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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 6/2013

Das Rad nicht jedes Mal neu erfinden

In immer mehr Bundesländern schließen sich Kommunen zusammen, um Radverkehr zu ­fördern. Anna Hussinger von der Arbeitsgemeinschaft in Baden-Württemberg über die Vorteile.

Foto: Michaela MohrhardtAnna Hussinger (33) ist Leiterin der­ ­Geschäftsstelle der AGFK-BW, die bei der Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg angesiedelt ist. Das Netzwerk für mehr Radverkehr gibt es seit 2010.

fairkehr: Warum sparen Kommunen Zeit und Geld, wenn sie Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundlicher Kommunen in Baden-Württemberg werden?

Anna Hussinger: Einer der entscheidenden Vorteile eines kommunalen Netzwerks für Radverkehrsförderung ist der Erfahrungsaustausch – auf Tagungen, Exkursionen, in Arbeitskreisen, im internen Bereich unserer Internetseite. Den Radverkehrsexpertinnen und -experten in den Kommunen ist es wichtig, dass sie einen direkten Draht zueinander haben. Unsere Mitglieder sind Großstädte und kleinere Gemeinden, Einsteiger und Profis in Sachen Radverkehrsförderung: Es gibt also für viele verschiedene Fragestellungen immer die passenden Ansprechpartner im Netzwerk. Beispielsweise zur Frage: Wie können wir einen Schutzstreifen für Fahrradfahrer umsetzen? Da kom­men sofort Antworten aus verschiedenen Kommunen, Erfahrungsberichte, Beispielprojekte mit Bildern. An diese internen Informationen würde eine Kommune sonst nicht herankommen.

Dieser Mehrwert des Netzwerks ist eher indirekt messbar. An welchen Stellen schont eine AGFK-Mitgliedschaft sichtbar das kom­munale Budget?

Unser Grundsatz: zentral entwickeln, dezentral nutzen. Das heißt, die AGFK-BW entwickelt Kampagnen, Pilotprojekte oder Broschüren, die jede Mitgliedskommune nutzen kann. Nachdem wir unsere erste Flyer-Serie „Entspannt mobil“ mit Regeln für ein friedliches Miteinander aller Verkehrsteilnehmer herausgebracht hatten, bekamen wir beispielsweise die Rückmeldung, es wäre undenkbar gewesen, dass eine einzelne Kommune 20.000 Euro für eine professionelle Faltblattserie ausgibt. Außerdem können Mitgliedskommunen kostenlos an unserem Weiterbildungsprogramm teilnehmen – mit Workshops, Seminaren und Fachtagungen. Unter anderem eben zum Thema Schutzstreifen für Fahrradfahrer.

Bekommt das kommunale Netzwerk Unterstützung vom Land?

Die AGFK-BW ist eine wichtige Säule in der Fahrradförderung in Baden-Württemberg. Deshalb finanziert das Land die AGFK-Geschäftsstelle zu 100 Prozent und fördert verschiedene Projekte. Außerdem profitieren AGFK-Mitglieder davon, dass sie sich um die Landesauszeichnung „Fahrradfreundliche Kommune“ bewerben können. Und sie können an der Initiative „RadKULTUR“ für mehr fahrradfreundliche Mobilität in Städten und Landkreisen als Modellkommune teilnehmen. Der Mitgliedsbeitrag, der je nach Größe und Struktur der Kommune zwischen 1000 und 4000 Euro im Jahr liegt, ist auf jeden Fall gut investiert. Diesen Wert bekommen die Kommunen mindestens zurück.

Und dieser Mehrwert ist den Kommunen bewusst?

Bislang haben wir keine Austritte zu verzeichnen, eher im Gegegenteil. Dieses Jahr haben wir sieben neue Mitglieder aufgenommen, so viele wie noch nie. Der Beschluss, dem Netzwerk beizutreten, ist zwar nicht in jeder Kommune ein Selbstläufer, in den Gemeinderäten wird zum Teil hart diskutiert. Doch ich weiß gerade von solchen Kommunen, in denen es nicht einfach war, die Mitgliedschaft durchzukriegen, dass dort deren Mehrwert jetzt nicht mehr zur Diskussion steht. Das liegt zum Teil auch an dem Schub und der Stimmung, die durch die fahrradfreundliche grüne-rote Regierung ins Land getragen werden. Die Frage nach dem Ob der Radverkehrsförderung ist in den meisten Kommunen vom Tisch – es geht ums Wie. Und dabei kann die AGFK-BW gute Unterstützung leisten.

Also müsste sich jede Kommune in Baden-Württemberg dem Netzwerk anschließen wollen. Was hält einige davon ab?

Das eine ist dann doch der Mitgliedsbeitrag, das andere die aktive Mitarbeit, die in der AGFK-BW gefordert ist. Gerade kleinere Kommunen benennen oft keine Radverkehrsbeauftragten. Oder die Mitarbeiter, die für Radverkehr zuständig sind, verantworten gleichzeitig 1000 andere Dinge. Da gibt es Bedenken, wenn sie sich aktiv in Arbeitsgruppen einbringen sollen – eine Voraussetzung für die Mitgliedschaft. Denn der Erfahrungsaustausch, der daraus folgt, ist schließlich der große Vorteil unseres Netzwerks.

Interview: Kirsten Lange

Weitere Arbeitsgemeinschaften für mehr Radverkehr gibt es unter anderem in Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen.

fairkehr 5/2023