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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 3/2013

Geteilte Autonomie

Immer mehr Menschen werden Carsharer. Dazu tragen auch die neuen flexiblen Formen des Autoteilens bei. Ihr ökologischer Nutzen ist allerdings noch nicht erwiesen.

Foto: Marcus GlogerDas passende Fahrzeug zur geplanten Zeit buchen – das geht bei klassischen Carsharing-Unternehmen.

Deutschland ist Vizeweltmeister – im Carsharing. 2012 nutzten etwa 500000 Deutsche das Auto der Anderen, so die Jahresbilanz des Bundesverbands Carsharing bcs. Damit liegt die Bundesrepublik im internationalen Vergleich auf Platz 2. In mehr als 340 Städten und Gemeinden können Einwohner auf stationsbasiertes Carsharing zurückgreifen, die klassische Form des Autoteilens. Registrierte Kunden holen ihr Wunschfahrzeug an einem festen Standort ab und parken es dort auch wieder. Von solchen Autoteilern gibt es mittlerweile 270000 in Deutschland, 20 Prozent mehr als im Vorjahr.

Einen weitaus größeren Sprung nach vorn haben die „Free Floating“-Angebote der Autohersteller und Mietwagenfirmen gemacht. 2012 gewannen car2go, DriveNow und Quicar in Hamburg, Köln, Berlin, München, Düsseldorf, Hannover sowie Ulm/Neu-Ulm 146000 neue Kunden. Zurzeit nutzen mehr als 183000 Menschen die Kurzzeit-Teilautos, die sie über die Stadt verteilt am Straßenrand finden.

Ökologisch nachhaltig?

„Die Präsenz dieser neuen Anbieter hat durchaus zu einer höheren Aufmerksamkeit fürs Carsharing allgemein geführt“, stellt Willi Loose fest, Chef des Bundesverbands Carsharing. Dennoch sieht er die Angebote der Autohersteller kritisch. „Noch weiß niemand, ob sie wirklich dazu beitragen, dass weniger Autos fahren, die ökologische Nachhaltigkeit steht also infrage. Möglicherweise führen sie sogar dazu, dass Leute für Kurzstrecken ins Auto statt in den Bus, die Bahn oder aufs Fahrrad steigen.“

Die Ursprungsmotivation der klassischen Carsharing-Unternehmen, deren Interessen der bcs in erster Linie vertritt, ist ganz klar: Autoteiler schaffen ihr eigenes Fahrzeug ab, fahren weniger als vorher und steigen häufiger auf ÖV, Fahrrad oder Füße um. Verschiedene Studien hätten genau diesen Effekt fürs stationsbasierte Carsharing belegt, so Loose. Für die „Free Floater“ gibt es solche Ergebnisse bislang nicht. Zurzeit laufen zwar Untersuchungen, unter anderem vom Sozialforschungsinstitut ISOE und dem Öko-Institut mit Geldern des Bundesumweltministeriums (siehe auch Seite 21) . Doch die ersten Resultate werden noch ein, zwei Jahre auf sich warten lassen. Sollte sich zeigen, dass auch flexibles Carsharing zu weniger Autofahrten führe, werde er seine skeptische Haltung aufgeben, sagt bcs-Geschäftsführer Loose.

Foto: Marcus GlogerStationsbasiertes Carsharing ist auf feste Standorte angewiesen.

Annäherung in Hannover

An der Leine gibt bereits Annäherungsversuche von Stadtmobil Hannover ans „Free Floating“. Seit einem Jahr bietet das traditionsreiche Carsharing-Unternehmen 30 kleine rote Fiats zur Spontanmiete an. „Es ist eine Möglichkeit, Fahrzeuge auch dort nah an die Nutzer zu bringen, wo wir sonst keine weiteren festen Stellplätze anmieten könnten“, sagte eine Stadtmobil-Sprecherin. Bislang nutzen allerdings erst 300 der etwa 4600 registrierten Kunden die „Stadtflitzer“ regelmäßig. „Sehr viele Kunden fahren so selten, dass sie sich mit dem neuen System erst später befassen wollen“, so die Sprecherin. Auch seien Planbarkeit und ein fester Stellplatz für viele weiterhin wichtiger als mehr Flexibilität. Mit der Auslastung der „Stadtflitzer“ zeigt sich Stadtmobil Hannover dennoch zufrieden. Sie hätten sich als Alternative etabliert und seien eine gute Ergänzung zu den etwa 160 stationsgebundenen Fahrzeugen.

