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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 2/2012

Beflügelt durch den Alltag

Das Elektrofahrrad etabliert sich als neues Verkehrsmittel, macht Freude beim Fahren und ersetzt auf vielen Strecken die Fahrt mit dem Auto.

Foto: Marcus GlogerFlott zur Schule und zurück: Anna Schneider fährt auf dem Lieblingsfahrzeug ihrer Familie und ist damit schneller als mit dem Bus.

Es ist dieses entspannte Lächeln, mit dem Frauen wie Männer, Junge wie Alte nach einer Probefahrt vom Elek­trorad steigen. Es sagt eigentlich alles – ohne Worte. Selbst Skeptiker, die vor der Probefahrt nach eigener typischer Aussage „so was noch nicht brauchen“, steigen positiv überrascht wieder ab. Das E-Bike überzeugt inzwischen selbst die Sportlichen unter den Radfahrern. Die ersten Mountainbikes mit dem elektrischen Zusatzantrieb kamen vor zwei Jahren in den Handel und waren im Nu vergriffen. In diesem Jahr kommen auch die ersten Rennräder mit elektrischem Rückenwind auf den Markt.

Das E-Bike hat das Hilfsbedürftigen-Image abgestreift und wird bei den Verbrauchern akzeptiert. Das zeigen auch die steigenden Verkaufszahlen von zuletzt 310.000 Stück in Deutschland im Jahr 2011. Puristen bemängeln zwar noch immer, das Fahrrad an sich sei doch schon so energieeffizient, wozu dann noch den Aufwand mit Motor und Batterie und überhaupt, ökologisch sei das Fahrrad nach wie vor besser.

Doch die praktische Erfahrung lehrt die Nutzer ganz einfach: E-Bike zu fahren macht Spaß und ist so herrlich mühelos, nimmt es doch dem Fahrrad den letzten Rest an Beschwerlichkeit. Bergauf, gegen den Wind, mit schweren Lasten oder auf längeren Strecken behält das Elektrofahrrad die Leichtigkeit eines Rennrades in der Ebene mit Rückenwind. Und das auf jedem Kilometer und wenn man will, auch ohne Schwitzen.

Das ideale Hybridfahrzeug

Nüchterne Analytiker bestätigen das: Die eigene Antriebskraft wird durch den Motor verdoppelt bis verdreifacht, funktioniert aber nicht ohne eigene Muskelkraft. Die Räder werden deshalb auch Pedelec genannt: Man muss treten, damit der Motor unterstützt. So tut man auch noch etwas für die eigene Gesundheit. Im Fahrverhalten bleibt das Elektrorad ein Fahrrad. Das etwas höhere Gewicht, verursacht durch Akku und Motor, macht der Zusatzantrieb mehr als wett.

Auch rechtlich bleibt das Pedelec ein Fahrrad, solange der Motor bei 25 km/h automatisch abschaltet. Bei alledem bleibt der Einsatz an elektrischer Energie verschwindend gering: Umgerechnet in Benzin liegt der Verbrauch bei nur 0,2 Litern auf 100 Kilometern. Weil Muskel- und elektrische Zusatzkraft zusammenwirken, ist das Elektrorad das ideale Hybridfahrzeug.

Welches E-Bike für wen?

Inzwischen gibt es so viele E-Bike-Typen wie Fahrradtypen: Zu kaufen gibt es City-E-Bikes mit tiefem Durchstieg, Trekking-E-Bikes für Berufspendler und Tourenradler, E-Mountainbikes und E-­Renn­räder für Sportler. Auch Lastenräder, Tandems und Dreiräder mit Elektrounterstützung bieten die Hersteller mittlerweile an. Und das hat bei E-Bikes genauso seine Berechtigung wie bei Fahrrädern ohne Zusatzantrieb.

Ob Vorderrad-, Hinterrad- oder Mittelmotor, alle Antriebskonzepte haben ihre Vor- und Nach­teile. Die Akkus verschiedener Kapazität ermöglichen unterschiedliche Reichweiten. Dabei sollte man die Reichweite nicht überbewerten. Für die meisten Strecken im Alltag reicht ein kleiner Akku. Dass man ein wenig mehr planen muss als beim reinen Fahrrad, ist selbstverständlich. Ein Fahrradcomputer als Kilometerzähler ist im Alltag unbedingt zu empfehlen.

Wichtiger als die Reichweite ist eine gute Motorsteuerung, damit Motor- und Muskelkraft ohne Ruckeln harmonisch zusammenarbeiten. Wegen der Ersatzteilversorgung sollte man eher bekannte und erfahrene Hersteller vorziehen.

Der Akku beispielsweise ist ein Verschleißteil und muss je nach Nutzung alle 15000 Kilometer erneuert werden. Das kann schon nach zwei Jahren sein, denn mit einem Elektrofahrrad ist man wie mit Flügeln im Alltag unterwegs. Man fährt mehr als früher, denn das Fahrrad – vor allem aber das Auto – bleibt immer öfter zu Hause stehen, wie zwei Studien aus der Schweiz und den Niederlanden und die folgenden Beispiele belegen.

