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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 1/2011

Biosprit: Stroh zu Gold

Bis 2050 sollen nachhaltig produzierte Biokraftstoffe nach dem Willen der Bundesregierung den Hauptanteil der Kraftstoffversorgung ausmachen. Wie kann das Märchen wahr werden?

Foto: Fotolia

Der Kongress ist hochkarätig besetzt. Rund 250 internationale Fachleute aus Forschung und Entwicklung, aus Universitäten, Ministerien und Wirtschaft haben sich in Berlin versammelt, um zu diskutieren, wie es um die Zukunft von BtL, dem synthetischen Kraftstoff aus Biomasse, bestellt ist.

BtL steht für „Biomass-to-Liquid“ und bezeichnet eine Prozesskette, die Biomasse über einen thermochemischen Vorgang zuerst in Gas und dann in flüssige Kohlenwasserstoffe umwandelt. Diese können schließlich zu Kraftstoffen wie Diesel oder Benzin aufgearbeitet werden.

So weit die Theorie. Leider sind synthetische Kraftstoffe aus Biomasse eine immer noch nicht am Markt verfügbare Entdeckung. Dabei hatten Politik und Industrie große Erwartungen in sie gesetzt. Schätzungen gingen davon aus, dass sich auf einem Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche umgerechnet etwa 4000 Liter BtL-Kraftstoffe erzeugen ließen.

Die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe, Projektträger des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV), glaubt immer noch, dass BtL-Sprit in Zukunft etwa 20 bis 25 Prozent des gesamten Kraftstoffbedarfs in Deutschland ersetzen könnte. Weil für die Herstellung alle Arten von Biomasse, also Stroh, Schnittabfälle und Restholz, verwendet werden können, begrüßte auch die damalige grüne Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Kühnast BtL-Kraftstoffe als „eine interessante Option“. Sie verkündete 2004 auf dem ersten BtL-Kongress, aus deutschen Landwirten „Energiewirte“ machen zu wollen.

Technische Probleme bremsen

Die erste Euphorie, Stroh zu flüssigem Gold zu machen, ist verflogen. Bislang haben die großen Versuchsanlagen noch keinen Tropfen Sprit erzeugt. Die Firma Choren, die in einer Demonstrationsanlage im sächsischen Freiberg mit BtL laboriert, hofft im kommenden Sommer über das Versuchsstadium hinauszukommen.

2004 wähnte die Firma sich kurz vor dem Durchbruch. Mercedes und VW stiegen mit ein. Doch dann kam es zu unerwarteten Ausfällen der Technik. „Die meisten Probleme machen uns die mechanischen Systeme, die Messegeräte, die Ventile, die Filter“, sagt Matthias Rudloff von Choren Industries. Es könnten zwar theoretisch verschiedene biogene Rohstoffe verarbeitet werden, aber nicht in einer Anlage. Choren musste deswegen auf Holz als alleinigen Rohstoff für die BtL-Produktion umschwenken. Die schnellwachsenden Pappeln sollen vor Ort angebaut werden, denn ein weiter Transport des schweren und sperrigen Rohstoffs wäre nicht rentabel.

Das an die Universität Karlsruhe angeschlossene Karlsruher Institut für Technologie (KIT) setzt auf ein System aus dezentralen Standorten. Kleine Anlagen sollen die Biomasse – und zwar alles vom Weichholz bis zum Stroh – zerkleinern und in flüssiges, sogenanntes Biosyncrude, verarbeiten. Dieses verdichtete Vorprodukt könnte dann in einer zentralen Anlage zu BtL aufbereitet werden. „Wir sind mit unserem Konzept in der Lage, große Mengen Biomasse zu verwerten“, referiert Professor Eckard Dinjus den Entwicklungsstand der KIT-Idee. Unter Einberechnung des weltweiten Potenzials schätzt Dinjus, dass dieser synthetische Sprit einmal zehn Prozent des benötigten Kraftstoffes ersetzen könnte. Erste nennenswerte Mengen erwartet der Karlsruher Professor allerdings erst im Jahr 2012.

Traum vom Null-Emissions-Auto

Die Bundesregierung setzt hohe Erwartungen in die KIT-Methode und fördert das Karlsruher Institut mit 24 Millionen Euro. Die Parlamentarische Staatssekretärin im BMELV, Julia Klöckner, zeigt sich allerdings unzufrieden mit dem Vorankommen der Biokraftstoffproduktion. „Die Forschungen sind so gut wie abgeschlossen, aber noch immer ist nichts auf dem Markt“, bedauert Klöckner. „Warum engagiert sich die deutsche Wirtschaft nicht stärker, warum beteiligt sie sich nicht an diesem Prozess?“, ruft sie den Teilnehmern auf dem BtL-Kongress zu. Die Reduktion von Emissionen sei notwendig, darauf sei das Energiekonzept der Bundesregierung ausgelegt. Deren Szenarien gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2050 sechsmal so viel Biokraftstoff zum Einsatz kommt als heute. Besonders die Luftfahrt sei auf die Entwicklung biogener Kraftstoffe angewiesen, sagt die Staatssekretärin.

Die Industrievertreter halten sich bedeckt. Zwar treten Mercedes und VW noch als Sponsoren des Kongresses auf, in ihrer „Roadmap zu nachhaltiger Mobilität“ kommt BtL aber so gut wie nicht mehr vor. Joachim Schommers, der Vertreter der Daimler AG, sagt, dass kurzfristig die größten Erfolge mit einer Effizienzsteigerung konventioneller Motoren zu erzielen seien. Diese Erkenntnis war vor einigen Jahren bei den deutschen Autobauern noch tabu. 2004 ging man davon aus, mit den neuen Kraftstoffen am eingeschlagenen Weg mit immer größeren und schnelleren Autos festhalten zu können. Doch vom BtL-Hype ist die deutsche Automobilindustrie abgerückt. Für die Zukunft setzt sie auf Elektromobilität und träumt von Wasserstofftechnik und Null-Emissions-Autos.

