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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 2/2011

Ein Auto ist ein Auto, ist ein Auto

Die Bundesregierung will bis 2020 eine Million Elektroautos auf die Straße schicken – und unterschätzt die Alternativen.

Alle Wordles: Ina EchternachWorauf es wirklich ankommt: Auf den Seiten des fairkehr-Titelthemas zur Elektromobilität zeigen sogenannte „Wordles“ die Schlagworte des folgenden Textes. Häufig vorkommende Wörter bilden den Inhalt plakativ ab und regen zu neuen Wortspielen an. Viel Spaß damit!

Wunderbar, da rollt die Zukunft. Ein Autozwerg. Lithium-Ionen-Batterie statt Tank. Länge: knapp 2,60 Meter, zehn Zentimeter kürzer als ein kleiner Smart Fortwo. Name: Rinspeed UC. UC wie Urban Commuter, der städtische Pendler. Der Clou: Die Rinspeed-Entwickler haben einen Bahnwaggon umgerüstet, der mehrere solcher Mini-Stromer bequem an Bord nehmen kann. Längere Strecken legen die Pendler also im Zug zurück. An der Bord-Tankstelle zapfen sie währenddessen Strom, eine Ladung reicht für 105 Kilometer.

„Öde und unproduktive Autobahnfahrten lassen sich mühelos vermeiden, ohne aufs eigene Auto zu verzichten“, sagt Frank. M. Rinderknecht. Ihm gehört die Schweizer Firma Rinspeed. Bislang war er vor allem für hochgetunte PS-Pakete berühmt. „Wir müssen umdenken“, meint er. Der Haken: Den Waggon gibt es nur virtuell, die neue Fortbewegung ist Vision.

Adieu, Klimasünde Benzin! Lebewohl, stinkender Auspuff! Tschüß, bleierner Gasfuß und satter Sound! Willkommen, neue Mobilität! Die Zeit ist reif. Da sind sich alle einig. Die Autogesellschaft kommt in Bewegung. Tatsächlich?

UC und E-Drive, i-Miev und Volt – nahezu jeder Autokonzern hat seine Ingenieure in die Werkstatt geschickt mit dem Auftrag, den Motor unter der Haube zu ändern. Benzin raus, Strom rein. Sie tüfteln an einer Art Rettungswagen. Schließlich geht den Autos mit konventionellem Verbrennungsmotor langsam, aber sicher der Sprit aus.

Die Branche bangt, tüftelt – und vernachlässigt Alternativen zum Auto

Spätestens seit den Umbrüchen in Arabien und Nordafrika ist die Sorge wegen der Abhängigkeit vom Öl groß: Die Preise für den knappen Stoff sind innerhalb kurzer Zeit enorm gestiegen. Und der Agrosprit erweist sich auch nicht als saubere Alternative zum herkömmlichen Benzin. Die Branche bangt, tüftelt – und vernachlässigt die Alternativen zum eigenen Pkw. „Wir müssen weg vom eigenen Auto“, sagt VCD-Autoexperte Gerd Lottsiepen.

An Ideen fehlt es nicht. Daimler mit Car2Go zum Beispiel: In Ulm und um Ulm herum stehen weiß-blaue Smarts, in die jeder einsteigen kann, wer sich einmal vorher angemeldet hat. Besonders bequem: Das Gefährt darf überall im Stadtgebiet wieder abgestellt werden, abgerechnet wird nach Minuten. 20.000 Kunden haben sich bereits registrieren lassen. Das smarte Mietauto hat Erfolg – und expandiert. Seit kurzem gibt es den Mix aus Autoverleih und Carsharing auch in Hamburg. Doch mit ein paar Städten ist es längst nicht getan – und Deutschland weit davon entfernt, umzusteigen.

Das E soll Wunder vollbringen

Die eigene Blechkarosse bewegt noch immer die Massen. Die schwarz-gelbe Koalition ändert daran wenig. Spritfresserverbot, Tempolimit, Verkehrsumbau? Diese Vorschläge sind derzeit geparkt.

Ihr ambitioniertestes Ziel gibt sich die Regierung im „Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität“: Bis 2020 will sie eine Million Elektroautos auf die Straße bringen. Zum Vergleich: In Deutschland fahren zurzeit 40 Millionen Pkw. Die E-Autos werden eine kleine Nummer bleiben. Die Truppe um CDU-Kanzlerin Angela Merkel ficht das nicht an. CSU-Verkehrsminister Peter Ram-sauer (Dienstwagen BMW 740d) erklärt die Stromer zu einem „der wichtigsten Projekte dieser Legislaturperiode“. FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (Dienstwagen Mercedes Benz E220 CDI) spricht von einer „Schlüsseltechnologie für den Standort Deutschland“. Und für Angela Merkel (aus Sicherheitsgründen gepanzerte, schwere Dienstlimousine) geht es um eine „nationale Aufgabe“.

Das E soll Wunder vollbringen: Mobilität sichern. Den Absatz von BMW, Mercedes und VW retten – die Automobilbranche gehört mit mehr als zwei Billionen Dollar Gesamtumsatz jährlich zu den größten weltweit. Und auch noch die Umwelt entlasten. Das ist viel auf einmal.

Zu viel, meint Gerd Lottsiepen. Er wolle das E-Mobil „nicht für immer und ewig verdammen“, sagt der VCD-Autoexperte. „Aber keiner weiß, ob das je funktioniert.“ Denn noch läuft es alles andere als rund. E-Mobile sind allenfalls eingeschränkt fahrtüchtig.

