fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 3/2013

Einfach losfahren

Unterwegs mit flexiblem Carsharing auf den Straßen Berlins.

Foto: Drive NowAuto online oder mit der Smartphone-App finden, persönlichen Chip an das Lesegerät auf der Windschutzscheibe halten und losfahren (unten). Zum Beispiel zum ehemaligen Grenzübergang Oberbaumbrücke zwischen Kreuzberg und Friedrichshain. Hier könnte man dann in die älteste U-Bahn-Linie Berlins, die U1, umsteigen.

Direkt vor dem Friseur von Angela Merkel ist ein Parkplatz frei. Ich manövriere den schokobraunen Mini in die Lücke, klettere ins Freie und lasse die Tür ins Schloss fallen. Zeit für einen Spaziergang durch Charlottenburg, bevor mein Diensttermin beginnt! An das Auto verschwende ich keinen weiteren Gedanken, schließlich gehört es mir nicht. Ich muss es nirgendwohin zurückfahren. Ich muss auch kein Parkticket ziehen, das übernimmt Drive­Now für mich. Ich bin auf Testfahrt mit dem flexiblen Carsharing von BMW und Sixt.

Halt, liebe Leserinnen und Leser! Bevor Sie sich jetzt aufregen, Hassbriefe an die Redaktion schreiben oder dem VCD mit Austritt drohen: Selbstverständlich weiß eine langjährige fairkehr-Redakteurin nur zu gut, dass man in Berlin eigentlich kein Auto braucht. Eigentlich. Aber es gibt Typen, die haben gerade keine Lust auf U-Bahn-Mief, Umsteigen und viele Menschen, haben Rückenschmerzen, schwer zu schleppen oder wollen die frisch geföhnte Frisur nicht dem Fahrradfahrtwind opfern. So eine will ich heute mal sein.

Zuhause in Bonn hatte ich mich online angemeldet. Bei Sixt am Dom in Köln, der Registrierungsstation des Kooperationspartners von DriveNow, hatte mir die Autovermieterin eine elektronische Marke auf meinen Führerschein geklebt. Als ich diese persönliche ID vor die grün blinkende Anzeigetafel unter der Windschutzscheibe halte, ist mein Mini startklar.

Mein erster ist schwarz mit weißem Dach und heißt Mandy. Eine App auf dem Smartphone hat mich zu ihm geführt. Sie zeigt an, wie viele Meter das Auto vom eigenen Standort entfernt ist, wieviel Minuten man ungefähr läuft und weist den Weg auf dem Stadtplan. Im Angebot sind 1er BMWs, Minis und Mini Cabrios. Alle Autos von DriveNow haben lustige Namen, sie heißen Shakira, Clarence oder Rocky. Schließlich ist das Autofahren eine persönliche Angelegenheit und der Anbieter setzt darauf, dass es Spaß machen soll. Auch ich werde von Mandy erkannt und tippe meine persönliche PIN-Nummer auf ein Display. Danach werde ich aufgefordert, die Sauberkeit im Wageninneren zu beurteilen und evtuelle Lack- oder Karosserieschäden zu melden. Alles ist tipptopp. Ich spreche das gewünschte Ziel in die Spracherkennung des Navigationsgeräts, bestätige die Fahrt und starte durch den Großstadtverkehr zu meinem ersten Ziel. Spiegel und Sitzposition passen und das Automatikgetriebe kenne ich vom Auto meiner Freundin. Mein Vormieter hat das Radio auf Funkhaus Europa eingestellt: Die Balkanmusik passt zum blauen Himmel über der Mulitikulti-Stadt Berlin.

Foto: Drive Now

Wenns gut läuft, fährt man zum halben Taxipreis

31 Cent pro Minute stellt DriveNow seinen Nutzern in Rechnung. Damit kann eine Fahrt, vorausgesetzt man kommt gut durch und steht nicht im Stau, halb so teuer sein wie eine Taxifahrt. Wenn man wie ich im Freitagnachmittagsverkehr unterwegs ist, sich nicht gut auskennt und das Navi von den Hauptstadtbaustellen und Sperrungen ebenfalls keine Ahnung hat, kostet die Fahrt auch mal mehr als die Tour mit Chauffeur. Legt man die Vollkostenrechnung für einen Kleinwagen zugrunde, rechnet also Anschaffungspreis, Versicherungen, Sprit, Garage und Parkgebühren auf den Kilometer um, steht man sich als Wenigfahrerin mit den Carsharingautos immer billiger als mit einem eigenen Auto. Fährt man zu mehreren, kann man auf kurzen Strecken sogar dem ÖPNV finanziell ein Schnippchen schlagen.

Großstadt-Carsharer von heute sind aber nicht in erster Linie Pfennigfuchser, sondern hippe Leute. Ihr Mobilitätsstil ist multimodal. Das heißt, sie besitzen in der Regel kein eigenes Auto, nutzen immer das Verkehrsmittel, das gerade zur Situation und ihrem Verkehrsbedürfnis am besten passt, alles dabei – vom ÖPNV bis zum Fahrrad. Ob sie insgesamt umweltfreundlicher unterwegs sind, will Lebensstilforscher Konrad Götz herausfinden. „Ökologisch ist das Free-Floating-Carsharing noch nicht erforscht“, sagt Götz, der auch im wissenschaftlichen Beirat des VCD sitzt, „aber es ist die Zukunft, weil es Spaß macht und Nutzen verbindet – ohne eigenes Auto.“ Was diese aktiven Ein-Weg-Fahrerinnen und -Fahrer tatsächlich bewegt, Carsharing zu betreiben, wird Götz für das Frankfurter ISOE-Institut in einer breit angelegten Studie über mehrere Jahre erforschen.

Aktive Carsharer nutzen immer auch andere Mobilitätsangebote

Im Moment ist es einfach praktisch, dass die flexiblen Carsharing-Autos überall im Stadtgebiet herumstehen. Noch praktischer wäre, wenn es mehr von ihnen gäbe. Oft zeigt mir die App, dass der nächste freie Wagen 500 Meter entfernt ist, manchmal sind es gar 800 Meter, Laufzeit mehr als 10 Minuten. In solchen Fällen empfiehlt es sich, den ins Auge gefassten Pkw mit dem Handy online für maximal 15 Minuten zu reservieren. Das ist kostenlos und schützt davor, dass ein anderer Nutzer das Fahrzeug erspäht und damit davonfährt. „Der Umstieg vom eigenen Auto zu uns funktioniert vor allem dann, wenn es in der Stadt einen gut funktionierenden ÖPNV und Mietfahrradsysteme gibt“, sagt Michael Fischer von DriveNow, „erst das garantiert volle Flexibilität“, sagt der Unternehmenssprecher. Es lohnt sich auch, einen Vertrag mit einem weiteren „Free Floating“-Anbieter abzuschließen.

Will man wirklich sicher sein, ein Carsharing-Auto in der Nähe zu haben, wenn der Termin vorüber ist, darf man seinen Wagen nur parken und nicht ganz zurückgeben. Dafür berechnet der Anbieter ebenfalls 10 Cent pro Minute. Allzulanges Trödeln geht hierbei allerdings ins Geld. Für Menschen mit prall gefülltem Terminkalender in enger Taktung, wie ihn die deutsche Bundeskanzlerin hat, wäre das DriveNow-Modell aber nichts. Als ich aus dem Meeting nicht weit von Berlins bekanntestem Promifriseur komme, ist mein brauner Minicooper schon mit jemand anderem unterwegs. Macht aber nichts, dann nehme ich zurück den Bus und die S-Bahn.

 

Uta Linnert

fairkehr 5/2023