Klimaheil fällt nicht auf Klimagipfeln vom Himmel.

Interview: Valeska Zepp

fairkehr 5/2023