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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Reise 6/2010

Skifahren auf dem Meeresgrund

Seit 2009 sind die Dolomiten UNESCO-Weltnaturerbe. Die besonders geschützten Berggruppen müssen sich mit touristisch intensiv genutzten Gebieten arrangieren.

Foto: Uta LinnertDer Sellastock in Südtirol ragt als übrig gebliebenes Riff eines tropischen Urmeeres tausend Meter steil aus der Landschaft.

Auch der Pater kommt auf Skiern, klickt sich aus der Bindung und stapft in klobigen Skischuhen ins abgesperrte Rund. An diesem sonnigen Januarmorgen soll Peter Isara von der Abtei in Pedraces im Südtiroler Gardertal den neuen, vom Zweier- zum Sechser-Sessel ausgebauten Ciampai-Lift am Piz Sorega segnen. Die Sessel drehen zwar schon seit ein paar Wochen ihre Runden, haben aber immer wieder gemuckt und stundenlang den Dienst verweigert. Jetzt, mit dem Segen von ganz oben, wollen auch die Techniker die Elektronik in den Griff bekommen.

Die bunt gemischte Gemeinde ist schon versammelt: Die örtlichen Ski- und Snowboardlehrer stehen laut quatschend in ihren azurblauen Skianzügen zusammen, die Ortsvorstände der umliegenden Dörfer sind gekommen, die Liftbetreiber, die Konstrukteure und Handwerker, lokale Prominenz und Geschäftsleute aus dem Tal lassen sich sehen, Tourismusvertreter und auch die Hüttenwirte sind dabei.

Umarmungen, Willkommensrufe und Gespräche auf Italienisch und Ladinisch, der Sprache des Gardertals, gehen fröhlich durcheinander. Auch das mit starkem Südtiroler Dialekt eingefärbte Deutsch ist zu hören. Unter strahlend blauem Himmel freuen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des bevorstehenden Festaktes über das schöne Wetter, den guten Schnee und natürlich über den neuen Lift.

Weltnaturerbe ist Flickenteppich

Sie alle profitieren davon, dass der Skibetrieb hier im großen Lift- und Pistenverbund der Dolomiten von Jahr zu Jahr reibungsloser und perfekter läuft. Auf der leuchtend roten Skijacke des Seilbahnendirektors von Alta Badia, Andy Varallo, prangt das Markenzeichen des Liftkonsortiums Dolomiti Superski, dessen Vizepräsident Varallo ebenfalls ist. Der 30-Jährige ergreift als Erster das Mikro und setzt zu einer Rede an, die die Gespräche im Schnee langsam verstummen lässt.

Im Juni 2009 hat die UNESCO die Dolomiten in die Liste des Welterbes aufgenommen. Die Dolomiten sind einzigartig in ihrem Aussehen und einmalig in ihrer Geologie. Für Südtirol und die anderen Regionen bedeutet die Ernennung weltweite Anerkennung. Gleichzeitig ist der Titel damit verbunden, die Natur und die Landschaft so gut wie möglich zu schützen, zu pflegen und für die Nachwelt zu erhalten. Das Problem dabei: Das Weltnaturerbe Dolomiten ist kein zusammenhängendes Gebiet, sondern ein Flickenteppich. Touristisch intensiv genutzte Gebiete mit Bergbahnen, Skipisten, stark befahrenen Passstraßen und Bergdörfern, in denen von Jahr zu Jahr mehr und immer größere Hotels die ehemaligen Bauernhöfe und Pensionen ersetzen, wechseln sich ab mit den unter UNESCO-Schutz stehenden Berggruppen, den ehemaligen Naturparken.

