fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 5/2011

Moderne Beweglichkeit 2050

Auch die Städte der Zukunft bleiben Orte der Beweglichkeit – Beweglichkeit in einer maximalen Form der Freiheit. Und auf Basis der Gesetze der Nachhaltigkeit und der sozialen Gerechtigkeit.

Foto: WZBProfessor Andreas Knie (50) ist Hochschullehrer an der TU Berlin, Geschäftsführer des Innovationszentrums für Mobi­­­lität und gesellschaftlichen Wandel und Mit-Autor des Buches „Einfach aufladen – Mit Elektromobilität in eine saubere Zukunft“, das dieses Jahr im oekom Verlag erschienen ist.

Im Jahr 2050 werden wir weiterhin mit altbekannten Verkehrsmitteln unterwegs sein: mit Fahrrädern, Autos, Straßenbahnen, Bussen, Regio- und Fernzügen. Alles fährt jedoch elektrisch und mit erneuerbaren Energien. Die Fahrzeuge speisen Strom zurück und dienen als Speichermedien für die schwankenden Energiezuflüsse. Auf diese Weise tragen die Verkehrsmittel zur Stabilisierung der Stromnetze bei. Und alles fährt leise, ohne künstliche Brummgeräusche oder hektisches Piepen.

Man geht einfach auf die Straße, nimmt sich das Verkehrsmittel, das ei­nem gerade passt, und stellt es dort wieder ab, wo man es loswerden möchte. Taxis sind im System voll integriert und werden ebenfalls in einem durchgängigen „Check-in-/Check-out“-Modus erfasst: Fahrgäste registrieren sich beim Einsteigen und Aussteigen, der Fahrpreis wird automatisch vom Konto abgebucht.

Parkende zahlen für Bus und Bahn

Smartphones sind Zugangs-, Info- und Abrechnungsmedium gleichermaßen. Sie erfassen Bewegungsdaten und rechnen sie in die entsprechenden Anteile der Verkehrsmittel (Modal Split) um. Diese dienen als Basis für die Abrechnung: je höher der Stromverbrauch und je schneller die Bewegung, desto teurer. „Großgefäße“ wie Bus und Bahn sind wesentlich günstiger, Autofahrten schlagen hoch zu Buche. Wenn ein Chauffeur wie im Taxi dazukommt, gibt’s nochmals einen Aufschlag.

Es herrscht eine hohe Wettbewerbsdynamik. Unterschiedliche Anbieter – Provider – konkurrieren im Service, im Angebot und im Preis um die Kunden. Es gibt günstige Angebote, wenn man beispielsweise nur zu bestimmten Zeiten fährt oder auf seinem Smartphone Werbung zulässt.

Die Provider produzieren ihre Angebote häufig nicht selbst, sondern kaufen die Leistungen bei Betriebsorganisationen – kommunalen oder privaten Unternehmen, die U- oder S-Bahnen betreiben oder Auto- und Fahrradverleihangebote für unterschiedliche Provider bereitstellen. Zentrale Voraussetzung ist die durchgängige Interoperabilität der Angebote: Alle Verkehrsmittel müssen gegenseitig buch- und abrechnungsfähig sein, sonst gibt’s keine Zulassung.

Neben den Zahlungen der Fahrgäste wird das System durch eine Nahverkehrsabgabe getragen. Die wiederum finanziert sich unter anderem aus den Einnahmen der Parkraumbewirtschaftung für private Fahrzeuge. Wer noch Eigentum besitzen möchte, kann dies gern tun, nur zahlt er für das Parken im öffentlichen Raum einen hohen Preis.

Autokonzerne werden Anbieter

Eine solches multimodales System bietet allen ein hohes Servicelevel. Natürlich kann man sich ein solches Angebot nicht mit einem aus den 1930er Jahren stammenden Personenbeförderungsgesetz denken. Natürlich kann man eine solche Perspektive nicht mit kommunalen Verkehrsunternehmen entwickeln, die ängs­tlich auf jede Veränderung reagieren und sich, einer Wagenburgmentalität folgend, mit dem Kampfruf der Kannibalisierung bewaffnen und auf den Status quo des ausgehenden 19. Jahrhunderts pochen.