Speicher für Ökoenergie

Die ideale E-Welt sieht in den Köpfen der Befürworter so aus: Auf der Straße fahren nur E-Mobile, die ganz nebenbei Speicher sind für Ökoenergien. Bläst nachts zum Beispiel der Wind so stark, dass die Windräder mehr Strom produzieren, als gebraucht wird, werden die Autos geladen. Die Autobesitzer verkaufen ihn wieder, wenn der Strombedarf steigt, sie selbst aber parken. Das würde jedoch eine enorme Logistik erfordern.

Marten Jensen versucht es. „Strom, Wärme, Mobilität, all das holen wir aus dem eigenen Garten“, sagt der Geschäftsführer der Easy Wind GmbH mit Sitz in Nordfriesland. Sein Konzept: Jeder hat ein eigenes Windrad und kann sein Elektroauto selbst betanken. Die Kleinwindanlage kostet 23.000 Euro. Die Stromtankstelle gibt es für 290 Euro dazu. Doch Planung und Genehmigung dauern. Das schreckt viele ab. Jensen hat bis jetzt zwei Kunden.

Statt Ökostrom pur tanken die meisten Elektromobile bis auf Weiteres den deutschen Normalstrom. Und das bedeutet, dass der Stromer nicht so grün und sauber ist wie die Werbeleute gerne vermitteln wollen. Er stößt zwar beim Fahren keine Abgase in die Luft. Sie entstehen jedoch, wenn der Strom erzeugt wird. So liegen ein Elektroauto und ein sparsamer Diesel beim Ausstoß von Treibhausgasen zurzeit fast gleich auf.

Derweil treibt die Autobauer eine ganz andere Sorge um: Die Akkus sind schwer, schwach und teuer. Deshalb feierte Wirtschaftsminister Brüderle im vergangenen Oktober die mehr als 600 Kilometer lange Fahrt eines E-Mobils von München nach Berlin als „Durchbruch“. Das Gefährt hatte schließlich angeblich dreimal länger durchgehalten, als es für Stromer bisher üblich ist – das bestätigte auch die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in einem umfangreichen Test. Die Bundesanstalt prüfte dabei allerdings den Angaben zufolge nur einzelne Zellen in der Größe einer Tafel Schokolade, nicht den gesamten Akku. Die Alltagstauglichkeit soll ab Juni weiter erprobt werden. Das angebliche Rekordauto war zudem Mitte Januar in einer Berliner Lagerhalle in Flammen aufgegangen, nach Angaben der Macher handelte es sich um Brandstiftung.

Eine andere Kultur ist nötig

Fest steht: Das Elektromobil mag sich als Stadtauto mit geringer Reichweite eignen, mehr nicht. Hinzu kommt, dass die Batterie derzeit rund 15000 Euro kostet. Ohne staatliche Zuschüsse sind E-Mobile kaum verkäuflich. Wer eine Million Elektroautos bewegen will, muss darüber hinaus Ladestationen aufbauen, damit die Fahrer auf Firmenparkplätzen, an Supermärkten oder Tankstellen die Batterie tauschen oder ihren Wagen an die Steckdose hängen können. Die Revolution auf vier Rädern kommt nur langsam voran.

Überhaupt gilt: Eine neue Mobilitätskultur ist nötig. Elektromobile passen in eine Welt, in der kurze Strecken gefahrlos zu Fuß und mit dem Rad zurückzulegen sind und in der Bus und Bahn – überwiegend mit regenerativ erzeugtem Strom angetrieben – den Großteil der Wege in und zwischen den Ballungsgebieten übernehmen. An Bahnhöfen und Busstationen finden Reisende Leihfahrräder und E-Mobile verschiedener Größe.

„Der Straßenraum in den Städten muss neu verteilt und darf nicht weiter von schweren, schnellen Autos dominiert werden“, sagt VCD-Mann Gerd Lottsiepen. „Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit, ein gutes Radverkehrsnetz, Fußwege mit Erlebnischarakter und ein guter ÖPNV werden die Menschen nach und nach von der Notwendigkeit wegbringen, ein eigenes Auto zu besitzen.“ Wenn sie eins brauchen, können sie sich je nach Bedarf einen Transporter, ein Cabrio oder einen kleinen, leichten Elektro-Einsitzer von der nächsten Carsharing-Station holen.

Die E-Zukunft hat Pedale

Oder sie steigen auf die E-Variante mit zwei Rädern. Eine interessante Alternative, sagt Lottsiepen, sei das Fahrrad mit Stromschub, das sogenannte Pedelec. Selbst wer nicht im Training ist, muss sich nicht überanstrengen: Er schaltet den Motor zu und lässt sich beim Tritt in die Pedale unterstützen. Die Batterien sind klein, ihr Effekt aber ist enorm. Berufspendler müssen nicht mit Schwitzflecken im Anzug im Büro ankommen, Eltern können Einkauf plus Kinderanhänger leichter nach Hause ziehen.

Das müsse man ausprobieren, sagt Thomas Kirpal. Der Mitarbeiter beim Senator für Umwelt, Bau, Verkehr und Europa koordiniert in Bremen das EU-Projekt „PRESTO – Radfahren im Alltag“. Die Stadt hat 20 E-Bikes angeschafft, die sie in den nächsten Monaten für jeweils zwei Wochen bei einem Unternehmen parkt. Die Mitarbeiter können kostenlos losradeln. In Rotterdam, so erzählt Kirpal, gab es schon ein ähnliches Projekt: 150 der 1500 Teilnehmer sagten nach der Testfahrt: „Ich steige um.“

Da rollt die Zukunft.

Hanna Gersmann

fairkehr 5/2023