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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 5/2013

Die neue Busklasse

Seit wenigen Monaten sind Linienbusse deutschlandweit unterwegs – seitdem wandelt sich ihr Image. Altbacken ist plötzlich nichts mehr. Die Bahn sieht der VCD dadurch nicht bedroht.

Foto: Verena Brandt/Mein FernbusDie Fernbus-Unternehmen geben sich grün: „Mein Fernbus“ lackiert die Busse grün-orange und bietet klimaneutrale Fahrten an.

Es ist ein Test, es werden interessante Stunden. Es geht um Zeit, um Geld, um Komfort – und darum, umweltfreundlich unterwegs zu sein. Die Geschichte beginnt am Zentralen Omnibusbahnhof Berlin. An einem Donnerstag im August. Sie endet in Leipzig, wenn 41 Passagiere 185 Kilometer in einem grünen „Mein Fernbus“ zurückgelegt haben. Der Fahrer – ein freundlicher Mann, weißes Hemd, Jeans – wird kurz ins Mikrofon sagen: „Hiermit verabschiede ich mich. Schönen Abend! Bis zum nächsten Mal.“ Bis zum nächsten Mal?

Auf den Straßen kommt einiges in Bewegung, nachdem 2012 das Personenbeförderungsgesetz novelliert wurde und die Änderungen Anfang 2013 in Kraft traten. Seitdem ist der Fernlinienbusverkehr liberalisiert. Zuvor durften nur die DB AG und handverlesene Unternehmen Fernbusreisen anbieten. Etwa nach Berlin, das vor dem Mauerfall nur mit der DDR-Reichsbahn zu erreichen war. Ansonsten sollte das Verkehrsmittel Bahn geschützt werden. Nun sind alle Strecken über 50 Kilometer oder über eine Stunde Fahrtdauer freigegeben.
Seither fahren die Busse quer durch die Republik. Zu Orten, die per Bahn nur mit Umsteigen und Ausdauer zu erreichen sind. Oder in Ballungsräume, schnelle Strecke zwischen Rhein und Ruhr. Und eben von Berlin nach Leipzig. Früher legte man längere Busstrecken vor allem auf Schulausflügen oder Kegelfahrten zurück. Das

Image, das dabei entstand: altbacken. Und heute?

Berlin, Zentraler Omnibusbahnhof. Er steht seit Jahrzehnten. Hip ist da nichts, zentral auch nicht. Der ZOB liegt in der Nähe des Autobahndreiecks Funkturm, bei Messe und Kongresszentrum. Von der U-Bahnlinie 2, Ausstieg Kaiserdamm, läuft man zu Fuß. Autos rasen vorbei, Schilder gibt es kaum. Man verirrt sich leicht. Haltestelle 4: „Autokraft aus Emden, 15:45, unbestimmt später“, Haltestelle 6: „»Mein Fernbus« aus Wittmund, 17:15, ca. 30 Minuten später“. Haltestelle 9: „»Mein Fernbus« aus Bonn, ca. 45 Minuten später“. Auf den ersten Blick ist klar: Geduld ist wichtig.

Der Bus nach Leipzig kommt immerhin pünktlich. Der Busfahrer legt ein schwarzes Rennrad in den Kofferraum. Ganz einfach sieht das aus. Fünf könne er mitnehmen, sagt er, noch nie habe es ein Problem gegeben. Das Gepäck kann noch so sperrig sein, es ist genug Platz da. „Das kann bei der Bahn anders sein“, sagt Lukas. Ihm, Typ Berliner Hipster, gehört das Rad.

Ein Freund sei mal mit der Bahn von Berlin nach Leipzig gefahren – also er hätte fahren wollen, berichtet Lukas. Denn der Regionalexpress kam nie in Leipzig an. Alle Passagiere mussten am Ende umsteigen in einen Bus, Schienenersatzverkehr. Der Busfahrer weigerte sich, das Rad mitzunehmen. Und der Schaffner habe danebengestanden und gesagt: „Fahrradmitnahme ist immer von den Umständen abhängig.“ Solche Sachen erzählen sich die Passagiere vor dem Fernbus. Die meisten sind jung, Studierende, Schüler. Sie haben viel Geduld – und kaum Geld.

