fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Editorial 3/2013

„Net bollere!“

Foto: Marcus Glogerfairkehr-Chefredakteur Michael Adler

Ich kann kaum ausdrücken, wie mir das Gelabere beim Thema Tempo-limit auf die Nerven geht. Wenn mal wieder einer es wagt, das Unwort in den Mund zu nehmen, fällt sofort die Horde der ewig Gestrigen geifernd über ihn her. Zuletzt widerfuhr das SPD-Chef Sigmar Gabriel, der allerdings auch leichtfertig mal so eben die Idee vom Tempo-limit 120 km/h platzierte. Man muss schon den Kontext Klimaschutz und Sicherheit herstellen. Für beides wäre ein Limit der Raserei ein wichtiger Baustein.

Richtig übel wird mir daher, wenn Minister wie Peter Altmaier (CDU) oder die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Andrea Nahles im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung über ihr Punktekonto in Flensburg schwadronieren. Hier noch mal zum Mitschreiben: Punkte für zu schnelles Fahren sind kein Kavaliersdelikt. Ich nicke dazu auch nicht kumpelhaft.
„Ich fahr halt gerne schnell“, ist die flache Begründung für die Raserei. Diese Freiheit wollen wir doch keinem nehmen. Doch, wollen wir! Die Freiheit des Individuums endet dort, wo die Freiheit der Mitmenschen bedroht ist. Ich fühle mich auf deutschen Autobahnen bedrängt, genötigt und gejagt. Besonders krass ist dieses Gefühl immer dann, wenn ich aus der Schweiz oder aus Frankreich die Grenze passiere. Das Grenzschild, das eine Richtgeschwindigkeit von 130 km/h auf deutschen Autobahnen postuliert, wird meist nach wenigen ­Me­tern verhöhnt. Und um es klar zu sagen, es geht hier nicht darum, gelegentlich mal 140 oder 150 fahren. Viele fallen mit Tempo 200 über langsamere Verkehrsteilnehmer her. Gerade in einer älter werdenden Gesellschaft sollten ver­antwortungsvolle Politiker den lebens­­­gefährlichen Stress auf Autobahnen ­beenden.

Die andere Begründung, vor allem nach Formel-1-Wochenenden verbreitet, lautet: „Ich fahr halt gerne sportlich.“ Ausgemachter Schwachsinn, meine lieben Sportskameraden. Jede Oma mit Rollator ist sportlicher unterwegs als ihr in euren sanft gefederten Rennlimousinen. Mehr als den rechten Fuß bewegt ihr ja kaum.
Jetzt noch mal zu den Fakten: Wir sind das einzige Industrieland ohne Tempolimit. Mit Tempo 120 könnten in Deutschland rund drei Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Das ist dreimal mehr Ersparnis, als eine Million Elektrofahrzeuge 2020 bestenfalls bringen würden, so sie denn kämen. Außerdem prognostiziert der VCD rund 200 Tote und einige Tausend Schwerverletzte ­weniger, weil mit der Geschwindigkeit auch nachweislich die Schwere der Verletzungen abnimmt.
Die Tabuisierung einer Geschwindigkeitsbegrenzung der Deutschen lässt sich am ehesten noch mit dem irratio­­­nalen Umgang der US-Amerikaner mit ihrem Waffengesetz vergleichen. Die haben das Patent auf sinnloses Rumballern und wir auf sinnloses Rumrasen.

Bleibt nur die Hoffnung auf die nächste Generation. Wenn Andrea Nahles über die Eifelstraßen heizt, ruft ihre zweieinhalbjährige Tochter vom Rücksitz: „Mama, net bollere!“ Es gibt doch einen Fortschritt in der Evolution.

Michael Adler

fairkehr 5/2023