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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 2/2013

Für saubere Luft sorgen

Foto: Fotolia/Serghei Velusceac

Weil immer noch Schadstoffe aus dem Verkehr Menschen in ­Städten krank machen, hat der VCD zusammen mit acht anderen Umweltorganisationen die Kampagne „Clean Air“ gestartet.

Zuerst die gute Nachricht: Die Luft in Deutschland ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich besser geworden. Seit Anfang der 1990er Jahre sank der Schwefelgehalt um über 90 Prozent. Nachdem verbleites Benzin verboten wurde, nahm auch die Schwermetallbelastung rasant ab. Und der kleine Staubberg, den jeder und jede täglich mit der Atemluft zu sich nimmt, ist ebenfalls geschrumpft.

Und nun die schlechte Nachricht: Europaweit sterben pro Jahr immer noch 370.000 Menschen vorzeitig an den Folgen von Luftverschmutzung. In Deutschland wird die Zahl auf 60.000 geschätzt. Vor allem winzige Rußpartikel und giftiges Stickstoffdioxid (NO2) belasten Herz und Kreislauf. Das geht aus Untersuchungen im Auftrag der EU-Kommission hervor. Im Durchschnitt verkürzt der Dreck in der Luft das Leben um zehn Monate. Tatsächlich aber trifft es die Menschen in sehr unterschiedlichem Maße: Wer an einer Hauptstraße wohnt, bezahlt mit viel mehr Lebenszeit als Leute in Gegenden mit wenig Verkehr.

Auch bei der Gesundheit von Kindern ist der Zusammenhang eindeutig. Wissenschaftler am Helmholtz-Zentrum in München haben mehrere Tausend Jungen und Mädchen vom Kleinkindalter bis zur Einschulung begleitet und dabei einen klaren Zusammenhang festgestellt: Je näher das Elternhaus an einer stark befahrenen Straße steht, desto höher das Risiko der Kinder, unter Bronchitis, Allergien und Ekzemen zu leiden. Und weil sich wohlhabende Leute fast nie an solchen Orten ansiedeln, ist der Nachwuchs aus weniger betuchten Familien einmal mehr benachteiligt.

Ära der dreckigen Luft beenden

Neun europäische Umweltverbände ha­ben sich zusammengeschlossen, um die Ära der dreckigen Luft in Europa zu beenden. Der VCD koordiniert das ambitionierte Projekt mit dem Titel „Clean Air“. In Deutschland mit von der Partie sind NABU, BUND und Deutsche Umwelthilfe (DUH). Drei Jahre lang sollen vielfältige Methoden zum Einsatz kommen: Aufklärungskampagnen gehören ebenso dazu wie der Aufbau eines juristischen Netzwerks von NGOs zur Unterstützung bei Klagen und zur Vorstellung von Best-Practice-Beispielen. Bestandteil sind außerdem politische Forderungen wie die, auch für Binnenschiffe einen Partikelfilter vorzuschreiben.

„Wir haben die Aufgaben aufgeteilt“, berichtet VCD-Projektkoordinator Heiko Balsmeyer. Der VCD ist zuständig für die Abstimmung zwischen allen Beteiligten und für die Öffentlichkeitsarbeit, für saubere Busse und den Aufbau eines Netzwerks fahrradfreundlicher Städte.

„Unser Ziel: dass Europa im Jahr 2020 rußfrei ist“, benennt der Kampagnen-Berater Axel Friedrich eine der zentralen Bestrebungen des Bündnisses. Das ist nicht nur ein Gebot des Gesundheitsschutzes: Ruß schadet auch dem Klima, weil er das Gletschereis grauschwarz färbt, sodass es die Wärme nicht mehr abstrahlt und schneller schmilzt.

