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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 3/2012

Dienstwagen überrollen Bahncard100

Eine Dauer-Zugfahrkarte wäre oftmals eine sinnvolle Alternative zum Dienstwagen. Doch der Anreiz für Unternehmen und Mitarbeiter ist im Autoland Deutschland bislang nicht groß genug.

Foto: DB AG/Hans-Joachim KirscheEin schönes, schnelles Dienstfahrzeug – und jederzeit nutzbar mit der Bahncard100. Doch nur wenige Arbeitnehmer besitzen eine.

Als der Vorstandssekretär Dietrich Papsch vor ein paar Jahren von seinem damaligen Arbeitgeber Bombardier eine Bahncard100 statt eines Dienstwagens forderte, bekam er eine Absage. Dann zumindest nur ein kleines Auto, schlug er vor. „Die haben mich gefragt, ob ich die Maßstäbe verderben will, und ich musste dann einen Passat nehmen“, berichtet Papsch, der inzwischen im Ruhestand ist. Dieter Brübach vom grünen Unternehmensverband B.A.U.M hält diese Erfahrung für typisch: „Entweder Dienstwagen oder gar nichts.“

Dass sich die deutsche Autoindustrie nach wie vor auf große, schwere Fahrzeuge konzentriert, liegt zu einem erheblichen Teil am Dienstwagenprivileg. Mehr als jedes zweite neu zugelassene Auto gilt offiziell als Firmenwagen. Das Unternehmen spart auf diese Weise Gehalt und Sozialabgaben und kann das Fahrzeug absetzen – die Angestellten erhalten für wenig Geld ein repräsentatives Auto.

So ist es kein Wunder, dass die Bahncard100 in Deutschland ein Schatten­­dasein führt. Gerade einmal 39000 Menschen besitzen die Dauerfreifahrkarte, die in der zweiten Klasse 3990 Euro kostet. In der Schweiz mit einer zehnmal so kleinen Bevölkerung nutzen 423000 Menschen das Generalabonnement.

Der IT-Fachmann Mark Kuschel gehört in Deutschland zu der seltenen Spezies der Bahncard100-Besitzer. Er arbeitet für die Firma Ceteris in Bremen, die Unternehmen beim Aufbau von Datenbanken unterstützt. Kuschel reißt monatlich oft Tausende von Kilometern ab, um die Kunden zu besuchen. Er konnte sich zwischen Dienstwagen und Bahncard100 frei entscheiden – und wählte die Dauer-Zugfahrkarte. „Da kann ich die Zeit sinnvoll nutzen und es ist viel stressfreier“, sagt Kuschel. Jeden Monat macht er eine Aufstellung über die zurückgelegten Strecken. So ist sowohl für seinen Arbeitgeber als auch fürs Finanzamt nachweisbar, dass die Bahncard100 sich fürs Unternehmen rechnet. Deshalb darf Mark Kuschel die schwarze Plastikkarte auch in seiner Freizeit nutzen, ohne dass er sie als geldwerten Vorteil versteuern muss.

Genauso ergeht es Rainer Grießhammer vom Ökoinstitut, der als Experte für nachhaltigen Konsum durchschnittlich zweimal wöchentlich auf Achse ist. Die Abrechnungsstelle des Instituts hat die Bahncard100 in die Reisekostenabrechnung integriert. So lässt sich am Jahresende leicht feststellen, ob es für den Arbeitgeber billiger gewesen wäre, wenn der Mitarbeiter eine Bahncard50 bekommen und jedes Mal ein Ticket gelöst hätte. In dem Fall würde der Differenzbetrag als „geldwerter Vorteil“ gelten, den Grießhammer in seiner Steuererklärung angeben müsste.
„Das Schöne an der Bahncard100 ist, dass man in vielen Städten gleich nach der Ankunft den ÖPNV nutzen kann und sich nicht erst einmal mit einem Ticketautomaten rumschlagen muss“, sagt Grießhammer. Das spart Zeit – und Geld.

Offiziell gilt die Bahncard in 120 teilnehmenden Städten nur für den Weg vom und zum Bahnhof. Tatsächlich aber kann niemand kontrollieren, ob die Besitzer der 100-Prozent-Karte gerade erst angekommen sind oder gleich wieder abreisen. Bislang hat sich noch kein Verkehrsverbund beschwert, so ein DB-Sprecher. In der Schweiz gilt das Generalabonnement ganz offiziell in fast allen Bussen und Straßenbahnen.

