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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 6/2011

Tradition, gepaart mit neuen Ideen

Freiburg wurde durch eine besondere Konstellation zur Stadt des Ökoverkehrs – doch die einzelnen Bausteine lassen sich allesamt auch in anderen Städten umsetzen.

Foto: Karl-Heinz RaachDie Stadt gehört den Bürgern und nicht den Autos: Die Freiburger zeigen, wie es geht.

Es mag überraschend klingen, aber der Weg zu einer modernen Freiburger Verkehrspolitik begann mit konservativen Werten. „In der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg war Freiburg eine der wenigen Städte, die nicht das Ziel der autogerechten Stadt vor Augen hatten“, sagt Martin Haag, der heutige Baubürgermeister Freiburgs. Vielmehr baute man das Zentrum auf historischem Grundriss und damit recht kompakt wieder auf – die Zähringerstadt wollte schlicht ihren Ursprung bewahren. „Traditionsbewusstsein und der Stolz auf die eigene Historie prägten diese Entscheidung“, sagt Haag. Und so schuf – beziehungsweise erhielt – man sich im Breisgau zu Beginn der Autoepoche eine Innenstadt, die dem Auto nicht wie in vielen anderen Städten üppigste Flächen überließ.

1970 entstand der erste Radwegeplan

Auch der elektrischen Straßenbahn, die seit 1901 in der Stadt verkehrt, blieb man zu allen Zeiten treu – ein gewisser Strukturkonservativismus war der südbadischen Bischofsstadt stets eigen. Und die Nähe zur Schweiz, deren Städte sich ebenfalls nie von der Tram abkehrten, erleichterte diesen Schritt.

Aber Traditionsbewusstsein allein reichte natürlich nicht als Triebfeder zum Aufbau eines ökologischen Verkehrssystems. Man musste aufgeschlossen sein für neue Ideen. Auch das war Freiburg, geprägt vom universitären Umfeld. So erstellte die Stadt bereits im Jahr 1970 ihren ersten Radwegeplan, nur drei Jahre später beschloss sie, eine flächendeckende Fußgängerzone in der Altstadt zu schaffen. Das Ziel von Kommunalpolitik und Stadtplanern, die Beschaulichkeit des Zentrums zu erhalten, hatte so zwangsläufig eine Stadt der kurzen Wege zur Folge – zu einer Zeit, als dieses heute oft zitierte Prinzip noch nirgends explizit formuliert war.

„Bei allen Entscheidungen stand das Thema Lebensqualität in der Stadt im­mer im Vordergrund“, sagt der heutige Baubürgermeister. Ob im Zentrum oder in den Wohnquartieren, überall versuchte man stets, ein hochwertiges urbanes Umfeld zu schaffen – und das setzt naturgemäß eine Begrenzung der Belastungen durch Autoverkehr voraus.

Weil die Bürger den eingedämmten Autoverkehr schnell als vorteilhaft erlebten, begann nun etwas, was Haag als „Positivspirale“ umschreibt: Hand in Hand mit den Bedürfnissen seiner Bürger trieb die Stadtplanung in den folgenden Jahrzehnten die Ökologisierung des Verkehrs voran. Unterstützt wurde der Prozess auch durch den Kampf gegen das Atomkraftwerk Wyhl nahe Freiburgs ab 1975, der den Umweltschutz und die Frage, wie die lebenswerte Stadt der Zukunft aussieht, noch auf besondere Weise ins Bewusstsein der Menschen rückte.

Foto: Karl-Heinz RaachFreiburg hat die Straßenbahn immer ­erhalten und bietet attraktive Tickets.

Im Detail waren es am Ende viele Elemente, die ihren Teil zur Entwicklung beitrugen – jeweils gestützt durch eine überparteiliche Allianz in Bürgerschaft und Gemeinderat. Die Förderung von Fahrrad und ÖPNV wurde so schnell zum gesellschaftlichen Konsens.

