Titel 1/2012
Die europäische Zugsicherung
Wer meint, Bahnstrom oder Spurbreiten wären die größten Herausforderungen für die Harmonisierung des europäischen Bahnverkehrs, hat noch nie etwas von ERTMS gehört.

Das „European Rail Traffic Management System“ ist ein europaweit einheitliches Zugsicherungssystem, das Unfälle – beispielsweise durch menschliches Versagen – verhindern soll. Bisher hat jede nationale Bahn ein eigenes Sicherungssystem. Das schränkt die Durchlässigkeit des europäischen Bahnverkehrs extrem ein.
Gegenüber den alten nationalen Sicherungssystemen bietet ERTMS viele Vorteile: Es ist nicht mehr abhängig vom Fahrzeug, sondern ins Gleisbett integriert. Von dort aus gehen per Sender alle wichtigen Informationen an die Züge. So können beispielsweise die Höchstgeschwindigkeit überwacht, der Abstand zum vorausfahrenden Zug bestimmt oder ein Zug abgebremst werden, wenn auf der Strecke ein Unfall passiert ist. Bisher ist die neue Technik, die die knapp dreißig bestehenden Sicherungssysteme ablösen soll, allerdings eher ein weiterer Stolperstein.
Statt einer neuen Generation nun zwei Systeme
Seit 2001 ist die Ausrüstung neuer Strecken mit ERTMS in der EU vorgeschrieben. Obwohl die EU hier die von vielen Seiten geforderte Autorität zeigte, hat sich das neue System eher zu einer Verwaltungsposse entwickelt. Denn die Vorgaben ließen zu viele Interpretationsspielräume zu, wie es aus gut informierten Bahnkreisen heißt.
Das führte dazu, dass neben den herkömmlichen nationalen Zugsicherungssystemen in vielen Ländern eine zweite Generation elektronischer Zugsicherungssysteme entstand. Zwar in Anlehnung an ERTMS, aber so individuell, dass die Software zwischen den Ländern wieder nicht kompatibel ist.
Da im Durcheinander der Softwarefassungen keiner mehr durchblickt, werden viele Züge nur noch für die Strecken zugelassen, für die sie gebaut und getestet sind. Ein Zug, der in mehreren Ländern fahren soll, muss daher für jedes Land extra getestet und zugelassen werden. So dauert es oft Jahre, einen einsatzfähigen Zug durch die internationale Bürokratie zu schleusen. Nun hofft die Bahnbranche auf die nächste abgestimmte Version von ERTMS.
Regine Gwinner