Siemens ist ein bisschen grüner

Siemens hat sich auf die Fahnen geschrie­ben, in punkto Dienstwagen und Reisen der Mitarbeiter grüner zu sein als andere Dax-Unternehmen. So dürfen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Dienstfahrten die Bahn nutzen – auch wenn sie einen Firmenwagen besitzen. Von den etwa 12000 Menschen, die bei Siemens im Service und Vertrieb arbeiten, braucht ein gutes Drittel ein Auto, um den Job zu erledigen. „Wer von Am­pel zu Ampel fahren muss, kann keine U-Bahn nehmen“, sagt Henning Brandes aus der Personalabteilung.

Als Dienstwagen für diesen Personenkreis akzeptiert Siemens ausschließlich Mittelklassewagen, die weniger als 129 Gramm CO2 pro Kilometer produzieren. Wer das Auto auch privat nutzen will, kann entweder die gefahrenen Kilometer abrechnen oder eine Pauschale bezahlen. Siemens berechnet dafür ein Prozent vom Anschaffungspreis und zieht die Pauschale direkt vom Lohn ab. Wer sich für ein besonders emissionsarmes Auto entscheidet, bekommt weniger abgezogen.
Brandes rechnet vor, was das Siemens-System im Vergleich zum bundesweit üblichen Dienstwagenprivileg bedeutet: Wenn ein Mitarbeiter 3000 Euro verdient und das Auto 30000 Euro kostet, zahlt er bei Siemens 300 Euro. Nach der Dienstwagenbesteuerung, wie sie der Gesetzgeber vorgesehen hat, würde das Auto den Mitarbeiter bei einem Steuersatz von gut 30 Prozent eigentlich nur etwa 90 Euro monatlich kosten. „Dass das Fahrzeug bei uns teurer ist, ist Absicht“, betont Brandes.

Foto: iStockphoto.com/baranozdemirSchon wieder Stau auf dem Weg zum Kunden. Säße er doch nur in der Bahn.

Luxuslimousinen kosten

Etwa ein Prozent der 120000 Siemens-Mitarbeiter in Deutschland gehört zur Gruppe der leitenden Angestellten. Das Recht auf einen Dienstwagen steht in ihrem Arbeitsvertrag. Sie können sich für eine Luxuslimousine entscheiden – müssen sich aber bei einem CO2-Ausstoß von mehr als 170 Gramm pro Kilometer stärker an den Kosten beteiligen. Für besonders emissionsarme Fahrzeuge gibt es auch hier einen Bonus.

Außerdem bietet Siemens denjenigen, die auf den vertraglich zustehenden Dienstwagen verzichten, 650 Euro im Monat als Mobilitätszulage an. Mehr als genug, um damit die 6690 Euro teure Bahncard100 erster Klasse zu besorgen. Wie viele dieses Angebot nutzen, verrät Henning Brandes nicht. „Aber es werden immer mehr. Wir sehen, dass das Interesse am Statussymbol Auto nachlässt“, sagt der Mann aus der Personalabteilung.

Die Deutsche Telekom bietet den Leu­ten in ihrer Führungsetage sogar direkt den Erste-Klasse-Dauerfreifahrschein an, wenn sie keinen Dienstwagen wollen. „Jedoch nutzt nur ein ganz geringer Anteil aller berechtigten Kollegen tatsächlich die Bahncard100 als Alternative“, berichtet die für Öffentlichkeitsarbeit zuständige Tanja Vollberg.

Dagegen schwört der evangelische Landesbischof Ulrich Fischer aus Baden auf seine Bahncard100. Die nutzt er nicht nur für jede Dienstreise, bei der das möglich ist. Morgens pendelt er damit auch nach Karlsruhe, wo er sein Fahrrad am Bahnhof geparkt hat. In seiner 400-köpfigen Verwaltung haben immerhin neun weitere Mitarbeiter eine Bahncard100. Einen individuellen Dienstwagen besitzt hier niemand, und die Firmenwagen dürfen grundsätzlichnicht privat genutzt werden.

