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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 5/2013

Fahrt ins Grüne

Die Deutsche Bahn kauft seit Anfang April Ökostrom für alle Bahncard- und Zeitkartenkunden ein. Sie will Vorreiterin bei der Energiewende sein. Grünfärberei, sagen Kritiker.

Foto: Jet-Foto Kranert/DB AGDie drei von der Grünstrom-Tankstelle: DB-Chef Rüdiger Grube, Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer und Ulrich Homburg, Vorstand DB-Personenverkehr, präsentierten die grünen Bahncards offiziell im November 2012.

Entspannt wirkte Karl-Friedrich Rausch, als er in der zweiten Septemberwoche vor die Presse trat. Endlich konnte ein Vorstand der Deutschen Bahn (DB) wieder positive Nachrichten verkünden. Die Probleme nach dem Juli-Hochwasser auf der wichtigen Strecke zwischen Stendal und Rathenow, die für ein Viertel der Passagiere seit Wochen Umleitungen und längere Fahrtzeiten bedeuten, und vor allem das selbstverschuldete Stellwerkschaos im Mainzer Hauptbahnhof im August hatten dem Unternehmen Negativschlagzeilen wie lange nicht mehr beschert.

„Bereits 2015 werden 35 Prozent des Bahnstrommixes auf Ökostrom basieren, damit erreichen wir unser selbst gestecktes Ziel fünf Jahre früher“, betonte Rausch, DB-Vorstand Transport und Logistik sowie verantwortlich für das Nachhaltigkeitsressort, sichtlich zufrieden.

35 Prozent, dahinter stecken gewaltige Mengen. Die DB braucht jedes Jahr an die zwölf Milliarden Kilowattstunden (kWh) Strom, damit ist sie größte industrielle Stromverbraucherin hierzulande. Zum Vergleich: Im Großraum Berlin liegt der Strombedarf in etwa auf dem gleichen Niveau. Die Ruhrgebietsstadt Essen könnte damit zwölfmal versorgt werden – bis auf die große Aluminiumhütte.

Die Bahn gilt als umweltfreundliches Verkehrsmittel, ihr Strommix ist es lange noch nicht. Ende vergangenen Jahres lag der Ökostromanteil lediglich bei 24 Prozent. Stein- und Braunkohle steuerten zusammen knapp 46 Prozent zur Beschaffung bei, Erdgas etwas über 8 Prozent und die Atomkraft immerhin 20 Prozent. Eine nachhaltige Strombilanz sieht anders aus.
Für die von DB-Vorstand Rausch bejubelte Vergrünung gibt es einen Grund: Seit dem 1. April 2013 fahren alle Züge im Fernverkehr, egal ob ICE, IC oder EC, mit grünem Strom – aus Verantwortung für die nächste Generation, wie das Bahn-Management nicht müde wird zu wiederholen. Seit fünfeinhalb Monaten reisen Besitzer von Bahncards oder einer Zeitkarte CO2-frei durch die Republik, ohne Aufpreis für den Ökostrom. Für die Fahrten von Firmenkunden, die beim bahn.corporate-Programm angemeldet sind, kauft die DB ebenfalls Strom aus 100 Prozent erneuerbaren Quellen.

Mehr als fünf Millionen Bundesbürger zählen zu dieser Kundenklientel. Die Deutsche Bahn weiß ziemlich genau, wie viele Kilometer diese „Stammkunden“ im Schnitt fahren und – das ist entscheidend – welche Strommengen dafür benötigt werden. Nach eigener Rechnung muss die DB deshalb nun zusätzlich für 75 Prozent aller Fahrten im Fernverkehr Ökostrom beschaffen. Den grünen Schwenk beim Stromeinkauf lässt sich die Fernverkehrssparte nach eigenen Angaben jährlich einen zweistelligen Millionenbetrag kosten.

Allerdings eben ausschließlich der Fernverkehr. Im vergangenen Jahr nutzten 131 Millionen Fahrgäste die DB-Fernverkehrszüge, im Regionalverkehr wa­ren 1,9 Milliarden Reisende unterwegs, also 14-mal so viel. Das heißt, die meisten DB-Kunden fahren auch weiterhin ohne Ökostrom.

Kritik: ein reiner PR-Gag

Das ist nicht der einzige Kritikpunkt: Für ihre „Vergrünung“ setzt die Deutsche Bahn überwiegend auf Wasserkraftstrom. Dafür hatte sie bereits in den vergangenen Jahren langfristige Lieferverträge mit Eon – jährliches Liefervolumen: 600 Millionen kWh – und vor allem mit dem RWE-Konzern – jährliches Liefervolumen: 900 Millionen kWh – abgeschlossen. Vor wenigen Wochen kam der nächste Kontrakt mit dem österreichischen Verbund hinzu, jährliches Liefervolumen: 300 Millionen kWh.

