fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

Obere Wilhelmstraße 32 | 53225 Bonn | Telefon (0228) 9 85 85-85 | www.fairkehr-magazin.de

Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 6/2010

Den Umstieg schmackhaft ­machen

Foto: infasRobert Follmer, 47, ist ­Soziologe und ­Bereichsleiter für ­Verkehrs- und ­Regionalforschung beim Bonner Markt- und Sozialforschungsinstitut infas. Als Projektleiter verantwor­-tete er 2002 und 2008 die bundesweite ­Studie „Mobilität in Deutschland“.

Herr Follmer, ist die Autofahrer-Generation ab 60 schuld, dass sich die ­Situation auf Deutschlands Straßen nicht ändert?
Zugespitzt kann man das so sagen – was die Gewohnheiten angeht. Die Menschen nehmen ihre Mobilitätsroutine mit ins Alter, bei der jetzigen älteren Generation ist das in erster Linie die Autonutzung. Viele sind nicht bereit, diese zu hinterfragen, jedenfalls nicht ohne Anregungen von außen. Außerdem müs­sen die Bedingungen stimmen: Man darf mit dem Bus nicht zwei Stunden an ein Ziel brauchen, das mit dem Auto in einer halben Stunde erreichbar wäre. Dennoch: Es gibt keinen Grund, schwarzzuse­hen, was die Mobilität in Deutschland betrifft. In der Gruppe der jungen Erwachsenen ist die Autonutzung – zumindest in den großen Städten – zurückgegangen.

Warum diese Autoverbundenheit bei den Älteren?
Mobilitätsgewohnheiten entstehen im jungen Erwachsenenalter. Die­-jenigen, die jetzt um die 60 sind, haben das Auto als Symbol für Freiheit kennen und schätzen gelernt, als ein Verkehrsmittel, mit dem sie jederzeit überall hinkommen. Und es gibt zu wenige Dissonanzen, die sie dazu anregen würden, umzusteigen. Vielmehr tragen Entwicklungen wie immer mehr Einkaufszentren auf der grünen Wiese dazu bei, die Autonutzung zu rechtfertigen. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Routine zu ändern, ­erfordert viel individuelle Verantwortung und Disziplin.

Sozialforscher sagen, in Umbruchsphasen seien Menschen eher ­bereit, ihr Verhalten zu ändern. Der Wechsel vom Berufsleben ins Rentnerdasein ist solch ein Bruch. Könnte man dort ansetzen?
Oft fehlt die Institution, die diesen Wechsel vermittelt. Die Verkehrsverbünde und -unternehmen setzen in erster Linie auf ­Vergünstigungen, Senioren bekommen oftmals billigere Tickets. Doch das allein bewegt Gewohnheitsautofahrer nicht zum Umsteigen. Vielmehr müssen das Angebot im ÖPNV und die Infrastruktur für Radfahrer und Fußgänger stimmen. Und die Menschen dürfen nicht mit erhobenem Zeigefinger adressiert werden, sondern ihnen müssen die positiven Möglichkeiten der Nicht-Autonutzung schmackhaft gemacht werden.

Wie wird die heutige junge Generation, die sich mehr für MP3-Player, Smartphones und soziale Netzwerke als für ein eigenes Auto ­interessiert, im Rentenalter mobil sein?
Die Autoindustrie reagiert auf das schwindende Interesse der Jüngeren, indem sie beispielsweise neue, flexible Car-Sharing-Modelle anbietet. Außerdem entwickelt sie inzwischen – sicher später als wünschenswert – umweltfreundlichere Antriebe und gestaltet die Modelle immer individueller. Das könnte auch die jungen Erwachsenen zurück zum Auto bringen. Doch vermutlich wird für sie der Pkw, anders als in früheren Generationen, weiterhin stets nur eine Mobilitätsoption von vielen sein.

Interview: Kirsten Lange

fairkehr 5/2023