Die Veränderungsdynamik kommt daher auch von den Automobilkonzernen. Sie wurden bereits frühzeitig mit den Problemen der Ballungszentren in Asien konfrontiert. Hier haben sie angefangen, ihr Leistungsspektrum Schritt für Schritt von einem Kaufauto über ein Leasingauto zu einem Teilauto herunterzufahren. Gleichzeitig bieten sie immer mehr Nutzungsoptionen für Bahnen, Busse und Zweiräder an. Alle deutschen Automobilunternehmen haben sich über ihre Provider-Unternehmen umfassende Kontingente und Zugang zum öffentlichen Nah- und Fernverkehr gesichert, dessen reiner Betrieb weiterhin in der Hand von Verkehrsunternehmen liegt. Fahrgäste können nun „Daimler-Züge“ nehmen oder in Busse einsteigen, für deren Angebotsqualität und Service BMW oder Volkswagen zuständig ist.

Andreas Knie

Mobilität Osnabrück 2030

Die Stadtwerke Osnabrück wollen ein konsequent umweltfreundlicher Mobilitätsdienstleister werden.

Foto: Marcus GlogerDr. Stephan Sommer, 47 Jahre, Mitarbeiter der Postbank: „Ich finde es sehr angenehm, mit der Bahn zur Arbeit zu fahren. Die Vorbehalte mancher Kollegen kann ich nicht verstehen. Ich habe ein Jobti-cket, die Straßenbahn hält fast vor unserem Haus und bringt mich direkt zu meiner Arbeitsstelle. Mit dem Auto wäre ich nicht schneller, und auf Parkplatzsuche habe ich auch keine Lust. Ich nehme mir morgens Zeit für das Frühstück mit den Kindern, und wenn ich dann losfahre, haben die Kollegen aus dem Umland die Firmenparkplätze sowieso schon alle besetzt. In der Bahn kann ich mich auf den Tag konzentrieren, kurz einen Blick in die Zeitung werfen und aus dem Fenster schauen, wenn ich über den Rhein fahre.“

Mit rund 37 Millionen Fahrgästen pro Jahr liegt die Zahl der Fahrgäste in der Stadt ­Osnabrück und dem Osnabrücker Umland weit über dem Durchschnitt vergleichbarer Städte. Dabei ist die Nutzungshäufigkeit, ausgedrückt in der Dimension Fahrten je Einwohner pro Jahr, sogar höher als die ­einiger deutscher Stadtbahnsysteme. Der ÖPNV hat am Modal Split in Osnabrück ei­nen Anteil von etwa 16 Prozent – deutschlandweit sind es durchschnittlich acht ­Prozent.

Stehenbleiben wollen die Stadtwerke Osnabrück, die mit den Partnern der Verkehrsgemeinschaft Osnabrück (VOS) für den Nahverkehr sorgen, bei diesem Erfolg allerdings nicht: Sie setzen auf innovative Mobilitätskonzepte. In ihrem Projekt „Mobilität 2030“ beschäftigen sie sich sowohl mit der Weiterentwicklung eines innovativen und hochwertigen Nahverkehrssystems als auch mit der Erweiterung des Angebotes um Carsharing oder Fahrradverleih. „Wir sind auf dem Weg vom reinen ÖPNV-Anbieter zu einem umfassenden Mobilitäts-Dienstleister“, sagt Harald Schulte, Leiter des Projektes bei den Stadtwerken. „Wir wollen unseren Kunden alle wesentlichen Verkehrsmittel zur freien Kombination intelligent verknüpft anbieten.“ Beim neu gegründeten Carsharing-Unternehmen StadtTeilAuto Osnabrück sind die Stadtwerke Miteigentümer geworden.

Osnabrück soll elektromobil werden

Auch bei der Elektromobilität wollen die Stadtwerke Osnabrück als regionale Energieversorger vorankommen. Erklärtes Ziel sei es, klima- und umweltschonende Technologien zu nutzen und Osnabrück elektromobil zu machen. „Wir haben uns vom bisherigen Strommix schon verabschiedet und entwickeln uns zum Anbieter von regenerativen Energien “, sagt Projektleiter Schulte. Im Wesentlichen setzen die Stadtwerke auf Windkraft: Erste eigene Anlagen sind in Betrieb, weitere in Planung.

Einen Teil ihrer Unternehmensflotte wollen die Stadtwerke auf Elektromobilität umstellen. Derzeit besteht die Elektroflotte aus acht Pkw, zwölf Rollern und vier Fahrrädern. Außerdem rollt der erste Elektrobus auf ­Osnabrücks Straßen. Damit sind die Stadtwerke Osnabrück das erste Verkehrsunternehmen in Deutschland mit einem im normalen Linienbetrieb fahrenden E-Bus.

Uta Linnert

fairkehr 5/2023