„Aus dieser Strombereitstellung lässt sich kein relevanter Umweltnutzen ableiten“, sagt Wiebke Zimmer. Die Verkehrs- und Klimaexpertin am Öko-Institut ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des VCD. Die DB, sagt Zimmer, sei eine wichtige Akteurin mit Vorbildfunktion für das Erreichen der nationalen Klimaziele: „Deshalb muss sie ein Produkt anbieten, das einen zusätzlichen Umweltnutzen anbietet und nicht nur Wasserkraftstrom aus alten, abgeschriebenen Wasserkraftwerken.“

Dominik Seebach, Zimmers Energie-Kollege am Öko-Institut, attestiert der DB trotz ihrer grünen Bahncard nur wenig ambitionierte Ziele bei der Nutzung erneuerbarer Energien: „Um sich als Vorreiterin der Energiewende zu präsentieren, reicht es nicht.

Da muss die DB mehr tun, als nur im Bahnstrommix Erneuerbaren-Anteile anzustreben, die dem gesetzlich festgelegten Ausbaupfad in Deutschland entsprechen.“ Bei den selbst gesteckten Ansprüchen müsse die Bahn also deutlich höhere Erneuerbaren-Ziele anlegen, so Seebach. Seine Forderung: Um bei der Strombeschaffung und bei der Eigenerzeugung einen aktiveren Beitrag zur Energiewende zu leisten, muss die Bahn aktiv neue Ökostromquellen zubauen oder überschüssige Ökostrommengen aus der allgemeinen Erzeugung und vom allgemeinen Strommarkt ins Bahnstromnetz integrieren.

Nachfrage ist besser als nichts

Bis Ende dieser Dekade will die Bundesregierung nach derzeitigen Plänen den Ökostromanteil von derzeit gut 25 auf 35 Prozent erhöhen. Machbar ist weit mehr: So hatten die Verbände der erneuerbaren Energien schon im Jahr 2009 eine Studie vorgelegt, wonach der Ökostromanteil Ende dieses Jahrzehnts bei 47 Prozent liegen könnte. Was für ein Industrieland wie Deutschland schon eine Hausmarke wäre.
Für Uwe Leprich ist die grüne Bahncard deshalb „ein reiner PR-Gag, weil es nur um Greenwashing der DB geht“. Seine Verärgerung bringt der Energiewissenschaftler der Saarbrücker Hochschule zugespitzt so auf den Punkt: „Stell dir vor, es gäbe die grüne Bahncard nicht, dann würde sich weltweit für die Umwelt und das Klima nichts ändern.“

Solche Sätze hat Birgit Carlstaedt in den zurückliegenden Monaten immer wieder gehört. „Stellen Sie sich vor, jedes Unternehmen würde eine solche Initiative starten wie die Bahn. Das würde einen Preisdruck auslösen, der einen Anreiz auslöst, zusätzliche Ökostromkapazitäten zu schaffen“, kontert die langjährige Leiterin Energiebeschaffungs-/Risikomanagement bei DB Energie. Sechs Prozent der hierzulande frei verfügbaren Ökostrommengen habe allein DB Energie derzeit unter Vertrag. Damit alles korrekt zugeht, lässt die Bahn ihren Grünstrombezug vom TÜV Süd zertifizieren.

Den Kritikern der grünen Bahncard hält Carlstaedt einen Denkfehler vor. „Sie unterstellen, dass die Nachfrage nach Ökostrom identisch bleibt. Es ist auch in unserem Interesse, dass weitere regenerative Kraftwerke zugebaut werden.“ So habe die DB mittlerweile 48 Windturbinen aus der Direktvermarktung unter Vertrag genommen. Weitere und auch Biomasseanlagen sollen folgen.

Dass die DB eines Tages nur mit Windstrom unterwegs sein wird, hält die Beschaffungs-Chefin für ausgeschlossen. „Die fluktuierenden Energien in unser Netz einzubinden, dem sind Grenzen gesetzt. Um die Versorgungssicherheit langfristig zu garantieren, werden wir weiterhin schwerpunktmäßig Wasserkraft einkaufen“, so Carlstaedt. Mit diesen langfristigen Kontrakten hält sie es für „ziemlich ausgeschlossen“, dass DB Energie eigene Windparks betreiben wird: „Wir haben auch die Beteiligung an einem Offshore-Windpark geprüft. Allerdings ist dieser Strom auf Jahre hinaus teurer als Windstrom an Land.“

Für die Auswahl der Wasserkraftwerke gibt es bei DB Energie eine entscheidende Hürde. „Die Anlagen müssen UBA-fähig sein“, betont Carlstaedt. Das heißt, die Wasserkraftwerke müssen im neuen Herkunftsnachweisregister gelistet sein, das beim Umweltbundesamt geführt wird. „Mit ihren Wasserkraftwerken haben RWE und Eon diesen quasi amtlichen Stempel, der vielen kleineren Betreibern noch fehlt“, erklärt Carlstaedt. Dieser Stempel verhindere, dass der Wasserkraftstrom doppelt vermarktet werde.

Dass die Bahn künftig komplett eigene Ökokraftwerke betreibe, sei unwahrscheinlich, so Carlstaedt. Der Vorstand in Berlin setze andere Investitionsschwerpunkte in Schiene und Infrastruktur. Deshalb werde DB Energie weiterhin Strom einkaufen und nicht selbst erzeugen.