Auch der Carsharing-Dachverband will keinen allzu scharfen Gegensatz zwischen den klassischen und den neuen Autoteilangeboten aufbauen. Vor kurzem passte der bcs seine Aufnahmekriterien leicht an, um auch „Free Floating“-Anbietern die Mitgliedschaft zu ermöglichen. Bislang hat sich allerdings keiner gemeldet.

Willi Loose weiß von etlichen Autoteilern, die sowohl bei bei einem „Free Floating“-System als auch bei einem klassischen Carsharing-Anbieter angemeldet sind. „Die flexiblen Angebote sind nicht für alle Zwecke geeignet und nicht immer die günstigere Alternative“, betont der bcs-Chef. So kann man kein Auto für eine bestimmte Fahrt reservieren. Und wer es länger als einen Tag mietet oder viele Kilometer runterreißen will, zahlt – je nach Anbieter – ebenfalls mehr.

Ja, wo parken sie denn?

An seine Grenzen stößt die geteilte Automonie dort, wo nicht ausreichend Parkplätze vorhanden sind. Stationsbasierte Anbieter brauchen feste Standorte für ihre Fahrzeuge. Diese Stationen auf ­Privatgrundstücken in Innenstadtnähe anzumieten, ist jedoch nicht immer einfach, die Plätze sind begrenzt. Kommunen können zwar aufgrund von Sonderregelungen öffentliche Parkplätze als Carsharing-Stationen kennzeichnen. Viele zögern aber, da sie Klagen befürchten.

Carsharing-Organisationen forderten jahrelang eine Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und der Straßenverkehrsordnung. Städte und Gemeinden sollten bundesweit verbindliche und einheitliche Vorgaben an die Hand bekommen, nach denen sie Carsharing-Parkplätze im öffentlichen Straßenraum ausweisen und sie gegen Falschparker verteidigen könnten. Das Wirtschaftsministerium sperrte sich, da es darin eine Bevorzugung von Carsharing-Unternehmen gegenüber Mietwagenfirmen sah. Die Gesetzesänderung ist deshalb seit Anfang des Jahres vom Tisch. Das Bundesverkehrsministerium will stattdessen eine „schlanke und zügig umsetzbare Lösung“. Es kündigte an, ein neues Verkehrszeichen einzuführen, das Stellflächen als Carsharing-Parkplätze ausweist. Dieses Zusatzzeichen soll noch vor Sommer veröffentlicht werden.

Willi Loose vom bcs fürchtet, dass von der geplanten Regelung vor allem die „Free Floating“-Anbieter profitieren. Aus dem Verkehrsministerium habe er gehört, dass es nicht möglich sein werde, Stellplätze für bestimmte Fahrzeuge bestimmter Carsharing-Unternehmen zu reservieren. Das wäre eine Bevorzugung der flexiblen Anbieter, die nicht auf feste Stationen angewiesen sind. Zurzeit erwerben sie von den Städten beispielsweise Lizenzen für Anwohnerparkplätze oder nehmen am Handy-Parken teil, einer Möglichkeit, die Gebühren mit dem Mobiltelefon und nur für die Zeit zu zahlen, in der das Auto tatsächlich geparkt hat. „Noch ist alles offen“, stellt Loose fest. Ob diese oder eine neue Bundesregierung das Autoteilen weiter voranbringt, wird sich zeigen.

Fest steht: Die Carsharing-Unternehmen erleben zurzeit einen Boom. „Die Wachstumszahlen sind erfolgversprechend – und sie stellen unsere Mitglieder zum Teil vor anspruchsvolle Aufgaben“, sagt der bcs-Chef. „Die Welle von Neukunden muss aufgenommen werden, neue Fahrzeuge beschafft, neue Stationen eröffnet.“ Von einem Boom des Autoabschaffens könne man natürlich noch nicht sprechen, das sei eher ein Erosionsprozess. Doch es zeigt sich: Immer mehr Menschen denken darüber nach, ob das Leben ohne eigenes Auto nicht sehr komfortabel ist.

Kirsten Lange

fairkehr 5/2023