Vertrauenskasse beim Fahrer

Die Preise sind unschlagbar. Von Berlin nach Leipzig oder von München nach Stuttgart kommt man derzeit schon für acht Euro, zumindest wenn man drei Tage vorher bucht. Die Bahn kann da selten mithalten. Auch Mitfahrgelegenheiten sind nicht immer günstiger. Gebucht wird online oder im Reisebüro.

Eine Frau und ein Mann, die einzigen Fahrgäste über 60 Jahre auf der Fahrt nach Leipzig an diesem Tag, haben ein Ticket für den Bus um 18:30 Uhr, also anderthalb Stunden später. Es ist ihr Versehen. Der Fahrer ruft in der Zentrale an, kurzes Hin und Her: „Wird umgebucht.“ Wie freundlich. Die beiden steigen ein, suchen sich einen Platz, packen Wiener Würstchen und ein Sudokuheft aus.

Richtig unangenehm wird es auf dieser Fahrt nie. Ein Sitz ist sicher, es werden nicht mehr Fahrkarten verkauft, als Plätze vorhanden sind. Nichts erinnert an die Klassenfahrt, an den Ausflug des Kegelvereins ins Sauerland, an die Busreise aufgeregter Touristen in die Rüdesheimer Glockengasse. Es gibt weder nölige Busfahrer noch grölende Mitreisende, keine kaugummiverklebten Sitze und kein übelriechendes Chemieklo. Die Klimaanlage läuft, es wird fast ein bisschen zu kalt. Die meisten setzen sofort große Kopfhörer auf und machen die Augen zu. Manch einer wählt sich ins businterne WLAN ein. Eine coole Gesellschaft.

Es hört kaum noch jemand richtig hin, als sich der Busfahrer kurz vor Abfahrt meldet. „Hallo, mein Name ist Herr Soundso.“ Auf dem Bildschirm oben vorn am Fenster ist der Routenverlauf zu sehen. Dann erklingt eine automatische Stimme: „Nutzen Sie bitte die Anschnallgurte.“ Wie im Flugzeug. „Die Vertrauenskasse steht vorne bei Ihrem Fahrer.“

Vertrauenskasse für die Bordverpflegung. Jeder kann sich aus einer Kiste beim Fahrer Erdnüsse, Gummibärchen oder Bifi nehmen. Kaffee gibt es auch: eine Tasse Fairtrade für 1,50 Euro. Das Geld legt jeder wortlos in eine Schachtel. Auf dem Schild neben dem Fahrersitz steht schließlich: „Bitte während der Fahrt nicht mit dem Fahrer sprechen.“

Auf dieser Fahrt will niemand etwas kaufen. Darum geht es auch nicht. Was zählt, sind der Service, der Komfort, der Ruf. Denn die Konkurrenz ist groß.
Die Suchmaschine busliniensuche.de listet 15 Anbieter für innerdeutsche Linien auf.

Den bisherigen Marktführer Berlin-Linien-Bus hat demnach das erst ein Jahr alte Unternehmen „Mein Fernbus“ schon auf den zweiten Platz verwiesen. Auch der Discounter Aldi ist als Vertriebspartner in den Fernbusmarkt eingestiegen. Die Tickets sind aber größtenteils teurer als bei der Konkurrenz. Ab Oktober schickt die Post zusammen mit dem ADAC die ersten Busse los. Der Markt ist umkämpft. Auf Dauer geht das nur für jene gut, die sich einen Namen machen. Sonst droht ihnen ein Schicksal wie dem Autobahnexpress. Das Potsdamer Unternehmen, das vor allem zwischen Potsdam, Leipzig, Dresden und Göttingen fuhr, war von Herbst 2009 bis Februar 2012 unterwegs. Damals hatte es eine extra Genehmigung nach dem Personenbeförderungsgesetz, weil das Angebot der Bahn als „nicht befriedigend“ galt. Doch dann saßen oft nur fünf Passagiere im Bus. Für eine Marketingkampagne reichte das Geld offenbar nicht.

Bus? Bahn? Beides!