Üblich in Firmen und Ministerien ist es hingegen nach wie vor, dass der Chef das größte – und klimaschädlichste – Auto fährt. Die Deutsche Umwelthilfe DUH recherchiert hier alljährlich Daten. Demnach nutzt DB-Chef Rüdiger Grube einen Mercedes, der 191 Gramm CO2 pro Kilometer in die Luft bläst. Das ist zwar wenig im Vergleich zu den Vorstandsvorsitzenden von Metro und Allianz, aber deutlich mehr als der in der EU geltende Zielwert für Neufahrzeuge von 130 Gramm pro Kilometer. Immerhin achtet die DB bei ihrer Fahrzeugflotte auf niedrige Verbrauchswerte, sodass der Durchschnitt hier bei 125 Gramm liegt.

Dass fast alle führenden Politiker in ihrer Wahrnehmung autofixiert sind und das Dienstwagenprivileg weiterhin existiert, liegt sicher auch daran, dass sie selbst ständig mit Limousinen unterwegs sind. Die großen deutschen Autohersteller gewähren Ministerien angeblich Rabatte in Höhe von 70 Prozent und mehr, hat die DUH in Erfahrung gebracht. Da­mit belohnt die Blechindustrie das leitende politische Personal für die kostenlose Werbung: Oft mehrmals täglich filmen Fernsehteams, wie Ministerinnen und Minister in ihre Dienstfahrzeuge ein- oder aus ihnen aussteigen. Die Autos stammen inzwischen wieder komplett aus deutscher Produktion, nachdem der Berliner Senat die besonders klimafreundlichen Toyota-Hybridfahrzeuge im vergangenen Jahr abgeschafft hat.

Bund zahlt nicht für BC100

Besonders absurd ist, dass die Reisekostenvorschrift des Bundes es bis heute nicht erlaubt, Dienstreisen mit der Bahncard100 abzurechnen, wenn ein Mitarbeiter die Bahncard 100 oder eine andere Zeitkarte privat erworben hat. „Im ­öffentlichen Dienst werden keine anteiligen Erstattungen vorgenommen, so dass manche Mitarbeiter – quasi aus Protest – das Auto nutzen oder dies zumindest angeben“, beschreibt VCD-Bundesschatzmeister Alexander Huber den Missstand.
Das Gleiche gilt für Leute, die zum Beispiel den Bundestag beraten. Rainer Bode, Vorstand der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren und Besitzer der Dauerfahrkarte, war 2006 als Experte zu einer Anhörung in den Bundestag eingeladen. Vergeblich versuchte er anschließend, 80 Euro Reisekosten für die Fahrt von Münster nach Berlin in Rechnung zu stellen – so viel, wie damals eine Zugfahrt mit Bahncard50 gekostet hätte. Schließlich hatte sein Arbeitgeber die Karte ja vorfinanziert, argumentierte Bode, indem er ihm die Bahncard100 überließ. Doch weil Bode keinen Fahrschein vorlegen konnte, wollte die staatliche Kostenstelle nichts überweisen. Bode klagte – und verlor den Prozess. „Wenn ich angegeben hätte, dass ich mit dem Auto gekommen wäre, hätte ich 130 Euro bekommen“, regt er sich auf.

Eine solche Regelung sei nicht nur aus ökologischer Sicht unakzeptabel, sie müsse dringend geändert werden, fordert VCD-Schatzmeister Huber. Hessen hat das in seinem Reisekostengesetz Anfang 2010 immerhin schon getan. Es geht also voran in Deutschland – langsam, sehr langsam.

Annette Jensen

Bahncard100 statt Dienstwagen

Wenn ein Unternehmen seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Bahncard100 zur Verfügung stellt, gilt das als steuer- und sozialversicherungspflichtiger Sachbezug. Im Klartext: Die derzeit 3990 Euro für eine Bahncard100 zweiter Klasse tauchen in der Lohnabrechnung auf, so als ob die Mitarbeiter den Betrag zusätzlich verdient hätten. Die Steuern und Sozialabgaben darauf werden ihnen vom Lohn abgezogen.
Der Betrag, den die Mitarbeiter versteuern müssen, kann reduziert werden, wenn sie Dienstreisen mit der Bahncard100 nachweisen. Angerechnet wird der Fahrpreis, der bei Nutzung einer Bahncard50 für die Dienstreise fällig ­geworden wäre.

fairkehr 5/2023