Die Lifte bringen Gäste

Die Entstehung der Dolomiten begann vor 270 Millionen Jahren mit dem Ur-Meer Tethys. Kalk- und Dolomitbänke lagerten sich ab, Riffe und Atolle bildeten sich und Vulkane spuckten Lava in dieses tropische Meer, viele Millionen Jahre lang. Als dann vor 20 Millionen Jahren titanische Kräfte diese Schichten falteten und als Gebirge emporhoben, setzte mit Sonne, Frost und Wasser die Verwitterung ein. Diese geologischen Formationen möchte die UNESCO schützen.
Markant ragt der Sellastock als einer der zentralen Gipfel tausend Meter steil aus der Landschaft. In Sichtweite des Ciampai-Lifts ist er für die Skifahrer nur wenige Schwünge entfernt. Das Massiv ist ein gewaltiges, übrig gebliebenes Riff inmitten sanft gewellter Almen, dem ein­sti­gen Meeresboden. Heute ist diese Region dramatische Kulisse und Spielwiese für Skibegeisterte von allen Enden der Welt.

Foto: Uta LinnertPater Peter Isara und Seilbahnendirektor Andy Varallo weihen den neu gebauten Lift am Piz Sorega ein.

„Wenn ich eine Landschaft erfinden dürfte, ich würde an dem, was wir hier haben, nichts ändern, es ist perfekt“, sagt Ulli Crazzolara, der die Hütte oben am Ausstieg des neuen Lifts betreibt. Er ist hier aufgewachsen und liebt die Natur und seine Berge über alles. Aber die Lifte braucht er zum Überleben. Sie bringen ihm Gäste. „Wenn der Lift steht, bleibt die Terrasse leer“, sagt der Besitzer der Las Vegas Lodge. Der 50-Jährige kann sich noch gut an seine Kindheit erinnern, als die Bergbauern arm waren und in mühsamer, harter Arbeit dem kargen Boden und dem rauhen Klima das Nötigste zum Leben abtrotzten. „In unsere entlegenen Täler verirrten sich nur wenige Gäste“, sagt er.

Bis letzten Winter rumpelte an dieser Stelle ein alter Zweier-Lift mit Holzsitzen bergauf. Ihn ersetzt der supermoderne Ciampai-Lift mit bequem gepolsterten knallgelben Kunstledersitzen für sechs Personen. Noch letztes Jahr stand oben beim Ausstieg eine Holzhütte, vor der ein Liftboy in der Sonne döste und nebenbei darauf achtete, dass keine Kinder im Lift hängenblieben. Heute öffnen die Bügel automatisch und der Lift schaufelt mehr als dreimal so viele Skifahrer den Berg hin­­auf. Die Las-Vegas-Terrasse war immer schon gut besetzt, jetzt gibt es bei gutem Wetter Gedränge um die Plätze. Und statt der kleinen Hütte, die neben den Heuschobern am Hang klebte, haben die Liftbetreiber ein gigantisches High-Tech-Ufo auf die Bergspitze geklotzt, das man nicht mehr übersehen kann. Die computergesteuerte Umlaufstation der neuen Bahn bleibt im Auge hängen und versperrt den Terassenbesuchern der Las Vegas Lodge sogar den Blick auf die Marmolata, den höchsten Berg der Dolomiten und zentralen Punkt des UNESCO-Weltkulturerbes. „Sie werden sich daran gewöhnen“, hofft Ulli Crazzolara.

Ski fahren im Angesicht des Welterbes

„Wir haben den Antrag, Weltnatur­erbe zu werden, sicher nicht gestellt“, sagt Franz Perathoner, Generaldirektor des Liftverbundes Dolomiti Superski auf der alljährlichen Winterpressekonferenz, „aber wir werden das Beste daraus machen.“ Auf technischer Seite sieht der Verbund keine Nachteile auf sich zukommen. „Zum Weltnaturerbe zählen nur die Berggruppen, die vorher schon als Naturparke unter Schutz standen. Dort haben wir keine Lifte und durch sie laufen auch keine Pisten“, sagt Diego Clara, der Pressereferent. Es gebe ohnehin die Auflage, keine neuen Gebiete zu erschließen, also ändere sich nichts. Ziel sei, die vorhandenen Skigebiete unter­ein­ander besser zu vernetzen, „und das machen wir verstärkt mit Bussen oder, wie demnächst im Pustertal, mit der Eisenbahn“, sagt Clara. „Das ist gerade der Vorteil an unserer Region: Sie können Ski fahren im Angesicht der Berge, die zum Welterbe gehören, Sie können die Felsriesen fast mit der Hand berühren, aber es tangiert sie nicht.“