Eine halbe Stunde Fahrt, der Bus ist auf der A9, auf dem Handy erscheint eine E-Mail: „Gute Fahrt mit »Mein Fernbus«!“ Das Unternehmen fragt, wie zufrieden die Passagiere sind. Noch gehts ganz gut, danke. Alle wollen eine Marke aufbauen, ein Image kreieren.

Das fängt bei der Farbe an. Die Krawatte des Busfahrers: grün-orange. Das Tuch über der Kiste mit den Snacks: grün-orange. Der Bus außen: grün-orange mit weißem Schriftzug: „Fahr grün“. Grün, also öko, geben sich alle Fernbusse.

„Diese Fahrt ist CO2-neutral“ steht auf dem Ticket, wenn man bei der Buchung zusätzlich eine Ökoabgabe zahlt. 14 Cent sind das für Berlin–Leipzig. ,Mein Fernbus’ arbeitet zum CO2-Ausgleich mit myclimate Deutschland zusammen. Das war lange einmalig, jetzt ziehen die ersten Busunternehmen nach. Allerdings zahlen längst nicht alle Passagiere den Aufschlag.

Dennoch kann sich die Klimabilanz der Busse im Vergleich zur Bahn sehen lassen, wenn man den Daten des Umweltbundesamtes von 2011 glaubt. Und wenn die Auslastung gut ist, das heißt über 60 Prozent. Dann liegt die CO2-Belastung für eine Person im Reisebus bei 30 Gramm pro Kilometer und für eine Person in der Bahn im Fernverkehr bei 41 Gramm. UBA-Chef Jochen Flasbarth sagt allerdings auch: „Angesichts des zunehmenden Ökostrom-Anteils im Bahnstrom ist der statische Vergleich der Klimabilanz unsinnig: Die Bahn ist dem Fernbus absehbar deutlich überlegen.“

„Ach, der Bus-Bahn-Vergleich“, sagt indes Heidi Tischmann, VCD-Bahnexpertin. Es sei falsch, beide gegeneinander auszuspielen. In Ländern wie Großbritannien und Schweden gebe es seit langem Fernbusse. „Der öffentliche Verkehr, auch die Eisenbahn, hat dort Fahrgäste hinzugewonnen“, so Tischmann. Die Bahn wird ihr Netz wegen der neuen Konkurrenz also nicht ausdünnen? „Die Angebote im Fernverkehr wurden in der Vergangenheit auch ohne Fernlinienbus ausgedünnt. Es kann sein, dass die DB bei weiteren Streichungen den Fernbus als Grund vorschiebt“, meint die VCD-Bahnreferentin. Die Bus-Bahn-Debatte gefällt ihr nicht: „Die lenkt nur ab von den großen Verschmutzern, von Flugzeug und Auto.“ Außerdem gebe es durch den Fernbus neue Angebote auf Strecken, die die DB nicht – mehr – bedient.

Bremsen. Stau. Der Bus steht. Blick aus dem Fenster. Der schwarze Audi und der schwarze BMW-Kombi kommen auch nicht voran, der Lamborghini steht ebenfalls. Das mag kein Durchschnitt sein, der sich auf den Nebenspuren
aneinanderreiht, doch der Trend zum wuchtigen Auto ist offensichtlich. Dabei sitzen nie mehr als drei Leute darin. Ihre Fahrt ist teuer. Der grüne Mercedes-Bus, die neue Busklasse mit ihren 41 Gästen, verbraucht auf der Strecke Berlin–Leipzig 25,7 Liter pro hundert Kilometer, das sind pro Kopf weniger als 0,7 Liter.

Während der Fahrt redet der Fahrer nicht. Man hätte sich gewünscht, dass er nach den 30 Minuten Stillstand erklärt, wann er mit der Ankunft in Leipzig rechnet. Doch er schweigt. Die Leute im Bus tun es auch. Ganz anders als in einem verspäteten Zug. Da würde es schon brodeln. Nur eine flüstert hier in ihr Handy: „Nächstes Mal lieber wieder Bahn.“ Ihr sind die Sitze zu eng und unbequem. Ihre Verabredung kann sie auch nicht einhalten. Das ist nichts für Geschäftsreisende und für Leute mit Terminen. Für viele andere ist der Bus ein Gewinn, irgendwie hip. Bis zum nächsten Mal.    

Hanna Gersmann

fairkehr 5/2023