Technisch schwierig ist es nicht, die Rußbelastungen zu senken: Für Dieselfahrzeuge gibt es auf dem Markt inzwischen sehr effektive Filter, die seit 2009 vorgeschrieben sind. Baufahrzeuge, Traktoren, Loks und Schiffe müssen dagegen noch nicht damit ausgestattet sein. Auch für direkteinspritzende Benziner fehlen Vorschriften, obwohl auch bei ihnen gesundheitsgefährdende Kleinstpartikel aus dem Auspuffrohr quellen, die sich durch Filter abfangen ließen. Der frühere Leiter der Verkehrsabteilung im Umweltbundesamt Axel Friedrich ist guten Mutes, dass sich das Thema Dieselruß in ein paar Jahren erledigt haben wird. „Alle haben früher gesagt, ich hätte eine Macke mit meinen Vorschlägen. Aber zum Beispiel in Berlin ist es schon gelungen, die Rußwerte um 60 Prozent zu senken.“

Das Recht auf saubere Luft

EU-weite Grenzwerte für Feinstaub gelten seit 2005. Seitdem dürfen an maximal 35 Tagen im Jahr 50 Mikrogramm Feinstaubpartikel pro Kubikmeter Luft (µg/m³) überschritten werden, über den Tag gerechnet. Wo mehr Partikel herumfliegen, ist die Kommune verpflichtet, einen effektiven Luftreinhalteplan zu erarbeiten.

Vor allem die Deutsche Umwelthilfe wurde in den letzten Jahren zum Schreckgespenst für Lokalpolitiker, die das Thema nicht ernst nahmen und nur Larifari-Pläne aufstellten. Zuerst unterstützte die DUH die Klage des grünen Politikers Dieter Janecek, der an der viel befahrenen Landshuter Allee in München wohnt. Der Prozess ging durch mehrere Instanzen und endete mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, der ein einklagbares subjektives Recht auf saubere Luft festschrieb.

„Doch es ist nicht effektiv, wenn nur Einzelpersonen klagen können, die mehrere Jahre in der Nähe einer Messstelle gewohnt haben“, sagt Rechtsanwalt Remo Klinger aus Berlin. Deshalb führt er für die DUH mehrere Musterverfahren. Dabei geht es nicht nur um die konkrete Luftverbesserung in Wiesbaden, Darmstadt und München, sondern auch um das Recht von Umweltverbänden, für frische Luft vor Gericht zu ziehen. Noch stecken mehrere Verfahren in Berufungsinstanzen fest. „Aber wir haben bisher alle Klagen gewonnen“, stellt die DUH-Verkehrsexpertin Dorothee Saar zufrieden fest.

Quelle: Umweltbundesamt, Nationale Trendtabellen für die deutsche Berichterstattung atmosphärischer Emissionen, Emissionsentwicklung 1990–2010, www.umweltbundesamt.de/emissionen/publikationen.htm · Foto: Pixelio/Andreas Hermsdorf · Grafik: fairkehrNeben dem Verkehr sind Landwirtschaft und Industrie Hauptverursacher von Luftschadstoffen. Das Umweltbundesamt sammelt Daten darüber, welcher Bereich wie viel Prozent zu den jährlichen Emissionsmengen bestimmter Schadstoffe beiträgt. So war beispielsweise der Verkehr im Jahr 2010 für 45 Prozent des jährlichen Stickoxidausstoßes und für 23 Prozent der Feinstaubemissionen PM 2,5 in Deutschland verantwortlich.

Die Ausweisung von Umweltzonen gilt als das effektivste Mittel gegen Feinstaub: Dort dürfen ausschließlich Autos mit Abgasplakette fahren. Und nach und nach werden auch Pkw mit niedrigeren Abgasnormen und entsprechenden ro­ten und gelben Plaketten ausgeschlossen. Wer ohne Legitimation erwischt wird, muss nicht nur ein Bußgeld zahlen, sondern bekommt auch einen Punkt in Flensburg. Letzteres will Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer allerdings abschaffen.

Berlin machts vor

Das Beispiel Berlin zeigt, dass Fahrverbote wirken: Die Hauptstadt hat im Jahr 2008 eine 88 Quadratkilometer große Umweltzone eingerichtet – und bereits der Ausschluss der schlimmsten Stinker brachte eine rasante Luftverbesserung: Die Rußwerte sanken um fast ein Viertel. Seitdem wurde das Anforderungsniveau mehrfach verschärft, bis schließlich nur noch Autos mit grüner Plakette freie Fahrt hatten. Das Resultat: Die Messstation an der Silbersteinstraße in Berlin-Neukölln registrierte im vergangenen Jahr erstmals nur noch an 30 Tagen Grenzwertüberschreitungen und liegt damit innerhalb der EU-Vorgaben. Drei Jahre zuvor waren es noch 73 Tage.