Foto: Peter BarzelAuf dem Weg zur Schule fährt Rektorin Andrea Laferi auf ihrem E-Bike den Kolleginnen und Kollegen davon.

Heute alles mit dem E-Bike

„Wenn mir vor fünf Jahren einer gesagt hätte, dass ich heute mit dem E-Bike sieben Kilometer bis in die Innenstadt fahre und auch noch Spaß dabei habe, den hätte ich für verrückt erklärt“, sagt Andrea Laferi. Als die Grundschullehrerin vor fünf Jahren ihrer Schule um die Ecke den Rücken kehrte und als Rektorin zur Grundschule im nächsten Stadtteil wechselte, wollte sie eigentlich die fünf Kilometer dorthin mit ihrem neuen Fahrrad fahren.

Doch Andrea Laferi, bekannt für ihr Engagement und ihren mitreißenden Schwung, zählte Sport nicht zu ihren Leidenschaften. Eine steile Brückenrampe und der leichte, aber stetige Anstieg auf den letzten beiden Kilometern bis zur Schule waren der Grund, das neue Fahrrad schnell zu Hause stehen zu lassen.

Dann ergab sich die Gelegenheit, ein Elektrofahrrad auszuprobieren. Eine Woche Testfahrt ließen nicht nur das Kollegium staunen: Die Rektorin fuhr morgens frisch und entspannt mit dem E-Bike an der Schule vor. Andrea Laferi war selbst überrascht: „Ich hätte nie gedacht, dass Schnellfahren mit dem Fahrrad so viel Spaß macht!“ Vier Wochen später hatte sie ihren ersten eigenen Flyer, ein Fahrrad des Schweizer Herstellers aus dem Kanton Bern, der seit über fünfzehn Jahren Elektrofahrräder baut.

Inzwischen ist Andrea Laferi auf ein E-Bike der VSF-Fahrradmanufaktur mit dem neuen Bosch-Antrieb umgestiegen, weil das flotter aussieht, wie sie findet. Helm, Helmmütze, Hand­schuhe und eine fahrradtaugliche Winterjacke lassen sie auch im Winter fahren – solange es nicht glatt ist.

Die Regenkombi ist immer griffbereit in der Fahrradpacktasche und den Lenker ziert ein Halter fürs iPhone. Denn längst fährt Andrea Laferi auch längere Strecken, zusammen mit ihrem Mann oder Freunden am Wochenende. Den zweiten Akku braucht sie kaum noch, denn inzwischen fühlt sie sich so fit, dass sie immer öfter mit geringer oder sogar ohne Unterstützung fährt.

Foto: Peter BarzelDr. Martin Wallenfels macht die Hausbesuche bei seinen Patienten nur noch mit dem E-Rad.

Unverschwitzt zu Hausbesuchen

Eigentlich sollte es nur ein neues Fahrrad werden. Das wurde dann ein Elektrofahrrad, trotz des höheren Preises. „Ich sah es bei meinem Fahrradhändler um die Ecke, probierte es aus und war sofort begeistert.“ Der Internist
Dr. Martin Wallenfels hat seine Praxis in der Großstadt. Seine Hausbesuche macht er schon lange per Fahrrad. Er genießt das Radfahren, kommt aber nicht gern verschwitzt bei seinen Patienten an.

Das ist mit dem E-Bike anders: „Auf kurzen Strecken fahre ich häufig ohne Motorunterstützung, weil das E-Bike auch als reines Fahrrad gut rollt und leicht fährt.“ Auf längeren Strecken genießt der Motorradfan dann mit Motorunterstützung die höhere Geschwindigkeit. „Da erlebe ich dann auch einen echten Zeitvorteil, geringere Fahrzeit und vor allem keine Parkplatzsuche. Denn das ist hier in der Innenstadt ein großes Problem“, sagt der Hausarzt.

Probleme macht nach vier Jahren auch die Steuerung seines E-Bikes vom französischen Hersteller Matra, der seinen Vertrieb in Deutschland eingestellt hat. Sein Händler bekommt keine Ersatzteile mehr. Nach einem leichten Sturz hat Martin Wallenfels den Schalter am Bremsgriff selbst provisorisch wieder befestigt. Es funktioniert und das E-Biken macht ihm weiterhin Spaß. Beim nächsten Mal würde er das Modell auch nach dem Service-Angebot aussuchen.

Foto: www.pd-f.de / Holger HeinemannStatt Zweitwagen: Julika Mimkes kommt mit dem E-Rad und dem Kinderanhänger leichter in die auf der Anhöhe liegende Neubausiedlung.

Statt Zweitwagen

Wer Kinder hat, braucht mehr Platz – zum Wohnen und beim Transport. Mehr Wohnraum fand Julika Mimkes mit ihrem Mann und den beiden Kindern in einer Neubausiedlung: schön gelegen, aber 150 Höhenmeter oberhalb des Stadtzentrums.

Schon vor dem Umzug war die Transportlösung klar. Ein Auto musste sein, aber kein Zweitwagen. Stattdessen kauften die Mimkes vor viereinhalb Jahren zwei E-Bikes. Sie entschieden sich für Räder mit dem Heinzmann-Motor im Vorderrad. Das war der stärkste Motor, den der Händler damals im Programm hatte. Das hat sich bewährt.

