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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 3/2011

Aus acht wird eins

Carsharing-Anbieter sorgen für weniger Autos auf deutschen Straßen. Ihr Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft.

Foto: Marcus Gloger"Mein nächstes Auto gehört ganz vielen."

Vieles fängt ganz klein an. Das gilt auch für den Verein Carsharing Erlangen, der Ende vergangenen Jahres gegründet wurde. Den derzeit etwa 30 Nutzern steht ein Fahrzeug zur Verfügung: ein gebrauchter Opel Agila.

Die Motive der Mitglieder sind sehr unterschiedlich. Einige verzichten bewusst auf ihr eigenes Auto, andere haben sich für Carsharing statt für ein Zweitauto entschieden, wieder andere unterstützen den Verein aus ideellen Gründen. Die Stadtverwaltung Erlangen nutzt das Auto als Dienstwagen, und ein Hotelier vor Ort, der seinen Gästen einen besonderen Service bieten möchte, stellt den Parkplatz kostenlos zur Verfügung.

Aber nicht nur pragmatische Gründe spielen eine Rolle, betont der Vereinsvorsitzende Manfred Reinhart, der auch VCD-Mitglied ist: „Wir haben auch umweltpolitische Ziele in der Satzung festgeschrieben.“

Der Erlanger Verein ist eines der neueren Mitglieder im Bundesverband Carsharing e.V. (bcs). In dem Dachverband sind mittlerweile knapp 100 Anbieter organisiert – von der lokalen Initiative mit wenigen Fahrzeugen bis zum bundesweit tätigen Unternehmen mit einer großen Flotte. Nur etwa 20 Carsharing-Anbieter in Deutschland haben sich nach Angaben des bcs dem Bundesverband nicht angeschlossen. Der bcs vertritt somit einen Großteil der insgesamt mehr als 190.000 Fahrberechtigten in rund 300 Orten, denen insgesamt etwa 5000 Carsharing-Fahrzeuge zur Verfügung stehen. Der Anteil der gewerblichen Kunden, mehrheitlich kleine Betriebe, beläuft sich dabei auf etwa 25 Prozent.

Der Effekt, den Carsharing erzielt, ist mittlerweile erheblich: Der bcs geht davon aus, dass ein Carsharing-Fahrzeug durchschnittlich von über 30 Kunden genutzt wird und mindestens vier Privatfahrzeuge ersetzt. In Bremen seien es sogar im Schnitt 8,2 Pkw, sagt Michael Frömming, Landesvorsitzender des VCD Niedersachsen. Frömming ist Mitarbeiter beim Senat für Umwelt, Bau, Verkehr und Europa in der Hansestadt und hat an der Entwicklung und Umsetzung einiger Vorzeigeprojekte nachhaltiger Mobilität, für die Bremen europäisches Vorbild und Referenzstadt ist, mitgewirkt.

Transparente Kosten

Der Einspareffekt bei Privatfahrzeugen wirkt sich vor allem in größeren Städten aus, in denen sich die allermeisten Car-sharing-Anbieter befinden. Allein in Berlin hat der bcs auf seiner Website vier große Unternehmen gelistet. Für die Kunden sei es von Vorteil, wenn sie zwischen verschiedenen Anbietern wählen können, meint Willi Loose, Geschäftsführer des bcs.

Dass Carsharing in Städten besonders attraktiv ist, ist leicht zu erklären: Zum einen ist dort der Parkraum häufig sehr knapp. Zum anderen können die Anbieter für viele Kunden einen großen Fuhrpark bereitstellen, so dass sich oft ein Fahrzeug in Wohnortnähe befindet.

Außerdem kann das Autofahren in Städten leichter mit dem öffentlichen Verkehr kombiniert werden. Und nicht zuletzt lebt in den Ballungszentren eher ein Klientel, das ohne eigenes Fahrzeug auskommen möchte – oder muss.

Klimaschutz durch Autoteilen

Carsharing entlastet den Verkehr, weil weniger Parkraum benötigt wird und mehr Platz für Grünflächen und Radfahrwege entstehen kann. Auch das Klima profitiert, denn die meisten Fahrzeugmodelle der Anbieter sind vergleichsweise neu und spritsparend. Die Nutzer beschränken sich häufig auf wenige, zumeist notwendige Autofahrten und nehmen ansonsten Bus und Bahn, fahren Rad oder gehen zu Fuß.

