fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 5/2012

Soziale Isolation

Ohne Auto wird das Leben auf dem Land da schwierig, wo nur die Schulbusse fahren. Ein Dorfbewohner berichtet.

Foto: Banauke/FotoliaAuf dem Land fahren Busse manchmal nur bis zu einer Straßenabzweigung auf freiem Feld – den Rest müssen Dorfbewohner laufen.

Seit 2001 wohne ich in Fürnheim (-10,5208°E+49,0222°N), einem Orts­teil von 91717 Wassertrüdingen im südlichen Landkreis Ansbach in Bayern. Unser Dorf hat 300 Einwohner, die nächsten Einkaufsmöglichkeiten sind 6,5 Kilometer entfernt in Wassertrüdingen. Es gibt bei uns kein Kabel und keinen drahtlosen Internet-Empfang. Die einzige Möglichkeit ist ISDN übers Telefon.

Fürnheim selbst wird nur von Schulbussen bedient. Im Übrigen fahren werktags Busse zur „Abzweigung Schmalzmühle“ – drei Kilometer oder 40 Minuten zu Fuß – oder nach Wassertrüdingen – 70 Minuten zu Fuß. Sonntags gibt es keinen Verkehr an allen genannten Orten. Die nächsten Bahnhöfe sind Gunzenhausen und Nördlingen. Dorthin fährt man jeweils circa 25 Kilometer oder 75 Minuten mit dem Fahrrad.

Ein letztes Hindernis für die Akzeptanz des wenigen ÖPNVs, den es bei uns gibt, ist die intransparente Tariflandschaft. Die Busfahrer verstehen die Tarife selbst nicht und können häufig mit ihren Billet-Druckern nicht umgehen. Der kostenlose Linienfahrplan für die Tasche ist indiskutabel klein gedruckt und die „Verkehrshinweise“ in der ersten Zeile – wie V01 4m – erschließen sich nur Kennern. Wer diese Hinweise missachtet, riskiert, vergeblich auf einen Bus zu warten.

Vor manchen Häuser stehen acht Blechkisten

Ich besitze seit 2005 kein Auto mehr – zunächst aus finanziellen Gründen, mittlerweile aus Überzeugung – und bin in unserem Dorf deshalb als Sonderling ­bekannt. Bei uns hat jede Familie mindestens ein Auto, häufig hat aber sogar jeder Erwachsene eins. Vor manchen Häusern stehen bis zu acht(!) Blechki­sten, ohne dass deshalb unbedingt gerade eine Party läuft.

Wie auch sonst in Deutschland missachten die Fürnheimer systematisch die Rechte schwacher Verkehrsteilnehmer: Gehwegparken, Ignorieren von Durchfahrtverboten auf geteerten Wirtschaftswegen, 140 km/h auf der gut ausgebauten Ortsverbindungsstraße. Es gibt gutwillige, umweltbewusste Fürnheimer, aber diese wollen nicht in die rechtlose Außenseiterposition der Fußgänger und Radfahrer geraten und meiden diese Fortbewegungsarten.

Der Durchschnitts-Fürnheimer nutzt sein Kfz fehlerhaft wegen mangelhafter Alltagsorganisation: Einkaufen ohne Zettel, Sinn und Verstand, Discounter abklappern, ob der Kaffee woanders drei Cent billiger ist, alltägliche Erledigungen ohne terminliche Koordinierung („I muss amal schnell auf Trüdingen“). Ich gebe zu, dass es auf dem Land unmöglich ist, abendliche Termine außerhalb ohne Auto wahrzunehmen – beispielsweise in der Adventszeit. Dadurch gerät man in die soziale Isolation.

Mit Schulbus zum Einkaufen

Die Einkäufe erledigen meine Frau und ich mit dem Fahrrad. Wenn im Winter zu viel Schnee liegt, gehe ich auch mal zu Fuß nach Wassertrüdingen und lasse mich mittags vom Schulbus wieder mit zurücknehmen.

Die Stadt Wassertrüdingen will den Radverkehr fördern und hat fünf kostenlose Radboxen an einer Stelle aufgestellt, wo sie Fremde gewiss nicht finden. Diese Boxen sind hilfreich, weil ich bei längerer Reise mit dem Rad nach Trüdingen fahren und es dort sicher deponieren kann.

Ich bin in München geboren und aufgewachsen, durch den Beruf als Allgemeinmediziner bin ich aufs Land gekommen. 2001 habe ich meine Praxis aufgegeben. Bis dahin hatten wir sogar zwei Autos. Berufstätig zu sein, setzt hier ein Auto voraus.

Die ländliche Idylle existiert: Wir haben Dachse, Uhus, Mauersegler, Schleiereulen. Nachts kann es stundenlang absolut still sein und es gibt noch einen makellosen Sternenhimmel, weil um Mitternacht alle Lichter ausgehen.

Ralf Meyer

fairkehr 5/2023