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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Editorial 6/2011

Die vergessene Krise

Foto: Marcus Glogerfairkehr-Chefredakteur Michael Adler

Der Dieselpreis ist über 1,50 Euro geklettert. Droht deshalb der ­Untergang des Abendlandes? Stellt sich gar die „soziale Frage“ neu? Sehen Sie es mir nach, doch ich finde die Debatte lächerlich.

Der bekannte Stanford-Professor Paul R. Ehrlich bezifferte kürzlich die Wahrscheinlichkeit, dass die westliche Zivilisation das 21. Jahrhundert übersteht, mit zehn Prozent. Der Biologe sagte der Süddeutschen Zeitung: „Wir sind auf dem falschen Kurs, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass wir ihn ändern.“ Ehrlich erklärte, er sei durchaus Optimist, was das Können der Menschheit angehe, aber großer Pessimist, was das Tun, die Umsetzung des vorhandenen Wissens betreffe.

Der Pessimismus des Wissenschaftlers wird bestätigt durch die aktuellen Daten der Internationalen Energie-Agentur (IEA) in Paris. Um sechs Prozent stiegen die weltweiten Treibhausgasemissionen zwischen 2009 und 2010 an, ein Rekordanstieg auf ein Rekordhoch. Global gesehen hat das den erwartbaren Effekt. Der CO2-Gehalt der Atmosphäre steigt. 2010 ist das wärmste Jahr seit ­Beginn der Klimamessungen. Und das mitten in einer Weltwirtschafts- und ­Finanzkrise.

Und wie reagiert die Politik auf diese Alarmmeldung? Die Klimakrise wird ignoriert. Die Finanzkrise deckt alles zu. Sie stellt das Primat der Politik insgesamt in Frage. Bestimmt sie noch die Agenda oder tun das „die Märkte“?

Auch US-Präsident Obama gerät mächtig in Gefahr, weil die einstige wirtschaftliche und kulturelle Führungsmacht dauerhaft über ihre Verhältnisse lebt. Hoffnungslos verschuldet durch Bushs Kriege um Öl und durch einen verschwenderischen Lebens­stil. Doch was würde ein evangelikaler Klima­wandelleugner mit tumbem Tea-Party-Horizont im Weißen Haus anrichten? Eine Horrorvorstellung für Befürworter einer ­geordneten Strategie gegen den Klimawandel.

Die Wissenschaft ist sich einig: Die Uhr läuft ab. Es muss sehr bald sehr viel getan werden, um die Klimagasemissionen mit Macht zu verringern. Das Zwei-Grad-Ziel, das noch vor gerade mal zwei Jahren beim Klimagipfel in Kopenhagen das Maß aller Dinge war, gerät aus dem Blick. Jetzt also Durban in Südafrika. Das immerhin schafft der Kyoto-Prozess: In schöner Regelmäßigkeit finden Klimaverhandlungen statt, die das Thema wieder in die Medien befördern. Allein, es fehlt der Glaube, dass sich etwas zum Guten bewegt.

Was sich allerdings verändert hat seit 2009, ist der Aktivierungsgrad der Menschen. Über Katastrophen wie die Explosion der „Deepwater Horizon“, das atomar verseuchte Fukushima und die Schuldenkrise wird offensichtlich, dass „die da oben“ es eben nicht richten.

Dass einiges am Wachstums- und Glo­­balisierungsmodell zum Himmel stinkt und sich politischer Kontrolle entzieht. Wenn die globale Ebene versagt, besinnt man sich auf die Nähe.

Unsere Titelgeschichte zeigt, dass einzelne Menschen, von der Bürgerinitia­tive in Mexiko bis zum Verkehrsminister in Baden-Württemberg, viel bewegen wollen. Wir sind der Souverän. Verändern wir die Märkte und die Politik. Weiße Weihnacht wünscht Ihnen

Michael Adler

fairkehr 5/2023