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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 5/2012

Radfahren ist der Schlüssel

Menschen werden krank, weil sie sich nicht genug bewegen, sagt Medizinprofessor Martin Halle. Wie Radfahren hilft und warum es so gesund ist, erklärt er im Interview.

Foto: Gregor BresserMedizinprofessor Martin Halle (50) von der TU München erforscht die Bedeutung von körperlichem Training bei Patienten mit Herz-Kreislauf-Risikofaktoren. Weil es Spaß macht und um gesund zu bleiben, fährt er täglich mit dem Rad zu Arbeit.

fairkehr: Wir werden immer älter. Wie schaffen wir es, biologisch jung zu bleiben?

Martin Halle: Ein gesunder Lebensstil ist entscheidend: Die Kombination aus nicht Rauchen, viel Gemüse und Obst, wenig Alkohol und regelmäßigem Ausdauersport senkt allein das Herzinfarktrisiko um 80 Prozent. Alterungsfaktoren sind körperliche Inaktivität, Stress, Fehl­ernährung, Übergewicht, Rauchen, Bluthochdruck, Diabetes und erhöhte Blutfette. Schlechte Fitness und Rauchen sind dabei die gravierendsten Faktoren. Mehr Bewegung und ein erhöhter Energieverbrauch bringen die Verjüngungsmechanismen dagegen in Schwung. Trainierte Gefäße bleiben jung!

Eine Möglichkeit: Fahrradfahren. Warum ist Radfahren so gesund?

Radfahren ist das ideale Herz-Kreislauf-Training. Regelmäßiges Fahrradfahren senkt den Blutdruck und verringert das Herzinfarktrisiko. Drei- bis viermal wöchentlich 30 Minuten Radfahren verlängert das Leben in Gesundheit um etwa zehn Jahre. Der Grund: Beim Radfahren pumpt das Herz zwei bis drei Mal so viel Blut durch das Gefäßsystem und die Lunge wird mit bis zu doppelt so viel Sauerstoff durchflutet als im Ruhezustand. Das fordert und reizt die Gefäße, sie werden mittrainiert und elastischer. Auch die Durchblutung in den kleinen Gefäßen, die jede Zelle mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgen, verbessert sich. Auf Dauer entstehen zudem neue Gefäße und die allgemeine Ausdauer verbessert sich. Mit Radfahren lässt sich auch der Rückgang an Knochenmasse und -dichte aufhalten, der etwa ab dem 25. Lebensjahr einsetzt. Auch für Cholesterin-Gefährdete lohnt sich dieser Ausdauersport: Das schlechte LDL-Cholesterin wird weniger, das gute HDL-Cholesterin dagegen erhöht sich – ein wichtiger Faktor gegen das Altern der Gefäße. Zusätzlich ist Radfahren gut für die Psyche – wer regelmäßig in die Pedale tritt, ist zufriedener und ausgeglichener, auch beim Stress im Beruf. Zudem hilft Radfahren beim Abnehmen und ist gerade für Übergewichtige optimal: Etwa 75 Prozent des Körpergewichts werden durch den Sattel aufgefangen und belasten die Gelenke an den Beinen nicht. Radeln ist daher eine perfekte Alternative zum Joggen.

Ist Radfahren auch der ideale Sport für ältere Menschen und solche, die lange inaktiv waren?

Definitiv, denn Fahrradfahren bedeutet Mobilität mit größerem Aktionsradius. Es ist nie zu spät, um sportlich aktiv zu werden. Unterstützung kann zu Beginn auch ein Motor im E-Bike geben. Aber Achtung: Die Koordination muss stimmen, denn ein Sturz muss unbedingt verhindert werden. Um Körper und Geist langfristig jung und leistungsfähig zu halten, ist es wichtig, mehrfach pro Woche Sport zu treiben. Ausdauersportarten wie Radfahren sind dafür ideal geeignet. Menschen werden nicht krank, weil sie älter geworden sind, sondern weil sie sich nicht genug bewegen.

Wirken sich auch kurze Radtouren positiv auf meine Gesundheit aus?

Es ist besser, nur kurz Sport zu treiben, als gar nicht. Auch ein zehnminütiges, tägliches Radtraining – im leichten Gang und kontinuierlich gefahren – verbessert den Kreislauf und die Herzgesundheit: Schon nach drei bis vier Wochen mit regelmäßiger Belastung steigt der Puls beim Sport weniger schnell an und das Herz schlägt im Ruhezustand langsamer. Auch die Gefäße profitieren bereits nach einigen Wochen: Ihr Durchmesser und damit der Blutdruck passt sich Belastungen besser an und die Gefäßwände werden elastischer. Ablagerungen stabilisieren sich. Damit sinkt das Risiko, dass sie sich lösen, Gefäße verstopfen und so im Extremfall einen Herzinfarkt oder Schlaganfall verursachen. Weitere positive Effekte: der Blutzuckerspiegel sinkt, die Fettverwertung steigt.

