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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Service 1/2013

Bahn + Rad = schnell

In Deutschland endet flexible Mobilität immer noch an der ICE-Tür, obwohl sich ICE und Fahrrad perfekt ergänzen. Das muss nicht so sein. Der Nahverkehr beweist, dass es besser geht.

Foto: Siemens · Montage: Marc VennerDer schnelle ICE und das langsame Rad: Was vielen unvereinbar scheint, ist tatsächlich die optimale Kombination für viele Haus-zu-Haus-Verbindungen.

Ulrich Habbe ist Unternehmensberater. Seine Kunden sind hauptsächlich Behörden und mittelständische Unternehmen in Nordrhein-Westfalen, viele davon im ländlichen Raum. Da Habbe viel Zeit mit An- und Abreise zu Kundenterminen verbringt, nimmt er, wann immer es möglich ist, die Bahn – gerne in Kombination mit dem Fahrrad.

So kann er während der Fahrtzeit Fachzeitschriften lesen, Termine vorbereiten oder Protokolle schreiben. Das Rad ermöglichst es ihm, auch Kunden per Bahn anzusteuern, die nicht direkt an einem Bahnhof oder S-Bahn-Halt situiert sind. „Für Kunden ganz tief im Bergischen Land oder im Westerwald nehme ich auch mal einen Firmenwagen“, sagt der 48-jährige IT-Spezialist. „Aber im Laufe der Jahre hat sich gezeigt: Es gibt ganz wenige Kunden, die ich nicht mit der Kombination Bahn und Rad erreiche.“

Krawattentermin mit Bahn und Rad? Das mag – noch – exotisch klingen. Aber der Generationenwechsel hat bereits begonnen. „Unter den jüngeren Kollegen gibt es einige begeisterte Radfahrer, die ihre Dienstfahrten, wenn die Entfernung stimmt, lieber mit dem Rad als mit dem Firmenwagen machen“, sagt Habbe.

Intermodalität nennt sich das System, das der Unternehmensberater für sich als besonders praktisch und effizient entdeckt hat. Es beschreibt den hindernisfreien Übergang zwischen unterschiedlichen Verkehrsmitteln und gilt als Lösung für viele Verkehrsprobleme der Zukunft. Gerade die jüngere Generation, die nicht mehr so autofixiert ist wie Babyboomer oder Generation Golf, setzt bei der Planung ihrer Mobilität eher auf Effizienz als auf Status und zeigt sich auffallend fahrradaffin.

Bisher endet die viel gepriesene Intermodalität allerdings beim Aussteigen an vielen Bahnhaltepunkten. Leihradsysteme gibt es nur an ganz wenigen Großstadtbahnhöfen. Ein Taxi sucht man im ländlichen Raum vergeblich. Busse fahren außerhalb der Zentren zu selten, um eine reibungslose Mobilitätskette zu garantieren.

Günstiger Lückenschluss

„Wer weniger motorisierten Individualverkehr und mehr umweltschonende Mobilität will, kommt am Fahrrad nicht vorbei“, sagt Heidi Tischmann, Verkehrsreferentin beim VCD in Berlin. „Und das schließt auch die Radmitnahme in der Bahn ein.“

Gerade in dünn besiedelten Regionen, wo die Gemeinden vor den hohen Kosten des öffentlichen Verkehrs kapitulieren, garantiert das Rad einen günstigen Lückenschluss zwischen den wenigen Hauptrouten und den weit verstreut liegenden Wohn- und Arbeitsorten. Fünf bis zehn Kilometer Radius um die Haltestelle an einer Hauptroute bietet ein normales Rad, zehn bis 20 Kilometer Radius ermöglicht ein Rad mit Elektroantrieb.

Auch wenn das Rad kein Ersatz für den Bus ist, kann es ihn zumindest flexibel ergänzen oder Taktlücken verkürzen, wenn der Bus nur selten fährt. Der Vorteil gegenüber Park & Ride-Systemen: Während das Auto am Bus- oder Bahnhalt zurückbleibt, begleitet das Rad seine Nutzerin oder seinen Nutzer weiter durch den Tag – vom Zielbahnhof zur Arbeitsstelle, von dort in die Innenstadt zum Einkauf, zum Sport oder ins Kino.

