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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 2/2011

Lauter, bitte?

Eigentlich sind E-Fahrzeuge eine Chance für weniger Verkehrslärm in Städten. Doch Sehbehindertenverbände sehen in der stillen Fortbewegung eine Gefahr.

"Stumme Fahrzeuge“, so nennt ein Sprecher des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands DBSV Elektroautos, Hybrid-Pkw und auch Elektrofahrräder. Stumm deshalb, weil ein E-Fahrzeug bis zu einer Geschwindigkeit von 20 km/h fast geräuschlos unterwegs ist – bei mehr als 20 kommen Fahrtwind und Reifengeräusche hinzu. Eine Gefahr für Menschen, die nicht sehen können, sagt der Blindenverband – und auch für alle anderen Fußgänger und Radfahrer, vor allem Kinder und Senioren.

Keine Tierstimmen erlaubt

„Wir wollen leise, aber auch sichere Elektrofahrzeuge“, sagt deshalb Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer – und von denen sollen nach Vorstellung der Bundesregierung bis zum Jahr 2020 immerhin eine Million auf deutschen Straßen unterwegs sein.

Das Verkehrsministerium schickte einen Experten als Leiter einer UN-Arbeitsgruppe „Geräusche“ nach Genf. Ende Februar sprach die Arbeitsgruppe unverbindliche Empfehlungen aus, die die Autohersteller nach Angaben des Verkehrsministeriums schon ab Sommer anwenden können.

Demnach sollten die Unternehmen für ihre E-Modelle eine Technik entwickeln, die dem Auto ein Geräusch bescheren, wenn es langsamer als 20 fährt. Das Geräusch „muss an ein Fahrzeug erinnern“, darf also nicht mit Hupen, Klingeln oder Handytönen verwechselt werden können. „Zu vermeiden“ seien außerdem Melodien, Tierstimmen oder Insektensurren. Andere Verkehrsteilnehmer müssen erkennen können, ob das Auto beschleunigt, bremst oder konstant fährt – das Geräusch darf jedoch nicht lauter sein als ein Benziner oder Diesel, der mit 20 km/h unterwegs ist.

In die Entscheidungen der Arbeitsgruppe eingebunden waren unter anderem die Ministerien der großen Automobilnationen Frankreich, Italien oder Japan, die Automobilunternehmen, für Deutschland in Form des Verbands der Automobilindustrie VDA, Zulieferer, Blindenverbände und die EU-Kommission. Unternehmen forschen bereits länger an künstlichen Lärmquellen für leise Autos. Der britische Autohersteller Lotus beispielsweise entwickelte bereits 2008 eine Technologie, die Hybridfahrzeuge mit klassischen Motorengeräuschen ausstattet.

Kein künstlicher Klangteppich

VCD-Autoexperte Gerd Lottsiepen sieht die UN-Empfehlungen kritisch. „Seit vielen Jahren fahren Fahrräder auch über 30 km/h schnell – und weltweit sind Millionen Hybridfahrzeuge teilweise ohne Verbrennungsmotor unterwegs“, sagt er. „Bisher sind hier keine Unfallhäufungen festzustellen.“

Der VCD fordert, die UN-Empfehlungen dürften keinen permanenten künstlichen Klangteppich auf den Straßen auslösen, in dem andere Geräusche untergehen. Es dürfe nicht die Chance auf mehr Ruhe in den Städten vertan werden.

Dazu heißt es aus dem Verkehrsministerium, es werde sich während der laufenden Arbeiten dafür einsetzen, dass das Ziel „weniger Verkehrslärm“ nicht torpediert werde durch die Erzeugung künstlicher Geräusche bei leisen Fahrzeugen. 

Kirsten Lange

fairkehr 5/2023