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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Reise 5/2011

Exotik vor der Haustür

19 Regionen, die für viele Urlauber unentdecktes Land sein dürften, gehören mittlerweile zu „Fahrtziel Natur“. Die Kooperation zwischen Deutscher Bahn, BUND, NABU und VCD wird 10.

Foto: iStockphoto.comDie von Buchenwäldern gekrönten, hoch aufragenden Kreidefelsen auf Rügen sind das Markenzeichen des kleinsten deutschen Nationalparks Jasmund, seit vielen Jahren „Fahrtziel Natur“-Gebiet.

Wenn Erwin Shorts trägt, wird das Wetter schön. Darauf kann man sich verlassen. Der Nationalparkranger steht in kurzem Beinkleid vor der Truppe, mit der er gleich zu einer E-Bike-Tour in den Hohen Tauern aufbrechen wird, und die Sonne scheint. Der Mitarbeiter der Verleihstation im Mallnitzer Dorfzentrum erklärt kurz Schaltung und Motorsteuerung der Pedelecs, alle schwingen sich auf den Sattel, treten in die Pedale und sausen, einige juchzend, hoch an den Stappitzersee im Seebachtal, einem der schönsten Hochgebirgstäler der Hohen Tauern.

Der Nationalpark Hohe Tauern in Kärnten ist seit April dieses Jahres „Fahrtziel Natur“-Gebiet und damit Nummer 19 in der Riege der Schutzgebiete, die der Kooperation von Deutscher Bahn, BUND, NABU und VCD beigetreten sind.

Im April 2001 taten sich vier Umweltverbände – bis 2007 war auch der WWF im Boot – mit der Deutschen Bahn zusammen, um zunächst sechs Schutzgebiete zu unterstützen. Denn: Die Heimat ist voll schöner Ecken, die vielen Deutschen noch gänzlich unbekannt sein dürften – Regionen mit beeindruckenden Landschaften, besonderen Traditionen und ursprünglichen Wirtschaftsweisen, mit Tier- und Pflanzenarten, die es vielerorts nicht mehr in freier Natur zu sehen gibt. Quasi Exotik vor der Haustür. Diese Ziele gilt es zu entdecken – aber bitte umweltschonend, um sie gleichzeitig zu erhalten.

Also bewirbt „Fahrtziel Natur“ die Anreise ohne Auto in Naturparke, Nationalparke und Biosphärenreservate in Deutschland, der Schweiz und seit neuestem in Österreich. Und auch vor Ort sollte garantiert sein, dass Einheimische und Gäste mit Bus, Bahn, Fahrrad oder zu Fuß bestens vorankommen. „Die Kooperationspartner wollen vor allem auch nachhaltige Verkehrssysteme in den Zielregionen selbst fördern, sodass auch die ökologische Mobilität vor Ort gesichert ist“, so Kathrin Bürglen von DB Vertrieb. Sie leitet das Arbeitsgebiet Marketingkooperationen im Tourismus, zu dem auch „Fahrtziel Natur“ gehört. „Das Engagement von Verkehrsunternehmen, Schutz­gebietsverwaltungen, Umweltverbänden und touristischen Leistungsträgern wird daher nach Kräften unterstützt, seit 2009 vor allem mit dem »Fahrtziel Natur«-Award.“

Der Preis geht an praxiserprobte Projekte, die Tourismus und umweltschonende Mobilität in Schutzgebieten kundenfreundlich miteinander verbinden. „DB und Umweltverbände kommunizieren deutschlandweit die Angebote der Siegerdestinationen und machen potenzielle Gäste darauf aufmerksam, dass hier Anreise und Mobilität vor Ort mit öffentlichen Verkehrsmitteln vorbildlich funktionieren“, erklärt Kathrin Bürglen.