Wie einfach und praktikabel das ist, zeigt die Bahn im Nahverkehr. Der ist in den meisten deutschen Regionen bereits für die Kombination Bahn/Rad ausgerichtet: Breite Türen, barrierefreier Übergang zwischen Bahnsteig und Eingangsbereich, Mehrzweckabteile mit viel Platz für Räder, Kinderwagen, Rollstühle und großes Gepäck – davon profitieren nicht nur Radfahrerinnen und Radfahrer. Da die als Fahrradabteile gekennzeichneten Mehrzweckwaggons geräumiger und kommunikativer sind als die eng mit Zweierbänken bestückten Wagen, sind sie auch bei Reisenden ohne Gepäck äußerst beliebt. So beliebt, dass Fahrgäste mit Rad oder Kinderwagen sich ihren Stellplatz beim Einsteigen oft erst einmal freidiskutieren müssen. Der oft sehr persönlich geführte Konflikt im Fahrradabteil hat einen ganz einfachen Ursprung: Hier treffen zwei Nutzergruppen mit unterschiedlicher Mobilitätsvision auf­ein­ander.

ICE und Rad – unschlagbares Duo

Es gibt Menschen, die die Bahn ausschließlich als Mittel zum Personentransport sehen und nutzen. Dieser soll möglichst schnell und reibungslos vonstatten gehen. Am Anfang und am Ende der Reise und in ihrem Alltag dominiert das Auto. Fahrräder sind kein wichtiger Bestandteil ihrer Mobilität und in der Bahn vor allem ein Störfaktor. Ein Rad hat andere Maße, benötigt breitere Türen, eine Extra-Stellfläche und verzögert in Hauptverkehrs- oder Urlaubsphasen eventuell tatsächlich die Ein- und Aussteigezeiten an den Bahnhöfen um wenige Minuten.

Foto: TernMehr Fußfreiheit und Platz für Kinderwagen oder Gepäck: Die Rad- und Mehrzweckabteile in den Nahverkehrszügen sind nicht nur bei Radfahrern beliebt.

Und es gibt Menschen, für die die Bahn nur ein Glied in ihrer Mobilitätskette ist. Auf kürzeren Distanzen spielt das Rad dagegen die entscheidende Rolle. Als Zubringer zum Zug und Begleiter auf allen Wegen ist es aus der Alltagsmobilität dieser Menschen nicht wegzudenken.

„Rad in der Bahn, das geht nur, wenn alle Verständnis für die Bedürfnisse der anderen zeigen und aufeinander Rücksicht nehmen“, sagt Mathias Wieland. Er ist Pressesprecher beim Nahverkehrsanbieter Keolis, der in Nordrhein-Westfalen mit der „Eurobahn“ mehrere Nahverkehrslinien bedient. Da die Eurobahn auch durch das Radfahrerparadies Münsterland fährt, kennt er die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Radmitnahme. „Wir versuchen die Radmit­nahme zu fördern, so weit wir die Kapazitäten dafür haben“, sagt Wieland. „Bei großen Radlergruppen stoßen wir aber platzmäßig und organisatorisch manchmal schon an unsere Grenzen.“

Alles neu macht der ICx

"Der Nahverkehr zeigt, dass die unkomplizierte Radmitnahme möglich ist und viele Vorteile bringt“, sagt Heidi Tischmann vom VCD. „Warum also nicht auch im ICE?“
 In den Entscheidungsgremien der Deutschen Bahn wurde das Rad lange eher als Spaßmobil denn als selbstverständlicher Bestandteil einer modernen Verkehrskultur betrachtet.

Das soll sich allerdings ändern: Ab Ende 2016 wird die Bahn das bisherige ICE-System nach und nach durch eine neue Fahrzeuggeneration, den ICx, ersetzen. Der ICx wird anfangs zusätzlich zum „alten“ ICE-Bestand fahren und ihn im Laufe der Zeit komplett ablösen. „Alle unsere Fahrzeuge bis auf die Bestands-ICEs werden dann Fahrräder mitnehmen“, verspricht DB-Pressesprecherin Daniela Bals. „Alle ICx-Züge werden eigene Radabteile haben – ähnlich wie heute bereits die Intercitys.“

Die Formel „Bahn = Hochgeschwindigkeit, Rad = Langsamverkehr“, mit der sich die Deutsche Bahn im Fernverkehr von der Intermodalität abgegrenzt hat, soll dann ausgedient haben.

