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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 3/2013

E-Volution auf vier Rädern

Der französische Automobilhersteller Renault hat das bisher mutigste Vehikel mit Elektromotor auf den Markt gebracht: das vierrädrige Kleinstauto Twizy. Eine Testfahrt mit einem Lächeln.

Foto: Leonie AdlerDie einen finden es süß, die anderen absolut alltagstauglich: Das Elektroauto Twizy kommt im Test gut an.

Kinder fällen ihr Urteil schnell. „Oh, wie süß!“ ist der einhellige Kommentar meiner beiden Töchter, als sie den 2,30 Meter kurzen Elektro-Renault zwischen all den Golfs, Audis und BMWs erblicken. Wir haben für einen Tag die Luxusvariante zum Test. Luxus heißt im Falle des Twizy: Unser Modell verfügt ausnahmsweise über angebastelte Seitenfenster. Diese sind serienmäßig nicht vorgesehen, sorgen aber bei knapp zehn Grad Außentemperatur immerhin für ein gewisses Wärmegefühl.

Also klappen wir die futuristischen Scherentüren nach oben und steigen ein. Der Twizy bietet zwei Menschen Platz. Der Fahrer hat’s dabei recht bequem, auch bei mehr als 1,80 Meter Körpergröße. Der Beifahrer sitzt hinter dem Fahrer und platziert seine Beine links und rechts des Fahrersitzes. Für meine beiden Kinder super – und auch für Erwachsene, wenn der Fahrer nicht gerade zwei Meter misst, absolut in Ordnung. (Technische Daten)

Das „Cockpit“ ist sehr übersichtlich. Ein Display zeigt die Geschwindigkeit und die restliche Reichweite. Dann gibt es noch Licht und Scheibenwischer, fertig. Die 18 PS, die der Elektromotor an Leistung produziert, bringen den 400 Kilo leichten Twizy schnell auf 30 oder 50 km/h. Die Spitzengeschwindigkeit des großen Modells liegt bei 80 km/h, es gibt auch eine Kleinversion mit 45 km/h Spitze.

Die Lenkung ist direkt, die Federung hart. Man ist ganz nah an der Straße. Ein bisschen fühlt sich das Ganze an wie Autoscooter-Fahren. Im Innenraum ruckelt und rappelt es, was vor allem mit den provisorischen Seitenfenstern zu tun hat. Von außen hört man fast nichts, wenn der E-Motor losschnurrt. Auf Parkplätzen und in Wohngebieten muss man daher sehr defensiv fahren, um Passanten und Radfahrer nicht zu erschrecken. Auf der großen Straße fällt der Twizy auf, auch ohne Krach. Viele Leute drehen die Köpfe, zeigen mit dem Finger auf uns, die meisten lächeln. Der Twizy erregt definitiv mehr Aufsehen als jeder Porsche.

Auch Taxifahrer mögen Twizy

Zwischen all den „normalen“ Autos kommt man sich mit dem Twizy klein vor. Für die Sicherheit sorgen Fahrer-Airbag, Vierpunkt- und Dreipunktgurt, Nackenstützen – und das oben erwähnte Aufsehen, das das Kleinfahrzeug auslöst. Sogar Taxifahrer zeigen sich freundlich.

Kommen wir zu all dem, was der Twizy nicht hat: keinen Tank, keine Heizung, schon gar keine Sitzheizung, keine Audio-Anlage, kein Navigationsgerät, keinen Kofferraum. Der Twizy tankt Strom und speichert ihn in einer knapp 100 Kilogramm schweren Lithium-Ionen-Batterie. Einmal Volltanken zieht rund acht Kilowattstunden aus dem Stromnetz. In unserem Fall natürlich Ökostrom von einem der konsequenten Anbieter, beispielsweise Lichtblick oder Naturstrom. Geladen wird an jeder ganz normalen Steckdose mit einem Kabel unter der Frontklappe. Das dauert rund drei Stunden und kostet nach derzeitigem Strompreis etwa zwei Euro. Bei sommerlichen Temperaturen schafft der E-Renault damit 100 Kilometer. All der elektrische Schnickschnack, den wir in unseren fahrenden Wohnzimmern für normal halten, würde im minimalistischen Elektromobil viele Kilometer Reichweite fressen.

Durch die Bescheidenheit in der Ausstattung sind die Ladezeiten des Twizy absolut alltagstauglich. Vor der „Sportschau“ war die Batterie auf rund ein Drittel geleert. Eine gute Stunde später hatte sie wieder 80 Prozent.

Wozu ein solches Mini-Auto, wird sich mancher gelernte Rennreiselimousinenfahrer fragen. Nur Mut zur Fantasie! Wenn all die Pendler, die morgens mit ihren Großraumkutschen einzeln zur Arbeit fahren und abends wieder zurück, auf ein leichtes E-Mobil wie den Twizy umstiegen, wäre viel gewonnen. Weniger Emissionen, weniger Krach, weniger Platzverbrauch. Und wenn Renault den Kleinen noch ein bisschen mehr auf Nutzen statt nur auf Spaß optimieren würde, also mit einer Lastentransportlösung, vielleicht einer dreisitzigen Variante, in jedem Fall mit Seitenfenstern und, ich gebs zu, einer Heizung, dann könnte er fast alle Alltagszwecke einer Familie erfüllen – mit Ausnahme der Fernfahrten zur Oma oder in den Urlaub.

Dass das kleine E-Mobil optimal in einer Carsharing-Flotte mit einem dichten Netz an Ladestationen funktionieren würde, versteht sich. Doch das ist eine andere Geschichte aus der Zukunft des Automobils.

Michael Adler

Technische Daten

Der Twizy ist 2,30 Meter lang und 1,20 Meter breit. Es gibt ihn in zwei Motorenvarianten: mit vier und mit dreizehn Kilowatt Leistung. Das kleinere Twizy-Modell dürfen bereits 16-Jährige mit dem Moped-Führerschein AM fahren. Das größere benötigt eine amtliche Zulassung und den Führerschein Klasse B. Die verschiedenen Modelle kosten in Deutschland zwischen 6990 und 8490 Euro. Für die Miete der Batterie kommen monatlich zwischen 50 und 72 Euro hinzu, je nach Fahrleistung und Laufzeit.

fairkehr 5/2023