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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 5/2013

Zug noch nicht abgefahren

Der VCD Nordost engagiert sich in einer Bürgerinitiative, die eine Bahnstrecke in Mecklenburg vorerst gerettet hat.

Foto: BI Pro Schiene Mecklenburgische SeeplatteEin Weihnachtsgeschenk: Die Bahn Mirow–Neustrelitz fuhr ab Dezember 2012 nahtlos weiter. Die Bürgerinitiaive demonstrierte für ein Gesamtkonzept.

Rettet die Schiene: Das gilt inbesondere für Regionen wie Mecklenburg-Vorpommern – landschaftlich schön, wirtschaftlich schwach, auf Touristen angewiesen. Und für die ist die Bahn ein wichtiges Transportmittel.

Als das Land im März 2012 ankündigte, die Strecke zwischen Neustrelitz und Mirow im Kreis Mecklenburgische Seenplatte zum Jahresende wegen Unwirtschaftlichkeit stillzulegen, formierte sich deshalb Widerstand. Die Betreiberin des an der Strecke liegenden Kinos Wesenberg Christiane Bongartz und zwei Mitstreiter luden zur Gründungssitzung der Bürgeriniative (BI) „Pro Schiene Mecklenburgische Seenplatte“. Ein Aus der Strecke wäre nicht nur schlecht für ein Land, das schon jetzt weitestgehend ÖPNV-frei ist. Es wäre auch deshalb fragwürdig, weil zuvor die Trasse saniert und ein Bahnübergang erneuert worden waren.

Das griff der VCD Nordost in einer Pressemitteilung auf. Christiane Bongartz, auf der Suche nach Unterstützern und Fachleuten für die BI, meldete sich daraufhin bei Vorstandsmitglied Torsten Wierschin aus Greifswald, zuständig für die VCD-Regionalgruppe Mecklenburg-Vorpommern. „Die BI für die Strecke Neu­strelitz–Mirow war das erste Projekt in Mecklenburg-Vorpommern, bei dem Leute sich zusammengefunden und ihre Eisenbahn verteidigt haben“, sagt der Mitarbeiter des Instituts für Mathematik und Informatik an der Uni Greifswald. Aus dem 100 Kilometer entfernten Greifs­wald versprach Wierschin Unterstützung. Er bringt – zusammen mit einem Vertreter des Verbands Pro Bahn – Bahnwissen und Kontakte zu Experten und zur Politik ein.

In der BI engagieren sich Bürger, die ihre Bahn nicht verlieren wollen, darunter viele, die vom Tourismus leben. Im Sommer 2012 sammelten die in Hochphasen bis zu 70 Aktiven Unterschriften pro Bahn. Gemeinsam mit den Bürgermeistern der Orte an der Strecke zogen sie nach Schwerin. Sie überreichten SPD-Ministerpräsident Erwin Sellering die knapp 12000 Unterschriften und demonstrierten für ein intelligentes Verkehrskonzept. Die BI forderte Runde Tische auf Landesebene. Tatsächlich einigten sich Land, Kreis und BI auf ein fünfjähriges Modellprojekt: Das Land hat die Verantwortung für den regionalen Bahnverkehr an den Kreis übergeben und zahlt ihm 300000 Euro im Jahr. Zuvor waren etwa 1,3 Milionen in die Strecke geflossen, die BI hält 650000 für nötig. Die Eisenbahngesellschaft Potsdam (EGP) fährt seit Dezember 2012 viermal täglich hin und zurück, in der Hauptsaison sechsmal.

Nach zwei Jahren soll Zwischenbilanz gezogen werden. Alle Beteiligten erstellen zurzeit gemeinsam ein Konzept, wie sich Bus und Bahn in der Region künftig vertakten und Parallelfahrten abbauen lassen. Eine vermutlich langwierige Aufgabe – doch das Unternehmen KCW, das die Runden Tische moderierte, hält sie für wegweisend: „Die Anlage des Modellprojektes lässt Erkenntnisse erwarten, mit denen die ÖPNV-Planung in Mecklenburg-Vorpommern innoviert werden kann“, heißt es im Abschlussbericht. Die Berater loben das Engagement der BI, das entscheidend zum Erhalt der Bahnstrecke beigetragen habe: „Sie agierte gut vernetzt, unnachgiebig und verbindlich.“

Nur nicht den Mund halten

Christiane Bongartz und ihre Mitstreiter haben Vorschläge erarbeitet, wie Touristiker stärker für die Bahnstrecke werben könnten. Außerdem tauschen sie sich regelmäßig mit der EGP aus. „Wir begleiten den Bahnbetrieb“, sagt Bongartz, „und gleichen ab, was rund läuft und was nicht, was man besser machen könnte.“

Torsten Wierschin vom VCD Nordost will jetzt vor allem Kontakte knüpfen mit anderen Initiativen, die ebenfalls für ihre Bahnstrecken kämpfen – sich austauschen, sich gegenseitig helfen. Dass das wichtig ist, zeigt das Beispiel Neustrelitz–Hagenow, eine Strecke, die ebenfalls stillgelegt werden soll. Ein Zweig der BI ist auch da bereits aktiv. „Die Leute vor Ort dürfen nicht den Mund halten, sie müssen an Zeitungen schreiben, Bürgermeistern, Kreis und Land die Tür einrennen“, sagt Christiane Bongartz. „Sonst ist die Strecke tot.“   

Kirsten Lange

fairkehr 5/2023