In der Zwischenzeit müssen sich Radfahrer im Fernverkehr mit den Intercitys behelfen. Für die hat die Deutsche Bahn eine Schönheitskur vorgesehen, um sie an die gewachsenen Ansprüchen der Kundinnen und Kunden anzupassen. Dabei sollen auch die Fahrradabteile noch einmal ansprechender und funktionaler gestaltet werden.

Im Fernverkehr noch Hindernisse

Ganz frei von Sorge, was die zukünftige Mitnahme von Rädern in den Hochgeschwindigkeitszügen angeht, ist die Deutsche Bahn allerdings noch nicht. „Wir haben sehr viele Haltepunkte in Deutschland. Wenn da jedesmal größere Fahrradgruppen ein- und aussteigen, kann das schon zu Verzögerungen führen“, erklärt Daniela Bals die Bedenken. „Das ist in Frankreich zum Beispiel anders. Da fährt der TGV auch schon mal von Paris bis Marseille durch.“

Berücksichtigt man nicht nur die reine Fahrzeit, sondern auch Bequemlichkeit und Geschwindigkeit der gesamten Haus-zu-Haus-Kette, stellt sich aber gerade im Fernverkehr heraus, dass die so widersprüchlich scheinende Hochgeschwindigkeits-Fahrrad-Kombination auch mit etwas längeren Zwischenstopps während der Fahrradhochsaison noch unschlagbar effizient ist: Der ICE lässt auf der langen Strecke die Konkurrenz hinter sich und das Rad sticht in der Innenstadt alle anderen Verkehrsmittel aus.

Will Unternehmensberater Habbe Kunden in Fernbahndistanz besuchen, hat er bis 2016 noch ein Problem: Zwar nehmen viele Intercity-Züge und die Züge der europäischen Nachbarbahnen Räder mit. Diese Züge fahren aber seltener und sind sehr viel langsamer unterwegs als die ICEs. Oft gibt es pro Tag nur zwei oder drei Verbindungen, die in Frage kommen. Dazu kommt, dass das Platzkontingent für Fahrräder begrenzt und reservierungspflichtig ist.

„Allein die Zeit, die ich für die Planung einer solchen Reise aufwenden muss, macht es unwirtschaftlich, das eigene Rad mitzunehmen“, sagt Habbe. Für mehrtägige Dienst- oder Urlaubsreisen, bei denen er das eigene Rad gern als Fortbewegungsmittel vor Ort dabei hat, reist er, wenn es geht, per Nachtzug an. Eine der wenigen Möglichkeiten, eine weitere Strecke durch Deutschland oder ins Ausland zurückzulegen, ohne umzusteigen. Aber auch hier droht das Aus: Das Nachtzugnetz wurde in den vergangenen Jahren dramatisch ausgedünnt. Eine Trendwende ist nicht in Sicht.

Nicht alle europäischen Bahnen sehen die Fahrradmitnahme so kritisch wie die Deutsche Bahn. In der Schweiz und in den Niederlanden, wo man dem Fahrrad grundsätzlich aufgeschlossen gegenübersteht, nehmen die Züge im Stundentakt und meist reservierungsfrei Fahrräder mit – Ausnahme sind einige reservierungspflichtige Fernverkehrszüge.

In Frankreich, der Heimat des Rennrads, haben viele TGVs Radstellplätze. So ist Frankreich bisher das einzige Land, das Hochgeschwindigkeit und Fahrrad flächendeckend zusammenbringt.

Auch die Österreichische Bahn bietet einige wenige Radplätze im Hochgeschwindigkeitszug Railjet. Damit ist in Europa ein Tabu gebrochen, das seit Einführung der Hochgeschwindigkeit beharrlich Bestand hatte. Nun ist es an Deutschland hier endlich nachzuziehen und die Bahn flächendeckend wieder zum Rückgrat eines zukunftsfähigen Mobilitätssystems zu machen.

Regine Gwinner

fairkehr 5/2023