Christioph Engl, Direktor der Südtirol Marketing Gesellschaft, freut sich auf der Reisemesse ITB in Berlin über die Auszeichnung. „Sie ist ein Prädikat, mit dem wir auf dem internationalen Markt bestehen können.“ Kaum ein Hotel, kein Dorf in den Dolominten, das nicht damit wirbt. Offen bleibt, wie Südtirol den Spagat zwischen Welterbe und steigenden Gästezahlen managen will. Beim öffentlichen Verkehr ist die autonome Provinz auf der Südseite der Alpen allerdings schon sehr weit. Die Blechlawinen an den Pässen und in den Dörfern müssten nicht sein: Mit einem Ticket kommt man günstig und bequem durchs ganze Land.

Im Schnee hat der junge Liftpräsident seine Rede beendet und das Bild einer strahlenden Zukunft von Dolomiti Superski in den wolkenlosen Himmel gezeichnet. Jetzt ist Pater Isara dran. Er hat sich eine weiße, mit zwei Kreuzen bestickte Schärpe umgelegt und einen Spickzettel aus der Skihose gezogen. Mit wenigen Worten beginnt er die Liturgie, die alle Anwesenden mitsprechen. Im Anschluss an das Vaterunser holt der Pater ein kleines Plastikfläschchen aus seiner wattierten Jacke. Er hat Weihwasser aus der Abtei mitgebracht, das er in hohem Bogen Richtung Liftstation spritzt. Er trifft nicht, aber die Gemeinde ist glücklich. Mit Gottes Segen wird es hier weiter bergauf gehen. Das halbvolle Fläschchen wandert zurück in die Jackentasche.

Pater Isara schnallt die Skier unter, schiebt sich mit ein paar gekonnten Stößen in die Liftspur und schwebt mit dem nächsten Sechser-Sessel davon. Gleich nebenan muss noch der neue Snowpark gesegnet werden. Auch gegen dessen Bau gab es keine Einwände, er liegt außerhalb des Weltnaturerbes.

Uta Linnert

Mit einem Ticket durch Südtirol

Autofreie Bergferien: Ein Ende der Blech­lawinen ist in Sicht.

Foto: Uta Linnert

Markenzeichen der Wanderer im Sommer in Südtirol ist nicht mehr das buntkarierte Karohemd, sondern der an einer weißen Schnur um den Hals baumelnde Klarsicht-Brustbeutel. Darin stecken: der Mountain-Pass für die Bergbahnen der Region und die Mobilcard für alle öffentlichen Verkehrsmittel des Süd­tiroler Verkehrsverbundes SAD. Sie erlaubt freie Fahrt in den überregionalen Trenitalia-Zügen vom Brenner bis Bozen und Trient, in den Regionalbahnen der Täler, zum Beispiel durchs Pustertal, ins Vinschgau und nach Meran, sowie mit den komfortablen Nahverkehrsbussen der SAD, die zuverlässig im Stundentakt durch die autonome norditalienische Provinz fahren, und enthält alle Stadtbuslinien.

Jetzt gibt es keine Ausrede mehr, im Dolomitenurlaub die Pässe Stoßstange an Stoßstange zu überrollen und die Täler und Dörfer zu verstopfen. Am einfachsten, man reist gleich mit der Bahn an. Auch Skifahrer brauchen kein ­eigenes Auto. So gehts: mit Bahn und Verkehrsverbund anreisen, Skier vor Ort leihen, mit Skibussen und -bahnen durch die Täler fahren – die Berge sind ohnehin komplett mit Liften verkabelt und verbunden.

fairkehr 5/2023