fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 6/2010

Immer in Bewegung bleiben

Auch ohne eigenes Auto können ältere Menschen sicher und mit Spaß mobil sein. Der Arbeitskreis Senioren des VCD hilft beim Umstieg auf Bus, Bahn, Fuß und Fahrrad.

Foto: Marcus Gloger

Die ältere Dame im Publikum redet freundlich, aber bestimmt: „Wie soll ich denn ohne Auto zu meiner ehrenamtlichen Tätigkeit kommen? Ich wohne in Schleswig-Holstein auf dem Land – ohne eigenes Auto könnte ich mein Ehrenamt aufgeben.“ Zustimmendes Murmeln und Applaus. Die Teilnehmerin der Fachtagung „Nach uns die Sintflut? Klimaschutz als Engagementfeld für Ältere“, organisiert von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen BAGSO Ende Oktober, spricht etlichen Altersgenossinnen und -genossen aus der Seele. Sie beschreibt, dass vor allem Senioren ehrenamtlich tätig seien. Und wer auf dem Land wohne, müsse sich entscheiden: Engagiere ich mich ehrenamtlich oder verzichte ich aufs Auto?

Die leicht defensive Rede der Mitte 60-Jährigen ist eine Reaktion auf die jüngsten Zahlen zum Verkehrsverhalten der Deutschen. Projektleiter Robert Follmer vom Bonner Marktforschungsinstitut infas hat kurz zuvor die Ergebnisse der 2008er-Studie „Mobilität in Deutschland“ präsentiert. Demnach sind Menschen ab 60 so viel unterwegs wie nie zuvor – und das immer mehr mit dem Auto. Im Vergleich zu 2002 legten die über 65-Jährigen ein Drittel mehr Wege zurück, davon 40 Prozent mehr mit dem Pkw. Ihr Anteil an der deutschen Bevölkerung stieg in der Zeit um 16 Prozent.

Ihre Mobilitätsgewohnheiten nimmt die Generation, die mit dem Auto als selbstverständlichem Fortbewegungsmittel aufgewachsen ist, mit ins Rentenalter. Und während die unter 25-Jährigen in Großstädten immer seltener einen Führerschein machen, wuchs der Anteil der über 65-jährigen Stadtbewohner mit Fahrerlaubnis zwischen 2002 und 2008 um fast zehn Prozent.

Alltagsroutine hinterfragen

Wer nicht mehr gut zu Fuß sei, könne nur mit einem eigenen Pkw mobil bleiben, hatte die BAGSO-Vorsitzende Ursula Lehr zum Auftakt der Fachtagung behauptet. Außerdem führen viele Senioren höchstens mal mit dem Auto zum Einkaufen, um nicht so schwer tragen zu müssen. Tatsächlich legen viele betagtere Autofahrer oftmals die gleichen, verhältnismäßig kurzen Wege zurück: zum Arzt, zu Freunden, zu den Enkeln. Doch irgendwann kommen auch die routiniertesten Autofahrer in ein Alter, in dem sie sich hinterm Lenkrad nicht mehr sicher fühlen. Allerspätestens dann sollten sie „die Gewohnheiten des automobilen Lebens hinterfragen“, wie infas-Projektleiter Follmer es formuliert, und auf Füße und Fahrrad oder Bus und Bahn umsteigen. Zumal Zeitdruck oft eine geringere Rolle spielt, sobald das Berufsleben hinter einem liegt.

Zu zeigen, dass ein Umstieg kein Verzicht ist, sondern Spaß machen, fit und gesund halten, Sicherheit und Selbstbewusstsein stärken kann, ist Ziel des Arbeitskreises Senioren beim VCD. „Unsere Botschaft ist unter anderem: Probiert’s doch einfach mal aus, nutzt die Zeit, die ihr jetzt habt, für Veränderungen!“, sagt Monika Ganseforth, Mitglied im AK Senioren und im VCD-Bundesvorstand. Die 70-Jährige und ehemals leidenschaftliche Autofahrerin lebt seit vielen Jahren ohne eigenen Pkw. Die Freiheit, ohne Auto leben zu können, sieht die Hannoveranerin als „hohes Gut“ an – und das werde mit zunehmendem Alter existenziell. Der Arbeitskreis Senioren setzt sich zum einen mit Lobbyarbeit dafür ein, dass die Bedingungen für ältere Fußgänger, Radfahrer, Bus- und Bahnnutzer und auch Autofahrer besser werden. „Zum anderen geben wir Tipps und beraten ältere Menschen, wie sie unter den aktuellen Bedingungen am sichersten und gesündesten mobil sein können“, sagt Monika Ganseforth.

Foto: DB AG/RennerMehr Spaß in der Bahn: Im Auto bekommen Ausflügler garantiert keinen Kaffee serviert.

Schwere Einkäufe ins Auto schleppen? Eine bessere Alternative ist es, im Supermarkt zu fragen, ob es einen Bringdienst gibt. Immer mehr Einzelhändler stellen sich auf die Bedürfnisse älterer Kunden ein. Außerdem etablieren sich Online-Supermärkte, die Käse, Konserven und Kaffee ebenfalls direkt ins Haus liefern. Wer lieber selbst zum Laden spaziert, und sei es, um einen Plausch mit der Bekannten zu halten, die auch immer um die Zeit einkauft, ist gut bedient mit einem schicken Shopper, einer rollenden Einkaufstasche, die sich komfortabel ziehen lässt.