Einen Plan haben die Wolfsburger noch nicht

Laut Schommers steckt die E-Technologie allerdings noch in den Kinderschuhen. Zwar möchte die vorgestellte Roadmap glauben machen, der Konzern hätte die Zukunft im Griff, wo aber die leistungsfähigen Batterien und die Energie für die großen Limousinen herkommen sollen, bleibt schleierhaft. VW setzt auf den E-Golf und testet zurzeit eine Handvoll Prototypen. Einen Plan, wie es mit einer großen Stückzahl gehen soll, haben die Wolfsburger noch nicht. Hans-Jürgen Schäfer trägt für Volkswagen die E-Idee vor: Der Golf soll in Zukunft weitgehend baugleich, aber elektrisch und damit irgendwie umweltfreundlich fahren.

Auch die Bundesregierung möchte, dass bis 2020 eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen unterwegs sind. Den Weg zur erneuerbaren Energie haben die Atomkraftverlängerer allerdings nicht eingeschlagen. Klimafreundlich wären Elektroautos nur, wenn der Strom regenerativ erzeugt würde. Sonst entsteht das Kohlendioxid in den Kraftwerken statt im Fahrzeug. Die CO2-Bilanz sähe am Ende womöglich schlechter aus als bei Pkw mit Verbrennungsmotoren.

Der Effizienz gehört die Zukunft

Bei der Betrachtung aller Alternativen stellt sich die Frage, wie überhaupt der Plan der Bundesregierung von einer Dekarbonisierung in Erfüllung gehen soll. Ist es möglich, wirklich umweltfreundlichen Treibstoff aus Pflanzen herzustellen?

Ab dem 1. Januar 2011 sollte es an allen deutschen Zapfsäulen den sogenannten E-10-Sprit geben. Noch haben die Konzerne ihr Planziel allerdings nicht erreicht und vertrösten die Verbraucher auf März. Nach EU-Vorgaben sollen dem Benzin aus Klimaschutzgründen zehn Prozent Bioethanol aus Mais, Getreide, Zuckerrohr oder Rüben beigemischt sein. Beim Diesel liegt die Beimischquote für Rapsmethylester, kurz RME-Biodiesel, bei etwa sechs Prozent. Ein Gesetz schreibt vor, dass ab diesem Jahr nur noch Pflanzenkraftstoffe zum Einsatz kommen dürfen, die nachhaltig erzeugt wurden. Sie müssen gegenüber dem Erd­ölsprit 35 Prozent weniger Treibhausgase verursachen, und für den Anbau der Energiepflanzen dürfen keine Regenwälder und Moore vernichtet werden.

Biosprit schlechter fürs Klima als fossile Treibstoffe

Da in Europa die Flächen für Agrotreibstoffe niemals reichen, werden die Rohstoffe zum größten Teil aus Brasilien, Malaysia oder Indonesien importiert. Das Problem, das die europäischen Umweltorganisationen in einer Studie aufgedeckt haben, ist die indirekte Landnutzungsänderung in den Herkunftsländern: Biomasse für die Kraftstoffe wird auf bestehenden Plantagen angebaut. Doch Großgrundbesitzer und Agrarkonzerne roden nebendran den Urwald oder brechen die Savanne um. Land für Futtermittel oder Lebensmittelanbau brauchen schließlich auch sie. Indirekt vernichtet also der zunehmende Einsatz von Biokraftstoffen unersetzbare Natur.

"Die Studie belegt ganz klar, dass die meisten Biokraftstoffe unter Einbeziehung dieser indirekten Landnutzungsänderung eine deutlich schlechtere Klimabilanz haben als fossiler Sprit, den sie ersetzen sollen“, sagt Monika Ganseforth, VCD-Vorstandsmitglied. Der Name „Biosprit“ sei angesichts der riesigen industriellen Monokulturen und der eingesetzten gewal­tigen Mengen an Düngemitteln und Pes­tiziden ohnehin nicht gerechtfertigt. Der VCD fordert ein grundsätzliches Umdenken beim Einsatz von Kraftstoffen vom Acker. Auch bei der EU ist das Problem inzwischen angekommen. Sie hat eine Entscheidung darüber allerdings vertagt.

Nach wie vor liegt das größte Potenzial in der Einsparung. Selbst wenn die BtL-Anlagen irgendwann Sprit aus einheimischem Stroh machen können, ausreichen für ein „Weiter-wie-bisher“ wird es nicht. „Bundesregierung und Industrie verkaufen immer neue Wundertüten. Erst war es Wasserstoff für die Brennstoffzelle, dann Biodiesel, Alkohol und BtL, jetzt wieder einmal das batterieelektrische Auto. Sie gehen aber nicht die wichtigste Aufgabe an: die Energieeffizienz nachhaltig zu steigern“, sagt VCD-Autoexperte Gerd Lottsiepen.

Denn eins haben Erdöl, Biosprit und Solarstrom gemeinsam: Sie sind zu kostbar, um in ineffizienten Maschinen verbrannt zu werden. Der BtL- und solarstrombefeuerte Hybridantrieb in Rennreiselimousinen erfüllt zwar die Träume vieler technikbegeisteter Männer, trägt aber nicht zum Klimaschutz bei.

Uta Linnert

fairkehr 5/2023