fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

Obere Wilhelmstraße 32 | 53225 Bonn | Telefon (0228) 9 85 85-85 | www.fairkehr-magazin.de

Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Reise 6/2013

Den Blick schärfen

Richtig gute Bilder zu machen lernt sich im Urlaub am besten: eine Fotoreise in die Toskana.

Foto: Uta LinnertIm Urlaub mit Gleichgesinnten können Hobbyfotografen in Ruhe warten, bis die Sonne das Motiv ins richtige Licht rückt.

Noch bevor die Septembersonne ihre ersten Strahlen über die Hügel schickt, sind wir aus unseren Betten und Häusern gekrochen, haben die Stative aufgebaut und die Kameras in Stellung gebracht. Fotografen sind Frühaufsteher. Das ist die erste Lektion, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fotoreise in die Toskana lernen. „In den frühen Morgenstunden ist das Licht am besten“, hatte Manfred Horender in seiner Einführung am Anreisetag gesagt. Der erfahrene Fotograf, Reiseleiter und -veranstalter führt seit über zehn Jahren Hobbyfotografen in die schönsten Städte und Länder der Welt.

Noch liegt die Landschaft unterhalb des Dörfchens Mazzolla südlich von Pisa im fahlen Halbdunkel. Schwarz ragen Zypressen aus weißen Nebelsenken. Ein einsames Licht scheint aus dem Fenster eines Gehöfts. Ein fahrendes Auto zeichnet mit roten Rücklichtern den geschwungenen Weg durch die Felder nach. Die Kameraauslöser klicken. Manfred gibt Tipps für die beste Einstellung der Blenden und Belichtungszeiten, während das aufkommende Licht die hügelige Szene von Minute zu Minute in neue Farbe taucht.

Ist die Sonne dann vollends aufgegangen, ist der Zauber vorbei. Noch keine 7 Uhr, Zeit fürs Frühstück. Das nehmen die zwölf Männer und Frauen in einem zum Gruppenraum umfunktionierten ehemaligen Wohnzimmer ein. Ansonsten wohnen alle verstreut hinter dicken Steinmauern in der Handvoll Häuser, die eng um ein mittelalterliches Schloss herum gebaut sind. Die meisten Gebäude gehören der Adelsfamilie. Nur 30 Einwohner hat Mazzolla heute noch. Um die Vermietung und die sanfte Ankurbelung des Tourismus in dem ansonsten verlassenen Dörfchen kümmert sich ein privater Verein.

Zeit fürs richtige Motiv

Jeden Tag macht die kleine Reisegruppe per Minibus Ausflüge in die Umgebung: Voltera, San Gimignano und Siena stehen auf dem Programm. Alle Teilnehmer – die jüngste ist 32 Jahre alt und Apothekerin in Leipzig, die älteste, eine pensionierte Agrarwissenschaftlerin aus dem Rheinland ist schon 80 – vereint der Wunsch, einmal Zeit zu haben zum Fotografieren, unter ihresgleichen. „Ich möchte einmal nicht mit der Familie weiterlaufen müssen, wenn ich ein schönes Motiv entdeckt habe“, sagt Andrea, die Physiotherapeutin vom Bodensee, die schon viele Jahre das Fotografieren als Leidenschaft für sich entdeckt hat und der ihr Mann diese Reise zum Geburtstag geschenkt hat. Sie möchte, wenn es sein muss, auch mal eine Stunde auf einem Stein sitzen und warten, bis die Sonne den windschiefen Baum in das richtige Licht gerückt hat oder ihr auf der Piazza die Marktfrau mit dem Arm voller Sonnenblumen vor die Linse läuft.

Foto: Uta LinnertFotoreiseanbieter gibt es viele. Entscheidend ist, dass erfahrene Fotografen die Reisen leiten, die Gruppen nicht zu groß sind, es ausreichende Informationen über den Stil der Reise und das Lernziel gibt – und das Reiseziel Lust aufs Fotografieren macht.