Fahrrad nicht verstauben lassen

Wer in jüngeren Jahren höchstens sonntags mal aufs Fahrrad steigt, wird im Alter ängstlich – und das Rad verstaubt im Keller. Etwa zwei Drittel der über 65-Jährigen besitzen ein Fahrrad, bei den über 75-Jährigen sind es weniger als die Hälfte – gegenüber 80 Prozent in der Gesamtbevölkerung. „Möglichst täglich mit dem Rad zum Supermarkt, ins Dorf, zum Arzt oder zum Chor fahren“, rät Monika Ganseforth vom Arbeitskreis Senioren des VCD. „Immer in Übung und Bewegung bleiben!“ Wem die Routine und Sicherheit auf zwei Rädern fehlt, kann an einem Radfahrkurs teilnehmen. In ganz Deutschland bieten Vereine oder engagierte Einzeltrainer Übungsstunden an.

Auch Verkehrsverbünde und -unternehmen erkennen, dass ihre Kundschaft älter wird. Ermäßigte Tickets für Senioren sind mittlerweile Standard. Viele Verbünde bieten darüber hinaus spezielle Informationsabende für Ältere, Busfahr-trainings, Hilfe bei der Reiseplanung oder Reisebegleitung an. Es lohnt sich, beim Verkehrsunternehmen vor Ort nachzufragen. Deutschlands Quasi-Monopolistin für Fernreisen mit dem Zug, die Deutsche Bahn, bietet ebenfalls Service für ältere Kunden an. Unter der Rubrik „55 plus“ finden sie im Internet Informationen über Angebote, die ihnen das Reisen angenehmer machen sollen.

Vor Ort mitmischen

„Das ist ja alles schön und gut, was Sie uns hier raten“, sagt ein Herr um die 70 auf der BAGSO-Fachtagung nach einem Appell des Referenten vom Wuppertal Institut ans Publikum, sich im Alltag möglichst klimaschonend zu verhalten. „Allein: Die Verhältnisse sind nicht so!“ Dass die Verhältnisse sich ändern, die Fußwege schöner, die Radwege sicherer und Bus und Bahn bequemer werden, dafür setzt sich der VCD-Arbeitskreis Senioren ebenfalls ein. „Barrierefreiheit ist ein Grundprinzip“, erklärt Monika Ganseforth. „Sie kommt allen zugute, nicht nur Älteren, sondern auch Gehbehinderten, Blinden, Kindern und Menschen, die mit viel Gepäck oder Kinderwagen unterwegs sind.“ Gut lesbare Fahrpläne, verständliche Lautsprecherdurchsagen, persönliche Ansprechpartner in Bus und Bahn, Fahrstühle an Bahnstationen, abgesenkte Bordsteine, längere Grünphasen für Fußgänger an der Ampel sollten eine Selbstverständlichkeit und nicht die Ausnahme sein.

Wichtig ist gerade für Ältere, dass sie keine langen Wege zum Supermarkt, zur Apotheke oder zur Post zurücklegen müssen. „Der VCD setzt sich deshalb für lebendige öffentliche Räume und dezentrale Strukturen ein“, so Ganseforth.

Überhaupt sollten sich alle Senioren selbst engagieren, denen an mehr Leben vor der Haustür und klimafreundlicher, gesunder Mobilität mit Spaß gelegen ist. Viele Stadt- und Dorfverwaltungen wünschen sich mehr Bürgerbeteiligung. Beim Bürgeramt bekommen Interessierte Informationen über Möglichkeiten der Mitbestimmung. Die Kommunen ihrerseits sollten aktiv auf ältere Bürger zugehen und sie von vornherein einbeziehen, wenn neue Fußwege, Bushaltestellen oder Bahnunterführungen geplant werden. So veranstaltet das Netzwerk „Verkehrssichere Städte und Gemeinden im Rheinland“ mit Koordinierungsstelle beim Verkehrsverbund Rhein-Sieg „Seniorenbegehungen“. Ältere Menschen gehen ihre täglichen Wege ab und erstellen Mängellisten. Die Kommunen überprüfen die Gefahrenstellen und beseitigen sie gegebenenfalls.

Gewohnheiten ändern, sich einmischen – und positiv denken: Nicht zuletzt das hält fit und beweglich. So empfiehlt Monika Ganseforth vom VCD-Arbeitskreis Senioren: „Sie können am Fahrkartenautomaten verzweifeln – oder ihn einfach als Herausforderung für die eigene geistige Flexibilität ansehen.“ 

Kirsten Lange

Die Broschüre

Mit Unterstützung der fairkehr und des VCD hat die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen BAGSO den Ratgeber „Mobil bleiben – Klima schonen“ veröffentlicht. Er enthält viele nützliche Tipps für eine sichere, gesunde und umweltfreundliche Mobilität im Alter und nachahmenswerte Beispiele aus der Praxis. Er ist kostenlos erhältlich unter Fax: (0228) 24999320 oder per E-Mail an die BAGSO.

fairkehr 5/2023