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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Reise 6/2011

Urlaub im Kloster

Für die einen ist es Askese, für die anderen Genuss: Eine Auszeit im Kloster bietet – je nach Adresse – Meditation und Konzentration aufs Wesentliche oder das volle Verwöhnprogramm.

Foto: Créa-LanguesErst im 19. Jahrhundert erbauten Wandermönche das Monastère de Ségriès in der Haute-Provence. Später wohnten dort ein Fabrikbesitzer und ein Filmregisseur. Heute ist es stilvolle Gruppenunterkunft und beherbergt die Sprachschule Créa-Langues.

Durch die hohen Fenster fällt die Mittagssonne in die kleine Klosterkirche von Ségriès. Der Holzboden glänzt frisch geölt. Alles ist vorbereitet für den Tangokurs, der in der kommenden Woche hier stattfinden wird. Hausherrin Annemarie ist allerdings mit der Raumakustik noch nicht ganz zufrieden. Mit voller Stimme trägt sie ein paar Takte aus einem lateinischen Choral vor. Die einzelnen Töne vibrieren lange im Raum nach. Zu viel Echo, findet Annemarie. Sie zeigt auf die eingezogene Holzdecke. „Wir möchten sie gerne entfernen, um die Kapelle in ihrer ursprünglichen Form wiederherzustellen“, erklärt sie. „Aber das ist ein Projekt für die nächsten Jahre.“

Annemarie und ihr Mann Dhruv haben das Kloster Monastère de Ségriès nahe Moustier in der Haute-Provence vor vielen Jahren als Ruine erworben. Für ihre Sprachschule Créa-Langues suchten sie eine Bleibe in schöner Lage – groß genug, um die Schüler zu beherbergen, und mit Raum für andere Aktivitäten.

Zwischen der Kaufentscheidung und dem heutigen Zustand des Klosters lagen viele Jahre harter Arbeit. Gemeinsam mit Freunden hat das Paar jeden Unterrichtsraum, jedes Gästezimmer, die große Terrasse, den Garten, den Pool und den Kreuzgang restauriert und mit viel Geschmack gestaltet. Eine Bibliothek mit einer großen Auswahl an zeitgenössischer Literatur, Filmen und Arbeitsmaterialien steht Hausgästen und Sprachschülern zur Verfügung. Besonders auffällig: Kein Raum wird abgeschlossen. Besucher gehören zur Familie.

Das Monastère de Ségriès verwandelt sich seit über fünfzehn Jahren im Sommer in eine Sprachschule. Dann steht im Kreuzgang ein Flipchart, durch die offenen Fenster der Unterrichtsräume dringen Stimmen und Gelächter ins Freie, im Garten sitzen Studentinnen und Studenten und machen Hausaufgaben. „Etwa die Hälfte unserer Studenten kommt aus beruflichen Gründen“, sagt Annemarie. Die andere Hälfte sind meist Frankreich-Fans, die häufig in der Provence Urlaub machen.

Sprache lernen, Region erleben

Ob beruflich oder privat motiviert: Den Lehrkräften von Créa-Langues ist das egal. Sie fordern von allen das gleiche Engagement und treiben mit viel Energie, individueller Fürsorge und persönlichem Einsatz den Fortschritt ihrer Schüler voran. Wem nach vier Stunden Unterricht der Kopf raucht, der treibt am Nachmittag Sport, erkundet die Umgebung zu Fuß oder mit dem Fahrrad oder entspannt sich am Pool. Es besteht auch die Möglichkeit, an Töpfer- oder Malkursen auf benachbarten Höfen und in Kunstwerkstätten teilzunehmen. Lernbegierige können nachmittags Extrakurse in Grammatik, Konversation oder Business-Französisch belegen.

Foto: Regine GwinnerWie Gott in Frankreich: Den schönen Pool gab es zu Zeiten der Mönche noch nicht. Er wurde gebaut, als das Kloster zur einer Fabrikantenvilla wurde.

„Eine Sprache zu lernen, das heißt auch, eine Kultur zu begreifen und mit allen Sinnen die Region zu erleben“, erklärt Annemarie das Konzept von Créa-Langues. Daher finden sich im Programm auch eine Wein- und eine Olivenölde­gustation – mit intensiver Vor- und Nachbereitung des Vokabulars.

Und natürlich gehört zum sinnlichen Erfahren der Provence auch die provenzalische Küche, mit der Küchenchef Christophe die Gäste rund um die Uhr verwöhnt: Tartes mit Gemüse aus der hauseigenen Gärtnerei, Schokotörtchen zum Dahinschmelzen, Zitronenkuchen, von dem man nachts träumt, und Crème brûlée, für die so mancher Gast seine Seele verkaufen würde.

Gut, dass Christophe diese Macht nicht ausnutzt, sondern seiner Fangemeinde zum Abschied ein kleines Heftchen mit den beliebtesten Rezepten überlässt – auf Französisch, versteht sich.

Regine Gwinner

Die Anreise ins Kloster führt per Thalys und TGV über Paris nach Aix-en-Provence. Von dort aus gibt es nach Voranmeldung einen Shuttle-Bus ­direkt zum Kloster. Alle Informationen zu Reisezeiten und Ticketpreisen: www.tgv-europe.de 

fairkehr 5/2023