„Inzwischen haben mehrere Familien in unserer Nachbarschaft ein E-Bike, aber wir kommen mit dem Kinderanhänger hinten dran immer noch am schnellsten den Berg hoch“, sagt die junge Mutter. Ein- bis zweimal in der Woche ist sie mit dem Kinderanhänger in der Stadt unterwegs, aber täglich fahren sie und ihr Mann mit ihren E-Bikes zur Arbeit. Dabei schätzt sie die Mofa-Variante ihres E-Bikes mit Gasgriff: „Damit kann ich den Motor einfach und schnell bei Bedarf zuschalten – das heißt, meistens brauche ich den Motor nur bergauf.“

Ohne Elektrofahrrad kann sich Julika Mimkes ihren Alltag nicht mehr vorstellen, auch wenn sich mit dem dritten Kind ein neues Problem ergab. „Zwei Kinder passen in den Anhänger, aber wegen der Akkubox seitlich am Gepäckträger können wir keinen Kindersitz am Fahrrad montieren.“ Mit allen drei Kindern zusammen muss deshalb das Auto bewegt werden, wie auch für den wöchentlichen Großeinkauf.

Foto: Peter BarzelRuth Eckhardt ist auf ihrem Sesseldreirad mit Elektrounterstützung endlich wieder mobil und kann ihre Einkäufe selbständig erledigen.

Endlich wieder mobil

Sie liebt das Radfahren seit ihrem fünften Lebensjahr. Und sie liebt die Natur. Beide Leidenschaften hat sie jahrzehntelang mit ihrem Mann geteilt. Unzählige Wanderungen und Fahrradtouren haben sie gemeinsam geleitet, viele davon im Kölner Eifelverein. Heute ist Ruth Eckhardt stolze 77 Jahre alt, Mutter von vier Kindern und Großmutter. Und wenn sie könnte, würde sie immer so weiter machen.

Doch die nachlassende Gesundheit schränkte ihre Mobiliät zuletzt sehr ein. Außerhalb des Hauses war sie auf eine Gehhilfe angewiesen und das Auto lässt sie aus Vernunftgründen lieber stehen. Ihr Sohn riet zu einem Dreirad, der Fahrradhändler zu einem Sesseldreirad: „Ich habe mich draufgesetzt, der hat die Tür aufgemacht und ich bin abgeflitzt. Das klappte wunderbar. Allerdings war auch schnell klar, dass ich einen Motor zu Unterstützung brauche“, sagt sie.

Die Firma Akkurad rüstete dann das Dreirad Lepus der Waltroper Firma Hasebikes mit einem Elektroantrieb aus. Der Sohn montierte eine abschließbare Aluminiumkiste für den Akku und für Einkäufe.

Seit einem Jahr ist Ruth Eckhardt täglich mit ihrem E-Bike unterwegs, zum Einkaufen, zum Spazieren an den Rhein, zu ihrem Sohn, der fünf Kilometer entfernt wohnt. „Ich bin so glücklich, dass ich wieder mobil bin“, sagt sie. Jetzt sucht sie nur noch Partner für kleinere Radtouren, auch ohne E-Bike. „Ich muss ja nicht immer ,full speed' fahren, obwohl das großen Spaß macht.“

Kann ich mal eben?

Die Haustür fällt ins Schloss. Dann geht sie noch mal kurz auf: „Ich nehme heute das Elektrofahrrad, okay?!“ Ohne eine Antwort abzuwarten, die ja auch "nein" lauten könnte, schwingt sich Anna Schneider aufs E-Bike und ab zur Schule.

Anders als ihre Großmutter, die sich noch fit und jung genug für ein richtiges Fahrrad fühlt, hat Anna keine Berührungsängste. Kurz vor dem Abitur sind andere Dinge wichtiger, vor allem wenn man morgens spät dran ist. Dann ist das Elektrofahrrad gerade passend. Schnell, lässig und locker auf die letzte Minute in der Schule ankommen, nur ja keine Zeit für Unwichtiges verschwenden, das ist cool.

Cool finden den schwarzen Flyer auch die Freunde. Mit seinen 20-Zoll-Rädern ist er nicht nur praktisch kompakt, sondern auch knuffig und stylisch. Das passt gut zu Umhängetasche und iPhone.

Seit einem Jahr gehört der Schweizer Flyer namens I:sy zur Familie. Die Benutzung ist so easy wie der Name, sodass er längst das meistgenutzte Fahrzeug ist. Annas ältere Schwester, deren Freund oder auch Mama und Papa „flyern“ regelmäßig, vor allem wenn es mal eben schnell gehen muss. Abends muss der Flyer, anders als die übrigen Räder, immer in den Hausflur, und am Bahnhof darf er nicht geparkt werden – zu gefährlich. Darin sind sich alle einig.

Und wenn der Akku morgens leer ist, ist es wieder niemand gewesen.

Peter Barzel

fairkehr 5/2023