Wie motivieren Sie Diabetiker und Hyper­-toniker zum Radfahren?

Sport ist Medizin: Regelmäßiges Fahrradtraining plus eine Ernährungsumstellung kann dem Ausbruch des Typ-II-Diabetes (Altersdiabetes) nachweislich besser vorbeugen als Medikamente. Hypertoniker können mit regelmäßigem Radfahren ihren Blutdruck durchschnittlich um zehn mm Hg senken.

Wie sieht das ideale Radtraining für Einsteiger aus?

Einsteiger sollten mit kurzen Einheiten anfangen – etwa 15 Minuten, drei bis vier Mal pro Woche – und Intensität und Dauer allmählich steigern. Wer Vorerkrankungen hat oder jahrelang nur Fernsehsportler war, sollte sich vor dem ersten Training von einem Sportmediziner untersuchen lassen. Zur Ermittlung der individuellen Sporttauglichkeit wird un­ter anderem ein Belastungstest mit Laktatdiagnostik durchgeführt. Basierend auf den Ergebnissen bekommt der Einsteiger einen Trainingsplan erstellt.

Was ist beim Fahrrad aus medizinisch-ergonomischer Sicht wichtig?

Das Fahrrad sollte auf die Art des Trainings und die körperlichen Voraussetzungen abgestimmt sein. Wer beispielsweise Rückenschmerzen hat, wird sich mit einem Rennrad keinen Gefallen tun, vielmehr mit einem Tiefeinsteiger. Wichtig bei der Fahrradwahl sind die richtige Größe und eine gute Federung. Die Stöße beim Überfahren von Bordsteinkanten, Schlaglöchern und Fahrbahnunebenheiten belasten die Wirbelsäule. Eine Voll­-federung kann diese Belastungen um mehr als ein Drittel senken. Lenker und Sattel sollten vom Fachmann optimal eingestellt sein, um keine Schäden an Nacken, Rücken oder Gelenken zu riskieren.

Welchen Sport treiben Sie selbst?

Täglich fahre ich mit dem Rad zum Institut und zurück, auch wenn das nur zwei Mal zehn Minuten sind. Zusätzlich fahre ich zwei Mal pro Woche den Weg zum Klinikum rechts der Isar. Da kommen dann pro Tag 15 Kilometer zusammen. Mein Faltrad nutze ich, wenn ich an mehreren Orten in der Stadt zu tun habe. Das geht schneller als mit dem Auto, ich vermeide den Stau auf dem Mittleren Ring in München und erfreue mich an der Stadt und den Leuten. Da braucht es dann am Abend kein weiteres Training im Fitnessstudio und keinen Lauf um den Nymphenburger Kanal, wie ich es sonst tue. Da sind genug „Gesundheitspunkte“ gesammelt.

Interview: Gunnar Fehlau

Buch: Zellen fahren gerne Fahrrad

Vorsorge und ein guter Lebensstil schützen vor den meisten Krankheiten. Das ist die Kernaussage des Münchner Medizinprofessors Martin Halle. In seinem neuen Buch erklärt er, wie jeder, gleich welchen Alters, mit einem von ihm entwickelten „E-Punkte-Programm“ aus gesunder ­Ernährung, Nichtrauchen und leichtem, aber regelmäßigem Bewegungstraining Gefäße und Organe jung erhält und den Alterungsprozess verlangsamen kann. Der jugendlich wirkende fünfzigjährige Kardiologe und Sport­mediziner erklärt die Zusammenhänge sehr anschaulich und leicht verständlich. Wer wissen will, ob sein biologisches Alter über oder unter dem tatsächlichen kalendarischen Alter liegt, kann sich einem 20-Fragen-Test unterziehen. ­Nebenbei soll der Leser oder die Leserin einiges über die Faktoren für das vorzeitige Altern erfahren oder das Risiko kennenlernen, einmal selbst an Diabetes, Bluthochdruck oder Krebs zu erkranken. Seinen Test für das biologische Alter hat der Professor auch ins Internet gestellt.

Martin Halle: Zellen fahren gerne Fahrrad – Mit gesunden Gefäßen länger jung bleiben. Mosaik Verlag 2012, 208 Seiten, circa 60 farbige Abbildungen, 19,99 Euro. 

fairkehr 5/2023