Laut einer Schweizer Studie belasten Carsharing-Kunden die Umwelt daher deutlich weniger mit CO2 als Besitzer von eigenen Fahrzeugen. Angesichts dieser Daten sagt der Geschäftsführer des bcs, Willi Loose: „Carsharing ist für all diejenigen als verkehrsentlastende und klimaschützende Mobilitätsalternative geeignet, die nicht täglich auf ein Auto angewiesen sind und trotzdem manchmal ein Auto für ihre Zwecke benötigen.“

Was der Allgemeinheit dient, hat auch für den Einzelnen große Vorteile: Carsharing-Kunden können zumeist unter verschiedenen Fahrzeugtypen, vom Kleinwagen bis zum Transporter, wählen. Mit TÜV-Abnahmen, Reparaturen, Fahrzeugpflege oder dem Abschluss von Versicherungen haben sie nichts zu tun. Die tatsächlichen Kosten für jede Fahrt sind sehr transparent, unterschiedliche Tarifstrukturen kommen sowohl Viel- als auch Gelegenheitsnutzern entgegen. Die Kunden können im Vergleich zu den Gesamtkosten, die ein eigenes Auto allein schon durch die vielen Fixkosten und den Wertverlust verursacht, Geld sparen. Dieser Effekt kehre sich erst um, wenn jährlich mehr als 10.000 bis 12.000 Kilometern mit dem Auto zurückgelegt werden, erläutert Loose.

Foto: Marcus Gloger"Mein nächstes Auto ist gar nicht meins."

Die meisten Anbieter arbeiten mittlerweile sehr professionell, die Buchungssysteme sind einfach anzuwenden, die Fahrzeuge befinden sich in einem guten Zustand, nur in Ausnahmefällen steht zur gewünschten Zeit kein Auto zur Verfügung. Längst hat Carsharing die Nische für vorwiegend umweltbewusste und idealistische Kunden verlassen, in der es sich noch Anfang der 90er Jahre befand.

Bei der Frage, ob man sich ein eigenes Auto anschafft oder nicht, werde die ökonomische Betrachtungsweise immer wichtiger, sagt Michael Frömming vom VCD Niedersachsen. Wer seine Mobilitätskosten durchkalkuliere, lande daher häufig beim Carsharing, das ein sinnvoller Baustein in einem „Mobilitätsmix“, in einer „modernen Mobilitätskultur“ sei.

Neue Gesetze braucht das Land

In Erlangen mit seinen rund 100.000 Einwohnern halte sich das Interesse an dem neuen Carsharing-Verein noch in Grenzen, obwohl das Potenzial groß sei, erzählt Vereinsvorsitzender Manfred Reinhart. Das VCD-Mitglied sieht es daher als Aufgabe des Vereins an, das Angebot „verkehrspolitisch in die Köpfe der Leute zu bringen“.

Zunächst ist er allerdings froh, das Projekt trotz aller bürokratischen und finanziellen Hürden realisiert zu haben: Zuvor musste eine ­juristisch wasserdichte Satzung be­schlossen, eine spezielle Versicherung gefunden und Geld über die Einlagen der Mitglieder beschafft werden.

Fehlendes Kapital sei häufig das größte Problem für Carsharing-Anbieter, sagt Michael Frömming. Hinzu kommt, dass Vereine oft nicht als gemeinnützig anerkannt, sondern mit professionellen Autovermietern gleichgestellt werden.

Auch die Suche nach attraktiven, festen Stellplätzen gestaltet sich oft schwierig. „Die Bundesregierung hat es leider immer noch nicht geschafft, eine Gesetzesänderung durchzuführen, die die Genehmigung von Carsharing-Stationen im öffentlichen Straßenraum ermöglicht“, kritisiert Willi Loose vom bcs.

Die Probleme, mit denen sich neue wie etablierte Anbieter und ihre Kunden auseinandersetzen müssen, wiegen aber längst nicht so schwer wie die Argumente fürs Carsharing, zumal die Kosten fürs Autofahren stetig steigen. Frömming sieht Carsharing deshalb ganz klar auf Wachstumskurs: „In den kommenden zehn Jahren rechne ich mit einer Verzehnfachung des Kundenkreises.“

Sebastian Hoff

fairkehr 5/2023