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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Reise 3/2012

Radfahren im Jura

Die deutsch-französische Hochgeschwindigkeitsstrecke von Frankfurt nach Marseille führt durchs französische Jura – viel zu schön, um einfach nur durchzurauschen.

Foto: Jochen HaarTolles Radfahrerlebnis: Durch spektakuläre Landschaft und schöne Örtchen können sich Radler bis zur Quelle der Loue hocharbeiten.

Gilles Da Costa hat ein breites Grinsen auf dem Gesicht. Zwar gibt der Vorsitzende des regionalen Radsportverbands sich alle Mühe, diese Besuchergruppe stilecht über die Tour-deFrance-Zeitfahrstrecke zu bringen. Mit seinem 80er-Jahre-Citroën fährt er als Leitfahrzeug vorneweg, nebelt die Radler mit dem typischen Tour-de-France-Dieselgeruch ein und steigt an jeder Kreuzung aus, um den Verkehr zu regeln, bis auch der letzte Radfahrer durch ist. Aber der Anblick der wenig professionell gekleideten Radfahrertruppe, die auf E-Rädern und Mountainbikes eher genüsslich durch die Landschaft rollt, bringt ihn dann doch immer wieder zum Lachen. Da Costa ist ganz Franzose. Für ihn gibt es nur eine Sportart: Rennradfahren. Dass die Tour de France im Juli drei Tage bei ihm in der Franche-Comté unterwegs sein wird, erfüllt ihn mit Stolz und Vorfreude. Dass man zwischen Besançon und Belfort im Norden und Pontarlier im Süden der Region das ganze Jahr über auch ohne spitzensportliche Ambitionen wunderbar Rad fahren kann, passt nicht in sein Weltbild.

Die 38 Kilometer lange Zeitfahrstrecke von Arc-et-Selans nach Besançon, auf der am 9. Juli die Tour-de-France-Fahrer um jede Zehntelsekunde kämpfen werden, führt durch zwei der idyllischsten Flusstäler im französischen Jura: dem Loue- und dem Doubs-Tal. Zu schön eigentlich, um nur aufs Tempo zu achten.

Sport rund ums Kulturerbe

Schon der Startpunkt, die königliche Saline von Arc-et-Senans, ist spektakulär: Das im Stil einer Sonnenuhr im Halbkreis angelegte monumentale Gebäudeensemble, das kurz vor der französischen Revolution noch im Auftrag LudwigsXVI. erbaut wurde, gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe. Wer das beeindruckende Licht- und Schattenspiel der Anlage bei Nacht bewundern möchte, kann während der Sommermonate in einem der Gästehäuser übernachten und – wie die Tour-de-France-Zeitfahrer am 9. Juli – am nächsten Morgen direkt vor den Toren des Salinengeländes losradeln. Auf 38 Kilometern führt die Zeitfahrstrecke über kleine Landsträßchen, vorbei an grünen Weiden, üppigen Feldern und verschlafenen Ortschaften. Ein paar Kilometer folgt die Strecke der gemütlich dahinplätschernden Loue. Dann geht es über eine Hügelkette erst bergauf und dann flott hinunter ins Doubs-Tal und weiter nach Besançon.

Der Doubs ist ein Fluss, der für vieles stehen könnte – für geologische Besonderheiten, landschaftliche Schönheit, Internationalität – aber niemals für Eile. Kaum ein anderer Fluss braucht so lange, um sich für eine Fließrichtung zu entscheiden. Der Doubs entspringt auf knapp 950 Meter über dem Meer in Frankreich, fließt dann erst einmal Richtung Nordosten durch die Schweiz, um dann auf halber Strecke kehrtzumachen und sich wieder nach Westen zu orientieren. Obwohl der gesamte Flusslauf über 450 Kilometer lang ist, liegen Quelle und Mündung nur 90 Kilometer voneinander entfernt.

Radwanderer wussten den durch Frankreich verlaufenden Abschnitt dieses Gewässers schon immer zu schätzen, denn das Doubs-Tal bildet bei Radtouren von Deutschland nach Frankreich eine steigungsarme Durchgangsschneise durch das eher bergige Grenzland rund um Basel und Mühlhausen. Kein Zufall also, dass der europäische Radfernwanderweg „Eurovelo 6“ auf seinem Weg von der Loiremündung am Atlantik bis zur Donaumündung am Schwarzen Meer auch ein Stück am Doubs entlangführt.

Die Region Franche-Comté hat weder Kosten noch Mühe gescheut, um „ihren“ Abschnitt der Eurovelo-Route 6 so perfekt wie möglich zu gestalten. Leise surren die Reifen über die frisch geteerte Oberfläche. Eine lückenlose Beschilderung weist den Weg. Abseits vom Autoverkehr führt die Radroute meist direkt am Fluss entlang. Der Asphaltstreifen ist breit genug, so dass man auch mal entspannt nebeneinander her radeln und sich unterhalten kann.

Das Licht, die Flussauen, die Dörfer am Weg: Unweigerlich drängen sich Erinnerungen an andere Radtouren durch Frankreich auf. Am liebsten möchte man immer weiter radeln – bis ans Mittelmeer oder doch wenigstens bis ins Rhônetal ­hinüber.

Aber vorher gibt es in der Region noch einige Sehenswürdigkeiten zu besichtigen. Städte wie Belfort oder Besançon mit ihren imposanten Festungen, ­sehenswerten Altstädten und schicken Einkaufsstraßen liegen direkt an der Radroute. Die vom französischen Festungsarchitekten Vauban erbaute Zitadelle von Besançon hat ebenfalls Kulturerbestatus und gilt als eines der beeindruckendsten Bauwerke Vaubans in Frankreich. Ein Zwischenstopp im Hauptort der Franche-Comté gehört zum absoluten Muss – nicht nur für Radtouristen.

Wer die Region über die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke durchquert, sollte sich in Besançon ebenfalls eine Pause gönnen. Ganz untypisch fürs französische Bahnsystem: Der neu gebaute futuristische Bahnhof „Besançon Franche-Comté TGV“ ist per Nahverkehr direkt an die Innenstadt angeschlossen.

Eldorado für Mountainbiker

Mountainbike-Guide Yannick Prysbor steht auf der Anhöhe, die er soeben per Bike erklommen hat, und schaut hinunter auf den in weiten Schleifen durchs Tal ziehenden Fluß. „Einen Fernradweg am Doubs entlang?“ Die Idee amüsiert den Mountainbiker. Er kennt jeden Feld-, Wald- und Wiesenweg in seiner Region. Dass man dem Doubs viele Tage lang mit dem Rad folgen kann, hat er noch nie gehört.
Wie Radfunktionär Da Costa freut sich auch Prysbor auf ein großes Radsport­-event in der Region: Anfang Oktober wird die Mountainbike-Marathon-Weltmeisterschaft im französischen Jura ausgetragen. Auf einer Strecke von 100 Kilometern rasen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus über 50 Ländern dann steil bergauf und bergab um die Wette.

Wer es gerne etwas ruhiger angehen lassen möchte, sollte der Region einen Besuch abstatten, wenn der Tour-Tross abgezogen ist und die Mountainbiker noch andere Bergregionen unsicher machen. Der Doubs bleibt und Radrouten gibt es in der Region auch ohne große Sportevents genug – für alle Fahrrad­­typen.

Regine Gwinner

fairkehr 5/2023