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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Reise 4/2013

Wirte der Wende

Auf dem Mieminger Plateau in Tirol wurde im vergangenen Winter der letzte Lift abmontiert. Seitdem kommen mehr Touristen als zuvor.

Foto: Sonnenplateau MiemingWandern vor der Mieminger Kette: Der Gipfel des Hochplattig ist mit 2776 Metern die höchste Erhebung des Gebirgszuges.

Zwischen den Antworten auf die Frage, wie die Zukunft aussehen soll, liegen manchmal Welten. Manchmal aber auch nur der Tresen einer Bar. Auf der einen Seite steht Hermann Föger, über der Schulter ein Küchentuch, und zapft ein Bier. Föger ist Seniorwirt des Hotel Stern, in dessen Bauch der Tresen steht. Außerdem Bürgermeister der Tiroler Gemeinde Obsteig und, jetzt kommt’s, Ex-Geschäftsführer der Liftgesellschaft, die bis vor einem Jahr die örtliche Seilbahn betrieb.

Die einzige Seilbahn auf dem Mieminger Plateau, an der einzigen Piste. Seit Langem veraltet und marode, wegen des geringen Tempos als „Besinnungslift“ verspottet. „Weg damit“, sagten die einen, die Finanzen der Gemeinde im Blick. „Ein Tiroler Ferienort ohne Skilift? Das geht nicht!“, sagten die anderen. Der Streit um die Sanierung wurde erbittert geführt. 15 Jahre lang, dann gab es eine Mehrheit für den Abbau. Fögers Mehrheit war das nicht.

An der anderen Seite des Tresens lehnt der Sohn. Föger heißt auch er, Rene mit Vornamen, er führt den Familienbetrieb seit 2004. Föger junior ist 35, sein Acht-Tage-Bart und das Cordsakko verleihen ihm die Anmutung eines jungen Erdkunde-Lehrers. Zumindest, bis er sich umdreht, um beim Vater ein neues Bier zu bestellen. „Revolution“ ist mit hellem Zwirn zwischen den Schulterblättern in den braunen Stoff gestickt. „Wir haben die vergangenen 30 Jahre touristisch komplett verschlafen“, sagt er und nimmt einen Schluck Bier. „Zum Glück“, schiebt er hinterher.(zum Interview mit Rene Föger)

Besonders viel Sonne

Die Revolution, die Rene Föger auf seinen Schultern ankündigt, ist in seiner Heimat bereits im Gange. Sie rührt an den Grundfesten der Tiroler Identität und wirft bisherige touristische Gewissheiten über den Haufen: Im Sommer, das war bisher die gängige Denkart, da lockt man Wandertouristen zur Buttermilch auf die Almen. Ein paar Kletterer und Mountainbiker noch, ansonsten präpariert man die Schneisen der Pisten und wartet die Lifte. Denn das Geld, das wird im Winter verdient, wenn die Skifahrer kommen.

Nur: Nach Obsteig kamen sie nicht mehr. Mit dem Bau des Liftes auf den Grünberg im Jahr 1970 gehörte man zwar noch zur Avantgarde. Doch während in den folgenden Jahrzehnten andere Ferienorte erst gleich- und dann vorbeizogen, veränderte sich im Obsteiger Wintertourismus: nichts. Die geografische Beschaffenheit des Plateaus ließ auch nicht viel zu: Im Süden öffnet es sich zum Inntal, über dem es wie eine Terrasse liegt. Hier lassen sich keine Lifte bauen. Auf der Nordseite erhebt sich das Mieminger Gebirge, viel zu steil und schroff, um es für gewöhnliche Skifahrer zu erschließen. Blieb der Grünberg, ein Hügel eher, mit nur einer Piste über knappe 500 Höhenmeter hinweg.

Foto: Familien-Landhotel SternErfahrungen mit Tieren machen Stadt­kinder im Urlaub oft zum ersten Mal.

Doch die besondere Plateaulage hat auch Vorteile. Viel Sonne zum Beispiel, von der die Ferienorte in den schattigen Tälern nur träumen können. Einen tollen Ausblick auf die Gipfel der Ötztaler und Stubaier Alpen auf der anderen Seite des Inntals. Eine für den Alpenraum ungewohnte Weite, auf der sich bis zu 80 Kilometer Loipe zwischen den kleinen Weilern und Lärchenwäldern spuren lassen. Und nicht zuletzt: Ruhe – gerade weil der Skizirkus hier nie heimisch wurde.

„Das sind doch alles Dinge, mit de­nen wir punkten können“, dachten sich einige in der Gemeinde. Es wurden mehr, als klar wurde, was eine Modernisierung des Liftes und eine Ausstattung mit Beschneiungsanlagen gekostet hätte: fünf Millionen Euro. Die Finanzierung wäre zwar möglich gewesen, denn das Land Tirol sagte zwei Millionen Euro Förderung zu. Den Rest hätten die Gemeinde und die Liftgesellschaft per Kredit gestemmt. Nur: Wozu? In Zeiten, in denen Worte wie Entschleunigung und Nachhaltigkeit immer stärker an Bedeutung gewinnen, kam Liftgegnern wie Rene Föger diese Form der Modernisierung wie ein direkter Weg in die Vergangenheit vor.

