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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 6/2013

Gutes muss nicht teuer sein

fairkehr-Chefredakteur Michael Adler fordert weniger ­Millionenprojekte und dafür mehr Kreativität in der Verkehrsplanung. So könnten Länder und Kommunen viel Geld sparen.

Computerillustration: b+b orso.pitroFrisch aus dem Architektenbüro: So ­könnte es in Zukunft in den Innenstädten aussehen.

Kürzlich war ich ausnahmsweise mit dem Auto im Büro. Für acht Kilometer brauchte ich auf dem Rückweg fast eineinhalb Stunden. Aber ich hatte nicht nur die tatsächlich vergangene Zeit verloren, ich war nervlich am Ende. In den Niederlanden bezeichnet die Regierung solche Stunden als „Auto-Verlust-Stunden“. Das Unternehmen, das derzeit einen Großteil der Radschnell­-wege in unserem Nachbarland plant, stellt diesen „Fahrrad-Gewinn-Stunden“ gegenüber. Sie meinen Gewinn an Zeit, an Gesundheit, an Klimaschutz, an Lebensqualität. Rund 700 Millionen Euro investiert der niederländische Staat bis 2025 in 675 Kilometer Schnellverbindungen für Fahrräder. Ziel ist die Reduktion von Staus auf den parallel laufenden Autobahnen.

Sinnvollerweise denken unsere Nachbarn dabei in Alternativen und nicht an weitere Autobahnspuren. So sparen sie Baukosten, und den Gewinn für die Radfahrer gibt es gratis dazu. Amsterdam macht es ähnlich: In ihrem „Mehrjahresplan Fiets 2012–2016“ investiert die Stadt 57 Millionen Euro in den Radverkehr und baut unter anderem 38000 neue Abstellplätze. Pro Jahr spart die Stadt dadurch Investitionen in Auto- und ÖPNV-Infrastruktur in Höhe von 40 Millionen Euro. Das ist praktiziertes Least-Cost-Planning im kommunalen Verkehr. Frei übersetzt heißt das: bestmögliche  Planung zu geringsten Kosten.

Wie anders rechnen Verkehrspolitiker hierzulande. Die kommunalen Budgets sind im bipolaren Mobilitätsbild, hier Autoverkehr, dort öffentlicher Verkehr, buchstäblich betoniert. Groß müssen die Projekte sein und millionenschwer. Wer wenige Hunderttausend Euro für Radverkehrsmaßnahmen oder gar fußgängerfreundliche Gestaltung öffentlicher Räume ha­ben will, erntet häufig Schulterzucken: Beim besten Willen kein Geld übrig.

Least-Cost-Planning hilft

Ein gutes Beispiel geben die Mobilpunkte in Bremen (siehe Seite 22). Dort hat man die Landesbauordnung so geändert, dass Sondernutzungen auf öffentlichen Stellplätzen zugelassen sind. Jetzt können Carsharing und Fahrradstellplätze mit dem ÖV-Halt verbunden werden. Das hat den klammen Stadtstaat zwar mehrere Hunderttausend Euro gekostet, die sonst nötigen Autostellplätze hätten jedoch einen zweistelligen Millionenbetrag erfordert. So schafft die Stadt moderne Mobilität mit kleinem Budget.

Unsere Straßenbaubehörden wurden über zwei Generationen darauf trainiert, für das Auto zu planen. Das wird sich nicht ändern, wenn man sie nicht politisch umlenkt. Die üblichen Nutzenberechnungen, die Kreisverkehren, Umgehungsstraßen oder Brückenneubauten segensreiche Wirkungen zusprechen, werden nicht mehr hinterfragt. Beispiel Bonn: Für 4,5 Millionen Euro wurde im vergangenen Sommer der sogenannte Trajektknoten auf der B9 fertiggestellt. Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch (SPD) lobte die bessere Anbindung des Bundesviertels durch den überdimensionierten Kreisverkehr. Die örtliche CDU applaudierte: Endlich fühlte man sich wie in der Großstadt und nicht wie in der Provinz. Das Geld für solche Projekte stammt zum überwiegenden Teil von Bund und Land.

Ein weiteres verkehrliches Großprojekt mit zweifelhafter Wirkung ist die sogenannte Kombilösung in Karlsruhe. Deren Herzstück ist die Tieferlegung von rund drei Kilometern Straßenbahn in der Innenstadt, die mit einer Volksabstimmung mehrheitlich beschlossen wurde. Den prognostizierten 860 Millionen Euro Kosten steht allerdings ein begrenzter Nutzen gegenüber. Mag sein, dass das Verschwinden der dicht getakteten Straßenbahnen in der Fußgängerzone die Auf­enthaltsqualität verbessert. In Sachen Kosten-Nutzen-Rechnung ist der 20-Punkte-Plan zur Radverkehrsförderung in Karlsruhe allerdings um ein Vielfaches erfolgreicher – und preiswerter. Mit etwas mehr als einer Million Euro im Jahr gelang es bereits von 2005 bis 2012, den Anteil des Radverkehrs von 16 auf 25 Prozent am Stadtverkehr zu steigern.

Mir ist bewusst, dass ich hier Äpfel mit Birnen, sprich Bundes- mit Landes- oder Kommunalmitteln vergleiche und in einen Topf werfe. Aber die bisherige Praxis läuft nun mal quer zu den Planungserfordernissen. Wir müssen die
Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur grundsätzlich auf den Prüfstand stellen. Es geht darum, möglichst viel umweltfreundliche Mobilität für alle Menschen zu möglichst geringen Kosten zu schaffen. Dazu brauchen wir eine neue Be­rech­nung des volkswirtschaftlichen Nutzens, so wie es die Niederländer mit den „Fahrrad-Gewinn-Stunden“ machen. Wir sollten aufhören, „freiwillige“ kommunale Leistungen, wie Fahrradpolitik, gegen Kindergartenplätze auszuspielen. Wir werden beides für zukunftsfähige Kommunen brauchen. Kommunalpolitiker sollten genau prüfen, ob nicht zehn kleine Maßnahmen die Mobilität einer Stadt mehr verbessern als die eine Unterführung oder der Kreisverkehr.    

Michael Adler

fairkehr 5/2023