Entwicklung der ÖPNV-Achsen

Aus Sicht der Stadtplanung sei immer die Entwicklung entlang der Achsen des ­öffentlichen Nahverkehrs wichtig gewesen, sagt Haag: „Stadtplanung und Verkehrsplanung gehören bei uns zusammen.“ Aus diesem Grund erstellte Freiburg auch frühzeitig ein Märkte- und Zentrenkonzept mit dem Ziel, den Einzelhandel am Stadtrand zu begrenzen und in den Stadtteilen zu stärken. Denn große Handelsflächen in der Peripherie vertragen sich in der Regel nicht mit umweltgerechter Mobilität.

Ein weiterer Meilenstein war 1984 die Einführung einer preislich attraktiven Monatskarte des Nahverkehrs, die Anfangs unter dem Namen „Umweltkarte“ nur die Stadt selbst, ab 1991 als „Regiokarte“ auch zwei angrenzende Landkreise umfasste. Noch heute ist das ­Monatsticket des Verkehrsverbundes preislich sehr attraktiv, zumal es übertragbar ist und an Sonn- und Feiertagen sogar für zwei Erwachsene und vier Kinder gilt.

Trotz der niedrigen Preise oder vielmehr gerade aufgrund der hohen Auslastung kommen die städtischen Verkehrsbetriebe in Freiburg heute auf einen Grad der Kostendeckung von 88 Prozent – den bundesweiten Vergleichswert gibt die Freiburger Verkehrs AG mit 77 Prozent an.

Solide Bügel statt untauglicher Klammern

Entsprechend gut ist in Freiburg der Modal Split. Bei der letzten Verkehrszählung, die allerdings bereits von 1999 datiert, hatte der ÖPNV in Freiburg einen Anteil am Binnenverkehr von 18 Prozent, das Fahrrad von 27 Prozent und Fußwege kamen auf 23 Prozent – denn auch attraktive Fußwege gehören zu einer modernen Stadtplanung. Heute, schätzt die Stadt, lägen die Zahlen sogar noch ein wenig besser.

Oft sind es vermeintliche Kleinigkeiten, die eine Stadt zur Umweltstadt machen. In Freiburg wurde auch der Ausbau von Abstellanlagen für Fahrräder seit den neunziger Jahren zu einem wichtigen Thema. Statt untauglicher Klammern sind in der Stadt inzwischen in großem Stil solide Bügel montiert, an denen sich auch hochwertige Fahrräder sicher anschließen lassen. Es gibt ein umfangreiches Radwegenetz und an einigen Stellen auf der Straße auch Aufstellflächen vor den Ampeln, damit sich die Radler vor den Autos postieren können.

Autoparkplätze sind teuer

Ein weiterer Baustein des Erfolgs war der Umgang mit dem ruhenden Verkehr. „In Freiburg findet jeder für sein Auto einen Parkplatz, aber der kostet eben richtig Geld“, sagt der Baubürgermeister. Zugleich zeigen sich beim Thema Parkraumbewirtschaftung aber auch schnell die Grenzen der kommunalen Kompetenzen: Die Berechtigung für das Anwohnerparken wird bislang recht freizügig und zu sehr niedrigen Gebühren vergeben – hier seien den Kommunen durch Bundesgesetze die Hände gebunden.

Verbessern muss sich auch noch die Verknüpfung von Carsharing und öffentlichem Nahverkehr. Aber wieder ist auch Bundesrecht tangiert: Seit einigen Jahren schon kämpfen Carsharing-Organisationen darum, dass Kommunen spezielle Parkplätze für die Gemeinschaftsautos ausweisen können – bislang ohne Erfolg.

Was können nun andere Städte von Freiburg lernen? Natürlich sei jede Stadt anders, sagt Baubürgermeister Haag, aber die einzelnen Bausteine eines umweltverträglichen Verkehrs seien trotzdem immer dieselben. Nur brauche man einen langen Atem: „Veränderungen sind nicht kurzfristig zu erzwingen, aber langfristig ergibt sich viel, wenn man dranbleibt.“

Und was am Ende auch noch wichtig ist: Am Geld könne eine Verkehrswende niemals scheitern: „Ökologische Verkehrspolitik ist nicht von der Finanzkraft der Gemeinde abhängig“, sagt Freiburgs Baubürgermeister, „wir waren sogar im Gegenteil meistens recht sparsam.“

Bernward Janzing

fairkehr 5/2023