Wobei Rene Föger die Vergangenheit nicht pauschal ablehnt, im Gegenteil. Es kommt nur darauf an, welche Vergangenheit gemeint ist: Die jüngere, in der Wachstum um jeden Preis erreicht werden sollte? Oder die etwas weiter zurückliegende, als Tourismus noch unter dem Schlagwort Sommerfrische lief und die Bauern der Region nachhaltig wirtschafteten, ohne dieses Modewort überhaupt zu kennen? Mit dieser Vergangenheit kann sich Föger sogar sehr gut anfreunden.

Als der Sessellift im Dezember 2011 abgebaut wurde und nur ein paar Anlagen für Kinder erhalten blieben, überlegten einige auf dem Plateau, wie sie ihre Gäste überzeugen könnten, trotzdem noch zu kommen. Föger, der früher selbst im Marketing tätig war, sprach mit einer Werbeagentur. Die war begeistert: Es gibt doch sicher Publikum, das nicht trotz, sondern wegen des Liftabbaus kommt. Eine Zielgruppe, die für einen Touristiker nicht die schlechteste ist: „Grüne Reisende bleiben lange und haben Geld, das sie ausgeben möchten“, sagt Föger, der Jüngere. „Und weil’s ein neues Business ist, gibt es nicht zu viel Wettbewerb.“
 Also stellte er den Betrieb um. Bio war ihm zu wenig, das Landhotel Stern sollte klimaneutral werden. Um das zu erreichen, besann sich Föger teils auf die Wurzeln: Wie früher üblich, sind die Baumaterialien für die Sanierung des Hauses und die Zutaten für die Küche aus der Region, größtenteils aus Bioanbau. Geheizt wird wieder mit Holz, wenn auch mit einer modernen Hackschnitzel-Anlage. Und auf jedem Tisch und in jedem Zimmer steht stets eine Karaffe Leitungswasser. Das bringt zwar keinen Umsatz, muss aber nicht zum Hotel transportiert werden. Fögers Haus ist das dritte in Österreich, dass das Siegel „klimaneutral“ tragen darf. Jedes Jahr sollen weitere fünf bis zehn Prozent Kohlenstoffdioxid-Emissionen eingespart werden.

Foto: Familien-Landhotel SternNachhaltig wirtschaften: heimisches Holz für die Hackschnitzelheizung und die Renovierung des Hotels.

Mit dem Aus für den Lift drehten bei einigen Häusern die Gästezahlen ins Negative. „Die, die weitermachen wir bisher, verlieren“, sagt Föger. Was er damit auch sagen will: Die, die sich etwas einfallen lassen, profitieren. Neue Gäste kommen, etwa zum Skitourengehen. Zusammen mit zwei befreundeten Hoteliers kaufte Föger einige Sätze Ausrüstung. Die Bergführerin Petra Freund bietet nun mehrmals die Woche Kurse für die Hotelgäste an, Lawinenkunde inklusive. Die Piste am Grünberg wird weiter gespurt, ideales Einsteigergelände also auch für jene Gäste, die sich im Tiefschnee noch nicht unbedingt heimisch fühlen. Die Gegend bietet aber auch Touren für Fortgeschrittene. Außerdem gibt es Sonnenaufgangswanderungen mit Schneeschuhen, ein gespurtes Winterwander-Wegenetz und für alle Freunde des gepflegten Skigebiets einen regelmäßigen und kostenlosen Skibus nach Oetz.

Inzwischen liegen erste Zahlen für das Tourismusjahr 2012 vor. Und siehe da: Die Übernachtungszahlen sind nach Jahren der Stagnation auf dem Mieminger Plateau sogar leicht gestiegen. Den Generationenkonflikt hat das sicher ein wenig abgemildert, ganz beigelegt ist er noch nicht. Hinter seiner Theke träumt Föger senior noch ab und zu davon, dass es für den Pistentourismus eine Zukunft gibt. Hinten, bei den Weilern Aschland und Arzkasten, da könnte man doch einen Zubringerlift bauen, über das Marienbergjoch ins Skigebiet von Lermoos-Biberwier. Vor dem Tresen schüttelt Rene Föger seinen Kopf. „Vater“, sagt der Juniorwirt mit der Revolution auf dem Rücken, „wenn unser Betrieb in einem Skiort stehen würde wie Sölden – ich hätt’ ihn nicht übernehmen wollen.“

Moritz Baumstieger

Informationen

Sonnenplateau Mieming & Tirol Mitte, Tel.: 0043/52 62 62245

Anfahrt: Mit der Bahn nach Innsbruck, Imst oder Telfs. Manche Hotels bieten einen Abholservice vom Bahnhof an.

Übernachtung: Familien-Landhotel Stern, 6416 Obsteig, Österreich. Das Haus ist ausgezeichnet mit dem Österreichischen Umweltsiegel (s.S. 48) und hat 2012 den Tiroler Nachhaltigkeitspreis Trigos erhalten.
Tel.: 0043/52 64 81 01, www.hotelstern.at

fairkehr 5/2023