Zum Handwerkszeug dieser Reise gehören mindestens eine solide digitale Spiegelreflexkamera und ein halbwegs lichtstarkes Weitwinkel- und ein Teleobjektiv. „Damit kann man schon richtig gute Fotos machen“, hatte mir Manfred vorab gesagt. In der Gruppe bin ich damit allerdings deutlich am unteren Ende der Ausrüstungsskala. Fast alle haben mehrere Gehäuse und Wechselobjektive in ihren großen Fototaschen oder -rucksäcken und für den Fall der Fälle immer das zusammengeschobene Stativ dabei. Die meisten kennen sich aus mit dem Zusammenhang von Blende und Belichtungszeit, Brennweite und Schärfentiefe. Mit dem Vollautomatikprogramm, das heute jede Kamera bietet, wird auf dieser Reise nämlich nicht fotografiert. Einfach losknipsen wie früher ist tabu.

Trotz unterschiedlicher Vorkenntnisse sind alle gekommen, um in diesem Urlaub etwas dazuzulernen. Dafür sind Manfred Horender und Fotoreferent Werner Woska zuständig. Beide fotografieren seit über 30 Jahren, geben Nachhilfe an der Kamera, verraten ihre Kniffe und helfen, den Blick auf das Wesentliche zu fokussieren. „Das Beherrschen der fotografischen Regeln bildet die Grundlage eines guten Fotos“, formuliert es Horender. Neben der ganzen Technik und Theorie komme es wesentlich auf den guten Blick und das Erkennen des Motivs an. „Die Bewertung von Licht, der Bildaufbau, grafische Gestaltungselemente und der Umgang mit Menschen, die man fotografieren möchte, führen letztlich zu einem gelungenen Bild“, sagt der erfahrene Profi. Beherrsche man die Grundlagen, gelte es, die Regeln zu brechen und eine eigene Handschrift zu entwickeln.

Technik hilft

Dabei kann dann auch wieder die Technik helfen: Nach jeder Fotosafari laden alle ihre Dateien von der Speicherkarte auf ihre Laptops. Jetzt beginnt die Entwicklung. Manchmal setzt erst das Beschneiden des Fotos ein Motiv in Szene und lenkt den Blick auf das Wesentliche. „Es gibt Regeln, Sehgewohnheiten und Vorlieben“, erklärt Werner das Programm, mit dem man nachträglich Farben verändern, Kontrast verstärken, Wolken aufhellen oder das Himmelsblau leuchten lassen kann. „Jeder von euch hat Motiv und Farben anders gesehen und erlebt und kann das Bild jetzt nach seiner persönlichen Stimmung entwickeln.“ Hier sind den Möglichkeiten fast keine Grenzen gesetzt. Aber die Schönheit der Szene und den besonderen Moment muss der Fotograf oder die Fotografin natürlich vorher einfangen.

Und so kommt es, dass auch die beiden Anfänger mit der Minimalausrüstung die Chance auf ein Top-Bild haben und Lob und Applaus bekommen. Zur Halbzeit der Reise und am Ende geben die Teilnehmer jeweils ihre zehn besten bearbeiteten Fotos ab, die Manfred und Werner zu einer Diashow zusammenstellen. Als krönenden Abschluss der Woche in der Toskana haben sie die Bewohner des Dorfes zu einem Bilderabend vor großer Leinwand eingeladen. Der Schlossherr und seine Mutter sind anwesend und auch der Wirt der kleinen Trattoria ist gekommen, der uns jeden Abend mit toskanischen Gerichten und Wein versorgt hat. Im dunklen Gewölbekeller des Schlosses sehen wir jetzt Kinder über den Marktplatz von Siena springen, begegnen uns die Pilzsammler von Quercetto, sitzen die Rentner von Sassa auf ihrer Bank, läuft die blökende Schafherde den Zuschauern entgegen, fliegt der Vogelschwarm vom frisch gepflügten Acker auf und schickt noch einmal die Morgensonne ihre Strahlen übers Land. Neben dem wohltuenden Applaus der Einheimischen und dem Lob der Mitreisenden haben alle ihr Urlaubsziel erreicht: Wir haben viel erlebt, Neues dazugelernt – und den nächsten Bildband über die Schönheit der Toskana machen wir natürlich selbst.

Uta Linnert

Infos zum Reiseveranstalter dieser Tour: freiraum-Fotografie

Infos zum sanften Kulturtourismus in der Toskana: Association Marcopolo

fairkehr 5/2023