An Deutschlands ungesündester Straße, dem Stuttgarter Neckartor, reichen Zufahrtsbeschränkungen allerdings bei weitem nicht aus. Aufgrund der Kessellage und geringer Windgeschwindigkeiten meldet die Messstation am Rande der sechsspurigen Straßenschlucht regelmäßig Rekordwerte, obwohl auch dort vor fünf Jahren eine Umweltzone eingerichtet wurde und sogar ein Fahrverbot für durchfahrende Brummis gilt. Doch die durchschnittlich 70.000 Fahrzeuge am Tag sind einfach zu viel. So wurden dort die zulässigen Partikelgrenzwerte im vergangenen Jahr an 78 Tagen nicht eingehalten – und damit mehr als doppelt so häufig, wie die EU erlaubt.

Stickoxide bleiben ein Problem

"Noch mehr Sorgen als der Ruß machen uns allerdings die Stickoxide. An fast allen Straßen ist der Jahresmittelwert überschritten“, sagt Werner Scholz, der die Abteilung Luftqualität bei Baden-Württembergs Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz leitet. Besonders extrem ist auch hier wieder das Stuttgarter Neckartor, wo im vergangenen Jahr im Durchschnitt 90 µg/m³ registriert wurden. Zulässig sind aber nur 40 µg/m³.

Zwar ist auch das schon ein deutlicher Fortschritt im Vergleich zu früher. Doch anders als beim Dieselruß ist diesem Problem nur bei Bussen und Lastern mit technischer Nachrüstung beizukommen, nicht aber bei den kleineren Pkw, sagt VCD-Experte Heiko Balsmeyer.

Wirklich helfen würde deshalb nur: erheblich weniger Verkehr. „Das ist aber nicht zu erwarten – und selbst eine Halbierung des Verkehrs würde am Neckartor nicht dazu führen, dass wir den Grenzwert einhalten“, konstatiert Werner Scholz ratlos. Druck bekommen Stuttgarts Politiker nicht nur durch die Klage eines Anwohners. Auch die EU-Kommission wird jetzt ungemütlich: Mit Schulterzucken lässt sie sich nicht abspeisen.

Blauer Brief aus Brüssel

33 deutsche Städte, darunter Stuttgart, Berlin, Hamburg, München, aber auch Münster, Tübingen und Freiburg, erhielten Ende Februar Post aus Brüssel: Ihr ­Antrag auf Fristverlängerung wurde abgelehnt. Die Städte hatten bei der Einhaltung der EU-weit verbindlichen NO2-Grenzwerte um Aufschub bis 2015 gebeten. Prinzipiell erlaubt die EU-Richtlinie Kommunen diese Fristverlängerung. Allerdings nur, wenn die einen überzeugenden Plan zur NO2-Reduktion vorlegen. Bei den jetzt abgewatschten Kandidaten hieß es zur Begründung: Absehbar würden die geplanten Maßnahmen nicht ausreichen, die krankmachenden Stickstoffdioxid-Emissionen auf das vorgeschriebene Maß zu senken. Nun drohen den Städten Strafzahlungen in bis zu sechsstelliger Höhe – pro Tag.

„Was jetzt passiert, wissen wir alle nicht“, sagt Marcel Langner, der beim Umweltbundesamt das Fachgebiet Luftreinhaltung leitet. Zwar gäbe es technische Möglichkeiten, die NO2-Emissionen auch von Autos mit Dieselmotoren zu senken – doch eine deutliche Minderung ist nur von den neusten Pkw mit Euro 6-Standard zu erwarten. Deshalb wird gegenwärtig diskutiert, den Kraftstoffen Chemikalien beizumischen, um das Stickstoffdioxid zu binden.

Und den motorisierten Verkehr einfach reduzieren? Das scheint in einer auf Wachstum fixierten Gesellschaft für viele undenkbar. Doch für VCD-Projektkoodinator Heiko Balsmeyer steht fest: „Eine Verkehrswende ist notwendig – und die erfordert Verhaltensänderungen in erheblichem Umfang.“ Deshalb entwickeln er und seine Kollegen im Rahmen des „Clean Air“-Projekts eine attraktive Alternative: „Biking Cities“. Schließlich belasten Radfahrer nicht die Gesundheit der Anwohner – und die Bewegung fördert zugleich ihr eigenes Wohlbefinden.

Annette Jensen

fairkehr 5/2023