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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 1/2013

Attraktiv dank Citybahn

Das sächsische Städtchen Stollberg profitiert vom „Chemitzer Modell“, das Straßenbahn- und Eisenbahnschienen verbindet.

Foto: Sandro SchmalfußDie Stadtbahn von Chemnitz fährt im Halbstundentakt hinaus aufs Land.

Mit der Straßenbahn vom Erzgebirge in die Großstadt: Die Regionalstadtbahn Chemnitz–Stollberg ist die Pilotstrecke des „Chemnitzer Modells“. „Für uns ist die Vernetzung mit Chemnitz ein wichtiger Faktor“, sagt der Bürgermeister des Erzgebirgsstädtchens Stollberg Marcel Schmidt. Seit zehn Jahren können die Bewohner seiner Gemeinde die Universität, die Oper und das Einkaufszentrum in der 23 Kilometer entfernten Großstadt auf der Schiene erreichen, ohne von der Straßenbahn in einen Regionalzug umsteigen zu müssen. „Stollberg hat durch die Citybahn deutlich an Attraktivität gewonnen: Man hat hier die Qualität einer grünen Kleinstadt und kann zugleich die großstädtische Infrastruktur von Chemnitz nutzen“, betont der Bürgermeister.

Ähnlich wie in Kassel, Karlsruhe und Saarbrücken wurden Straßenbahn- und Eisenbahntrassen miteinander verbunden. Die Stadtbahn-Fahrzeuge sind behindertengerecht, fahren werktags im Halbstundentakt und erreichen eine Höchstgeschwindigkeit von 80 Stundenkilometern.

Mehr als 1,5 Millionen Fahrgäste jährlich nutzen das Angebot, das als Pilotprojekt für die ganze Region gilt. Nach und nach soll das „Chemnitzer Modell“ auch auf andere Orte in Mittelsachsen wie Burgstädt, Mittweida und Hainichen ausgedehnt werden. Nächster Schritt ist der Umbau rund um den Chemnitzer Hauptbahnhof, der einen guten Kilometer Luftlinie vom Stadtzentrum entfernt liegt.

„Die günstigen Prognosen von vor der Eröffnung der Strecke wurden bei weitem übertroffen“, stellt der VCD-Bundesvorsitzende Michael Ziesak fest. Man könne deshalb davon ausgehen, dass künftige Erweiterungen die berechneten positiven volkswirtschaftlichen Effekte ebenfalls überflügeln würden. „Die Erfahrungen zeigen, dass solche Ausbaumaßnahmen auch jenseits der Großstädte ein Gewinn für die Regionen sein können“, so Ziesak.

Große Unternehmen kommen

In Stollberg, etwa 30 Kilometer nördlich der tschechischen Grenze, leben heute etwa 12.000 Menschen. Rechnet man die Bewohner der nahen Umgebung hinzu, sind es etwa 30.000. Zwar hat das Städtchen wie die meisten Orte Ostdeutschlands nach der Wende viele Einwohner verloren – hier war es etwa ein Fünftel. Doch nicht zuletzt dem engagierten Bürgermeister Schmidt ist es zu verdanken, dass weltweit führende Unternehmen wie Continental oder Fresenius in Stollberg Betriebsstätten ansiedelten und die beiden Gewerbegebiete auch für mittelständische Betriebe attraktiv sind. Die Nähe zur Industriestadt Chemnitz wirkt sich ebenfalls positiv aus.

Gegenwärtig pendeln 800 Menschen mehr zum Arbeiten nach Stollberg als von hier aus zum Geldverdienen wegfahren – Tendenz deutlich steigend. Nachdem einige triste Plattenbaublocks in den vergangenen Jahren abgerissen wurden, ist es mittlerweile schwierig, in Stollberg eine Wohnung zu finden. Das will der Stadtrat möglichst schnell ändern. Auch eines der beiden Gewerbegebiete soll in den kommenden Jahren an die Citybahn angebunden werden.

Gegenwärtig sind die Stollberger Industriegebiete allerdings noch wesentlich besser über die Autobahn 72 von Zwickau nach Chemnitz zu erreichen. Knapp 50.000 Fahrzeuge werden täglich auf diesem Abschnitt gezählt. Parallel führt außerdem eine Bundesstraße nach Chemnitz. „Auf den Straßen ist öfter mal Stau – da ist die Citybahn eine zuverlässige Variante“, wirbt Bürgermeister Marcel Schmidt fürs Umsteigen – und räumt dann ein, dass er sich selbst meistens lieber hinters Steuer klemmt.

Die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene ist eben kein einfacher Prozess.

Annette Jensen

fairkehr 5/2023