Chance für die Regionen

Auch auf zwei Rädern kann es schnell aufwärts gehen in den Bergen: Erwins Nationalparktour-Truppe ist in Windeseile auf ihren E-Citybikes, E-Mountain-Bikes und E-Trekkingrädern die Passstraße hochgedüst und über einen breiten Sand- und Kiesweg zum Stappitzersee geflogen. Hinter dem Kuhgatter am See stellen die 14 Männer und Frauen ihre liebgewonnenen pfeilschnellen Gefährte ab. Erwin führt die deutschen Touristen über lange Holzstege durch ein Sumpfgebiet ins Seebachtal. Der Talboden ist nahezu eben, ringsherum tosen Wasserfälle, am Talschluss überragt die Hochalmspitze, die „Tauernkönigin“, mit 3360 Metern alle anderen Berge der Ankogelgruppe.

Foto: Robert MühlthalerWer sich in Mallnitz ein E-Bike mietet, ist in null Komma nichts am Stappitzersee.

Erwin pflückt eine Blüte aus dem Sumpf. „Gelb, glänzend – giftig“, warnt er seine Zuschauer vor allzu engem Kontakt mit dem Wasserhahnenfuß. Jeder Tag ist ein Schultag, erst recht in Begleitung eines Nationalparkrangers.

Naturtourismus vor allem im Sommer ist eine Karte, auf die immer mehr klassische Winterdestinationen setzen, stellt Thomas Sauter-Servaes fest, Tourismusreferent und „Fahrtziel Natur“-Projektleiter beim VCD. „Die Regionen erkennen, dass ihnen Gletscher und Schnee wegschmelzen“, sagt er.

Ohne den Nationalpark wäre die Gemeinde nicht da, wo sie heute ist, bestätigt Mallnitz’ Bürgermeister Günther Novak. „Sommertourismus ist hier vor allem Nationalparktourismus. Unsere Zukunft liegt deshalb im Naturschutz, diesen Weg müssen wir gehen.“ Dazu gehört für Novak vor allem auch die „sanfte Mobilität – Menschen mit der Bahn hierher bringen und vor Ort per Wanderbus oder E-Bike bewegen“.

Um Besucher in die Region zu locken, brauche es eine geeignete Infrastruktur, die ökologische Mobilität gerade in den Schutzgebieten garantiere, betont VCD-Tourismusexperte Sauter-Servaes. „Und dafür braucht es »Fahrtziel Natur«.“
Dem stimmt der Leiter der Urlaubsinformation Mallnitz, Andreas Kleinwächter, zu. Er sieht die Kooperation mit „Fahrt­­ziel Natur“ als Chance, mehr beziehungsweise neue Touristen in die Region zu bringen. „Das betrifft in erster Linie den Sommer, aber durchaus auch alternative Winterangebote im Nationalpark, wie Schneeschuhwandern oder Skitouren“, sagt Kleinwächter.

Kreide, Heide und Urwald

Die Alpen und viele Mittelgebirge sind mittlerweile „Fahrtziel Natur“-Region, doch auch ganz andere Landschaften sollen mit Bus, Bahn, Boot und Rad erfahren werden: ursprüngliche Flusslandschaften wie die Elbtalaue, seit Jahrhunderten gewachsene Kulturlandschaften wie die Lüneburger Heide, Waldnationalparks mit jahrhundertealten Laubwaldbeständen wie der Nationalpark Hainich oder Naturreservate wie die von Witterung und Klimawandel bedrohte Kreideküste von Rügen im Nationalpark Jasmund.

Jährlich bewirbt sich mindestens ein Schutzgebiet um den Status „Fahrtziel Natur“-Gebiet. „Das Interesse ist durchaus groß“, sagt Thomas Sauter-Servaes vom VCD. „Die Regionen sehen, welche Wirkung »Fahrtziel Natur« haben kann, allein pressemäßig.“

Auch touristisch werden die „Fahrtziel Natur“-Angebote zunehmend vermarktet. Anfangs kommunizierten Spezialveranstalter und Hotels einzelne buchbare Angebote vorwiegend im Internet. Mittlerweile können Pauschalreisen oder Aktionsangebote über den DB-Reiseveranstalter Ameropa im Reisebüro oder online gebucht werden.

