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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 5/2013

Akteure der Verkehrspolitik

Geografen der Universität Bonn haben Bonner Unternehmer und deren Beschäftigte zum betrieblichen Mobilitätsmanagement der Arbeitswege befragt. Ein Ergebnis: Die Betriebe fühlen sich für die Verkehrsprobleme in der Stadt nicht zuständig. Im Interview: Professor Claus-Christian Wiegandt.

Foto: Volker LannertViele Berufspendler, die mit dem Auto zur Arbeit fahren, verstopfen täglich die Straßen, Autobahnen und Brücken rund um Bonn. Betriebliches Mobilitätsmanagement könnte Abhilfe schaffen.

fairkehr: Herr Wiegandt, das Geographische Institut der Universität Bonn hat an einem Projekt mit dem programmatischen Titel „Betriebe lösen Verkehrsprobleme“ mitgearbeitet. Was war Ihr Ziel?

Claus C. Wiegandt: Unsere Aufgabe war die wissenschaftliche Bestandsaufnahme: Was tun Betriebe in der Stadt Bonn im Bereich des betrieblichen Mobilitätsmanagements? Wir haben sowohl die Unternehmensleitungen als auch die Mitarbeiter ausgewählter Betriebe zu ihrer Einstellung und ihren derzeitigen und geplanten Aktivitäten befragt.

Wie groß war das Interesse seitens der Betriebe?

Von den 1500 angeschriebenen Betrieben haben 180 an der Befragung teilgenommen. Wir sind sehr zufrieden, dass sich die großen Unternehmen wie die Deutsche Post AG mit rund 8000 und die Deutsche Telekom mit rund 11000 Beschäftigten am Standort Bonn beteiligt haben, aber auch kleine Unternehmen wie die Apotheke von nebenan mit drei Mitarbeiterinnen. Diese Mischung macht die Repräsentativität unserer Ergebnisse aus.

Welches Interesse verfolgt die Stadt Bonn mit diesem Projekt?

Die Stadt Bonn leidet unter massiven Verkehrsproblemen, nicht zuletzt aufgrund der hohen Zahl an Berufspendlern. Als Projektträgerin sucht die Stadt nach neuen Wegen für eine nachhaltigere Verkehrsteilnahme der in Bonn Beschäftigten und will ausloten, welche Entlastung ein systematisches betriebliches Mobilitätsmanagement der Stadt bringen kann. Vor allem das Stadtplanungsamt will die Betriebe stärker in die Pflicht nehmen und sie als Akteure einbeziehen. Sie sollen erkennen, welche immensen Vorteile betriebliches Mobilitätsmanagement ihrem Unternehmen bringen kann.

Foto: Universität BonnClaus-Christian Wiegandt (55) ist ­Professor am Geographischen Institut der Universität Bonn mit Schwerpunkt Stadt- und Regionalentwicklung. Auf seinen Wegen in der Stadt ist er meistens mit dem Fahrrad unterwegs.

Ihre Befragung richtete sich in erster Linie an die Führungsebene der Unternehmen. Für wie wichtig hält sie betriebliches Mobilitätsmanagement?

Es ist bisher nur bedingt gelungen, die Betriebe mitzunehmen. Die meisten Betriebe machen im betrieblichen Mobilitätsmanagement noch relativ wenig. Das war ein deutliches Ergebnis unsere Befragung. Andererseits steht für sie der Aspekt „Betriebliche Gesundheitsförderung“ im Stellenwert der Beurteilung ganz oben, noch vor dem Punkt der Kosteneinsparung oder der Umweltbilanz. Das war für uns neu und überraschend: Der Gesundheitsaspekt hat für Unternehmen unserer Umfrage den zentralen Stellenwert.

Dann müssten die Betriebe doch ein großes Interesse daran haben, dass ihre Mitabeiterinnen und Mitarbeiter statt mit dem Auto verstärkt Fahrrad fahren.
Die Betriebe erkennen diesen Vorteil noch nicht. Nur jeder dritte Betrieb in Bonn hält beispielsweise eine eigene Fahrradabstellanlage vor. Nur ein Prozent gewährt einen Zuschuss beim Kauf eines Fahrrades. Auch die Möglichkeit der Belohnung für den Verzicht auf einen bereitgestellten Pkw-Stellplatz nutzen Bonner Betriebe so gut wie nicht. Genau an dieser Stelle müsste man mit Beratung ansetzen. Da schlummert noch ein großes Potenzial.

Wer soll die Verkehrsprobleme lösen, wenn die Betriebe sich nicht in der Pflicht sehen?

Für die Lösung der Verkehrsprobleme gibt es keine Alleinverantwortung. Die Stadt Bonn müsste diesen Vorgang anstoßen, ihrer Verantwortung nachkommen, was die Bereitstellung von Infrastruktur angeht – zum Beispiel sichere Fahrradwege und einen leistungsfähigen ÖPNV.

Wir sehen auch die Verantwortung bei den Mitarbeitern, sich selbst zu fragen, mit welchem Verkehrsmittel sie unterwegs sein wollen. Die Betriebe haben die Verantwortung, Infrastruktur bereitzustellen, seien es Fahrradabstellanlagen, Umkleideräume, Duschen oder Informationen zu ÖPNV-Verbindungen. Von einem Zusammenspiel aller Akteure würden alle Seiten profitieren.

Waren sich Betriebsleitung und Beschäftigte in ihrer Einschätzung einig?

Die Beschäftigten fordern betriebliches Mobilitätsmanagement stärker ein. Sie sind mit ihrer Einschätzung zur Bedeutung der betrieblichen Maßnahmen weiter als die Verantwortlichen im Unternehmen. Beispiel Jobticket: Immerhin 40 Prozent der Betriebe bieten in Bonn diese ÖPNV-Karte an, doch 95 Prozent der Mitarbeiter halten ein Jobticket für wichtig. Fast das gleiche Bild zeigt sich bei der Bereitstellung von Duschen und Umkleiden für Radfahrer oder dem Wunsch nach der Förderung von Pkw-Fahrgemeinschaften, denen kaum ein Bonner Unternehmen nachkommt.

Kann es sein, dass die Unternehmen keine Probleme sehen? Dass sie mit der derzeitigen Verkehrssituation einverstanden sind?

Insgesamt muss man leider sagen, dass die Botschaft unseres Projekttitels an die Betriebe, mitverantwortlich zu sein für die Lösung der Verkehrsprobleme, nicht angekommen ist. Das erschreckende Ergebnis ist tatsächlich, dass 93 Prozent der 180 Betriebe angegeben haben, dass weitere Maßnahmen in Richtung betriebliches Mobilitätsmanagement nicht vorgesehen sind. Einige leuchtende Beispiele gibt es natürlich trotzdem. Interessant war für mich in diesem Zusammenhang die Aussage eines leitenden Mitarbeiters der auf diesem Sektor sehr aktiven Deutschen Post AG: Früher sei es in seinem Unternehmen das Größte gewesen, einen eigenen Dienstwagen zu besitzen, heute stehe für die Mitarbeiter an erster Stelle der Wunsch, eine Wohnung in Bonn zu haben – und damit erst gar keine weiten Wege zum Arbeitsplatz fahren zu müssen.

Interview: Uta Linnert

fairkehr 5/2023