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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 4/2013

Krongarten – neues Kronjuwel

In Wien wird für ein paar Monate aus einem Stück Straßenparkplatz ein Garten. Und plötzlich macht sich Leben breit. Ein Beispiel, das Schule machen sollte.

Foto: HinterlandBeispiel Wien, Österreich: Es gibt viele gute Möglichkeiten eine Straße zu nutzen.

Anfangs waren da rein egoistische Motive“, sagt Gudrun Wallenböck. „Wer schaut schon gerne aus seinem Erdgeschosslokal auf lauter Autos raus?“ Die studierte Architektin und Kulturmanagerin betreibt hier in der Krongasse 20 in Margareten, dem fünften Wiener Gemeindebezirk, seit fünf Jahren ihre Galerie „Hinterland“ – Ausstellungsort für junge zeitgenössische Kunst und ihre eigene Modekollektion.
Normalerweise setzt sich niemand auf einen Parkplatz, es sei denn, er sitzt im Auto. „Machen Sie das einmal – die Wahrnehmung der Straße ändert sich sofort“, stiftet Wallenböck zur Nachahmung an. „Es sind ganze eindreiviertel Parkplätze, die unser Krongarten einnimmt, das klingt wenig. Doch wenn da plötzlich Rasen liegt, wo sonst Autos stehen, sieht man, wie viel Platz das ist“, sagt sie. Plötzlich belebt sich dieser Platz. Menschen reden miteinander: Passanten, die zufällig vorbeikommen, Leute, die gezielt herkommen, Autofahrer, die anhalten. „Es entsteht ein Nachdenken und Diskutieren über den öffentlichen Raum. Es zeigt, der öffentliche Raum ist für alle da und für viele Zwecke“, sagt Gudrun Wallenböck, die seit vielen Jahren internationale Projekte und Workshops über Kunst und Raum organisiert.

Die Entstehung

Ein großes Konzept gab es nicht. Der Krongarten hat sich nach und nach entwickelt. Kräuter, Salat, Tomaten stellte die Architektin schon länger in Töpfen vor die Tür, zwei Johannisbeerbäumchen kamen dazu. Seit zwei Jahren gibt es Veranstaltungen vorm Geschäft, auf Gehsteig und Parkplatz.

Die Kollegin aus dem Nachbargeschäft „Feine Dinge“ erfuhr von einem Obstbauern, der in Rente ging und seine hölzernen Obstkisten verkaufte. Daraus entstand der Zaun als Abgrenzung zur Straße und die Idee, die Kisten zu bepflanzen. „Heuer haben wir viel mehr Obstkisten zum freien Bepflanzen gelassen – die Leute bringen selber Samen und Pflanzen vorbei“, erzählt Wallenböck.

Die Bewilligung

Rund acht Monate war die Galeristin unterwegs, bis die Gemeinde 2012 ihr Gärtlein bewilligte. Insgesamt neun Ämter lernte sie dabei kennen. Für ihren Plan gab es keinen Präzedenzfall. Denn Wallenböck wollte eine vom Konsumzwang befreite Grünzone und keinen „Schanigarten“, einen jener temporären Gasthausgärten auf der Gasse. Ihre Hartnäckigkeit war erfolgreich. Die Bewilligung galt für drei Monate, etwas kurz für eine Gartensaison, wie Wallenböck bedauert. In diesem Jahr war alles schon viel leichter: Es war ein Gang zu nur einer Stelle nötig, die die Bewilligung intern erledigte – und auch der Bezirk setzte sich ein.

Fotos: Hinterland

Die Resonanz

Gudrun Wallenböck staunt, welche Kontroversen so ein natürliches, freundliches Projekt auslöst, das nichts kaputt macht. Sie hält das für wienspezifisch. Der Wiener, die Wienerin beschwert sich gern über alles, was neu und ungewohnt ist. Und lässt sich Bosheiten einfallen. Wallenböck deutet auf die gelben Flecken im Rasen: Hundeurin. Sie muss es wissen, als zumindest halbe Wienerin. Doch rasch bekommt die andere Hälfte oberhand: „Die positiven Erlebnisse überwiegen bei weitem“, sagt sie. „Das Staunen, das Entdecken, die Freude über den neuen Mikrokosmos, der durch so ein Stück Rasen in der Stadt entsteht.“ Der Garten kühlt im Sommer. Die Tierwelt stellt sich ein: Libellen, Hummeln, Bienen, Regenwürmer, Kartoffelkäfer. Und er verführt die Menschen zum Innehalten und zu einer kleinen persönlichen Auszeit. Sie lassen sich nieder auf einem der Liegestühle, die mit Wolken bedruckt den Himmel auf die Erde holen. Leute reisten schon extra aus Berlin, Amsterdam und der Schweiz an, um die zehn Quadratmeter Grün zu bestaunen und zu genießen. Der englische „Guardian“ hat ausführlich darüber berichtet. Und Nachbarn bringen ihre Pflanzen auf Sommerfrische vorbei, wenn sie wegfahren.

Das Beispiel soll Schule machen, wünscht sich Wallenböck: Zahlreiche „Krongärtlein“ in ganz Wien und darüber hinaus sollen erblühen. Dafür können künftige Krongärtner in Wallenböcks Laden „Hinterland“ Erde tanken, Samen holen und das eigene Kronjuwel zu Hause vor die Tür stellen. „Im Internet werden sie alle vernetzt“, so Wallenböcks Plan.

Die Kosten

Auf die möglichen Nachahmer kommen allerdings Ausgaben zu. „So ein Kleingarten mitten in der Stadt kostet viel Geld und Zeit“, gibt Gudrun Wallenböck zu. Er braucht Wasser, Stromanschluss, und der Rasen muss gemäht werden. Mit rund 5000 Euro beziffert sie die Kosten im Jahr 2012. Da ist der Zeitaufwand noch nicht mitgerechnet. Dieses Jahr hat die Architektin deshalb Sponsoren gesucht: So lieferte die Wiener Umweltstadträtin dreieinhalb Tonnen Erde, ein Rollrasenhersteller das Grün, eine Gartengerätefirma das Werkzeug.
Obwohl es weder Vorbild noch Regel gibt, fordert die Behörde für den aus der Art gefallenen Parkplatz Gebühren. Eine Rechnung über 280 Euro ist dieses Jahr bereits ins Gärtlein geflattert, im Vorjahr waren es vier – für jeden Monat eine. Ein Parkpickerl fürs Auto der Anwohner kostet hier 290 Euro – für zwei Jahre.

Christian Höller

fairkehr 5/2023