Im Jubiläumsjahr hat das „Fahrtziel Natur“-Team Globetrotter als Unterstützer gewonnen. Das Ausrüstungsunternehmen bewirbt die „Fahrtziel Natur“-Regionen in Werbebeilagen, in seiner Zeitschrift und in seinem Online-TV. Es verloste unter anderem eine Expedition auf den Spuren des Schreiadlers mit dem Abenteurer und Tierfilmer Andreas Kieling im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin.

Mobilität vor Ort ist das A und O

Ende Juli würdigten die Vorsitzenden der Umweltverbände, darunter VCD-Bundesvorsitzender Michael Ziesak, so­wie Bahn-Chef Rüdiger Grube, der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Ernst Burgbacher und der Präsident des Deutschen Reiseverbands Jürgen Büchy „Fahrtziel Natur“ auf einer Podiumsdiskussion in Berlin. Rüdiger Grube bezeichnete die Kooperation als „eine tolle Erfolgsgeschichte“. Sie habe entscheidende Impulse für die Rolle der umweltschonenden Mobilität im Tourismus gesetzt. Der Wirtschaftsstaatssekretär wünschte sich, dass sich noch viele Regionen „Fahrtziel Natur“ anschließen, und der Präsident des Deutschen Reiseverbands erklärte: „Der Deutschland-Tourismus boomt nicht zuletzt aufgrund der vielen attraktiven Naturschönheiten und Schutzgebiete. Viele davon hat »Fahrtziel Natur« erst richtig bekannt gemacht.“

Für die Zukunft wünscht sich das Steuerungsteam von „Fahrtziel Natur“, sich vor Ort überflüssig zu machen. Ziel ist es, ökologische Mobilitätskonzepte anzustoßen. Anschließend sollten die Verantwortlichen in den Regionen – Verkehrsbetriebe, Tourismusorganisationen, Gemeindeverwaltungen –, die Arbeit selbständig übernehmen, so VCD-Tourismusexperte Sauter-Servaes. Auch die Beherbergungsbetriebe sieht er in in der Verantwortung. „Entscheidend ist, dass sie ihre Gäste vorab und während des Aufenthalts über die Möglichkeiten der umweltfreundlichen Fortbewegung informieren“, sagt er. „Die Mobilität vor Ort ist das A und O.“ 

Beispielsweise mit E-Bikes. Am späten Nachmittag stellt Erwins Truppe ihre Pedelecs wieder beim Verleiher in Mallnitz ab. „Schade, dass die Radtour so kurz war“, sagt eine Teilnehmerin. Für ihren nächsten Besuch plant sie einen längeren E-Bike-Ausflug im „Fahrtziel Natur“.

Kirsten Lange

„Fahrtziel Natur“-Award: Bewerben!

Foto: Deutsche Zentrale für TourismusDer Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer hat 2010 im Rahmen der „Fahrtziel Natur“-Award-Verleihung eine Auszeichnung für seinen „Urlauberbus“ bekommen. Für einen Euro bringt der „Urlauberbus“ Reisende in Ostfriesland so weit, wie sie wollen – und auch fast direkt bis ans Wattenmeer.

Mit gutem Beispiel voran gehen und ein Kommunikationspaket im Wert von 25.000 Euro gewinnen: 2012 schreibt das „Fahrtziel Natur“-Team zum dritten Mal den „Fahrtziel Natur“-Award aus. Belohnt werden praxiserprobte Projekte, die umweltfreundliche Mobilität und nachhaltigen Tourismus in Nationalparken, Naturparken und Biosphärenreservaten gut vernetzen. Bewerben können sich alle "Fahrtziel Natur"-Schutzgebiete.

Den Award 2009 gewann die Nationalpark- und Naturparkregion Bayerischer Wald mit dem Bayernwald-Ticket, mit dem sich der gesamte ÖPNV nutzen lässt, und den erdgasbetriebenen Igelbussen, die Ausgangs- und Endpunkte des Wanderwegenetzes verbinden. Im vergangenen Jahr erhielt die Region Allgäuer Hochalpen mit dem Kombi-Ticket Bad Hindelang PLUS den „Fahrtziel Natur“-Award.

fairkehr 5/2023