100 Prozent Öko bis 2030

Für den VCD-Bundesvorsitzenden Michael Ziesak ist das zu wenig: „Wenn die Bahn den Anspruch erhebt, Umwelt-Vorreiterin zu werden, kommt sie am Betrieb neuer Ökokraftwerke nicht vorbei.“ Dass sich die Bahn bislang einen 35-prozentigen Ökostromanteil bis 2020 zum Ziel gesetzt hat, findet er wenig ambitioniert. „Das ist nicht mehr als das offizielle Regierungsziel. Bei der DB muss einfach mehr kommen, 2030 und nicht erst 2050 muss es einen hundertprozentigen Ökostrommix geben.“
Dass die Deutsche Bahn Strom aus dem umstrittenen Eon-Kohlekraftwerk Datteln IV am nördlichen Rand des Ruhrgebietes beziehen will, sofern der gigantische Block mit einer Leistung von 1100 Megawatt eine Betriebserlaubnis erhält, nennt Ziesak eine Täuschung: „An der umweltschädlichen Kohle festhalten und sich gleichzeitig mit einer grünen Bahncard als Ökovorreiter zu positionieren, ist nur bedingt glaubwürdig.“

Was sein größter Fehler in seiner damals gut vierjährigen Zeit als Bahnchef gewesen sei, wollte im Frühjahr die Wochenzeitung Zeit von Rüdiger Grube wissen. „Wir hätten schon früher damit anfangen sollen, die Umweltvorreiterschaft des Konzerns in den Vordergrund zu stellen“, antwortete der frühere Daimler-Manager. Allerdings ist Grube selbst kein Umwelt-Vorreiter: Im Sommer 2010 unterschrieb der DB-Chef den sogenannten energiepolitischen Appell zur Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke, getragen vom Bundesverband der Industrie und insbesondere dem damaligen RWE-Chef Jürgen Großmann.

Im zurückliegenden Herbst machte Grube sich für das umstrittene, nach wie vor unvollendete Kohlekraftwerk in Datteln stark, das auch Bahnstrom liefern soll. Ohne eine schnelle Inbetriebnahme, so Grube damals, könne es im Ruhrgebiet und Nordrhein-Westfalen während der Wintermonate zu Zugausfällen kommen. Dass diese einseitige Parteinahme Grubes Image in Umweltkreisen nicht förderte, liegt auf der Hand.

Mit der Ökostrom-Bahncard hat sich die Bahn zumindest gegenüber der neuen Konkurrenz, den Fernbussen, deutlich an die grüne Pole Position gesetzt. Dank der Erhöhung des Grünstromanteils fallen für einen Bahnkilometer nur noch

14 Gramm Kohlendioxid an, Fernbusse bringen es auf gut 30 und private Pkw sogar auf 100 Gramm. „Dass die Bahn die grüne Bahncard just mit dem Start der ersten Fernbusse auf den Markt gebracht hat, ist sicherlich kein Zufall“, sagt Wiebke Zimmer vom wissenschaftlichen Beirat des VCD augenzwinkernd.

Ralf Köpke

Die DB und der Ökostrom-Markt

Foto: Jet-Foto Kranert/DB AGEin grüner Stecker war das Symbol bei der Verkündung der DB-Ökostrom-Offensive.

Sechs Prozent der frei verfügbaren Ökostrommengen hat die DB bislang unter Vertrag genommen. Dieser Strom kommt überwiegend aus älteren Wasserkraftwerken. Den Strom vom Windmüller um die Ecke zu beziehen, ist kaum möglich. Entweder erhält der eine Vergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Das EEG schließt eine Doppelvermarktung des eingespeisten Stroms aus. Oder der Windmüller lässt seinen Strom über einen Dienstleister ­direkt vermarkten. Dafür meldet er seine Turbine aus dem EEG-Regime ab. Bei dem derzeitigen Modell für die Direktvermarktung wird der Strom an der Börse gehandelt. Die vorgesehene Marktprämie teilen sich in der Regel Windmüller und Dienstleister.

Weitere grüne DB-Angebote

Neben Bahncard- und Zeitkarten-Kunden haben alle Reisenden die Möglichkeit, ein UmweltPlus-Ticket für Fernfahrten zu kaufen: Sie zahlen freiwillig einen Euro mehr, um mit Ökostrom zu fahren.
Nach DB-Angaben haben zwischen Anfang April bis Ende August über 90000 Fahrgäste diesen Aufschlag gezahlt. Damit habe die Bahn noch nicht ihr Ziel erreicht, heißt es bei DB Fernverkehr. Man arbeitet noch dran. Mit den zusätzlichen Einnahmen finanziert die Deutsche Bahn zum einen den Ökostromeinkauf für die UmweltPlus-Kunden. Ein Teil dieser Gelder wie auch der Gelder aus dem EcoPlus-Angebot für Güterverkehrskunden fließt in neue Energieprojekte. So hat die Bahn mit 500000 Euro das Hybridkraftwerk der Firma Enertrag AG im brandenburgischen Prenzlau unterstützt, das überschüssigen Windstrom umwandelt und als Wasserstoff speichert.

fairkehr 5/2023