fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

Obere Wilhelmstraße 32 | 53225 Bonn | Telefon (0228) 9 85 85-85 | www.fairkehr-magazin.de

Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 6/2010

Der Kammmolch kann nichts dafür

Die hessische Landesregierung will im Nachhinein eine selten
gewordene Amphibienart für die gestiegenen Baukosten der
neuen Bundesautobahn 44 verantwortlich machen.

Foto: Siegfried Fries/pixelioDie in unseren Breiten lebenden Kammmolche sind vom Aussterben bedroht.

Der Nördliche Kammmolch ist eine bis zu achtzehn Zentimeter lange Amphibie. Er frisst Weichtiere, wenn vorhanden auch Kaulquappen. Er verbringt Frühjahr und Sommer in Teichgewässern, Herbst und Winter in Moo­ren, Hecken und an Waldrändern. Damit stellt er hohe Ansprüche an seinen Lebensraum. Er gilt nicht als akut gefährdet, steht auf der „Vorwarnliste“ der „Roten Liste gefährdeter Arten“. Bei ihm sind zukünftig ernsthafte Bedrohungen durch den fortschreitenden Verlust von Lebensräumen zu befürchten.

Der Kammmolch braucht intakte Feuchtgebiete. Wo er gefunden wird, sind auch andere seltene Arten wie Laubfrösche oder Libellen nicht weit. Für Naturschützer wie für Wissenschaftler steht das Vorkommen von Kammmolchen als Beweis für artenreiche und damit wertvolle Landschaftsteile außer Frage. Es geht also nicht nur um konkrete Exemplare und nicht nur um die eine Tierart, sondern um komplette Ökosysteme.

Falsche Prognosen, hohe Kosten

Der Kammmolch lebt unter anderem im nordhessischen Lossetal zwischen Hel­sa und Hessisch Lichtenau. Genau dort möchten der Bund und das Land Hessen die neue Bundesautobahn 44 von Kassel nach Eisenach bauen. Das hat man 1992 in der Euphorie der Wiedervereinigung beschlossen. Damals waren 700 Millionen D-Mark Baukosten vorgesehen. Inzwischen ist man bei 1,4 Milliarden angekommen, Euro versteht sich. Die Verkehrsprognose fiel im Gegenzug von 50.000 auf 30.000 Fahrzeuge pro Tag ab. Trotzdem wird jede Frage nach Sinn oder Dimensionierung des Neubaus mit Hinweis auf den Beschluss von 1992 abgebügelt. Der VCD Hessen hält die offiziellen Begründungen der Planungen für unhaltbar. Der Sinn eines Projektes ist allerdings eine politische Frage und kann nicht vor Gericht überprüft werden – wohl aber die Einhaltung des Naturschutzrechtes.

Die selbstbewusste hessische Straßenbauverwaltung hat an mehreren Abschnit­ten nicht nur gegen den Sinn, sondern auch gegen den Buchstaben des deut­schen und europäischen Umweltrechts verstoßen. Der BUND klagte erfolgreich gegen einen Abschnitt bei Hessisch Lichtenau, später wurde dort eine veränderte Baugenehmigung erteilt. Nur weil die Naturschützer zusätzliche Untersuchungen der Grundwasservorkommen verlangten, fiel auf, dass die ursprüngliche Planung bautechnisch instabil gewesen wäre. Auf einem anderen Ab­schnitt zog der BUND eine Klage zurück, nachdem die Bauverwaltung im Prozess Änderungen an den Plänen zugesichert hatte. Für mehr als die Hälfte der Strecke liegen noch gar keine Pläne vor, die die Naturschützer prüfen und gegebenenfalls beklagen könnten.

Umweltschützer schuld an jedem geschlossenen Supermarkt

Dennoch wird regelmäßig der Vorwurf erhoben, die Umweltschützer seien schuld am langsamen Baufortschritt. Da ein gut funktionierendes Netzwerk aus Baunternehmern, Spediteuren und örtlicher Monopolzeitung quasireligiöse Erwartungen an die wirtschaftliche Wirkung der Autobahn streut, sind die Umweltschützer seitdem schuld an jedem geschlossenen Supermarkt im Werra-Meißner-Kreis.

Natürlich sind die Umweltschützer nach dieser Ansicht auch verantwortlich für alle Unfälle im jetzigen Straßennetz. Dass sie bereits Anfang der 90er Jahre Zustimmung zu Ortsumfahrungen gegeben hatten, half nichts. Vor Ort wird so getan, als wäre die vierspurige Autobahn mit etwa zehn Kilometer voneinander entfernten Anschlüssen die einzige Möglichkeit, zweispurige Ortsdurchfahrten mit einem hohen Anteil örtlichen Verkehrs zu entspannen. Auf anderen nordhessischen Bundesstraßen wurden Durch­fahrtsverbote für Lkw verhängt, wurden Ortsdurchfahrten zurückgebaut und Tem­polimits durchgesetzt, immer wieder auch Umfahrungen gebaut. An der B 7 zwischen Kassel und Eisenach war all dies mit wechselnden Begründungen unmöglich, also soll die BAB 44 kommen. Parallel zu den anderen Bundesstraßen ist derzeit keine Autobahn geplant.

Molche sind keine Landwirte

Für den Abschnitt, auf dem die Kammmolche leben, wurde Ende 2009 die Planfeststellung (Baugenehmigung) veröffentlicht. Die Bauverwaltung hat von sich aus entschieden, keine Talbrücke zu errichten, sondern zwei ohnehin notwendige Tunnel zu verbinden und so das Feuchtgebiet zu untertunneln. Das schützt auch eine benachbarte Ortschaft vor Lärm, nebenbei bleibt mehr Wald erhalten als bei einer Brücke. Folglich haben keine Naturschützer gegen diesen Abschnitt Klage eingereicht. Mittlerweile haben Bauvorbereitungen begonnen. Niemand versucht ernsthaft, etwas an der Untertunnelung zu ändern.

Kammmolche sind nicht darauf aus, spontan Sympathie zu gewinnen. Sie passen nicht in das Kindchenschema, wühlen sich durch Laub und Schlamm und ernähren sich von Würmern und Schnecken. Feldhamster sind süß, Fledermäuse beeindruckend. Aber Molche? So ähnlich muss man im hessischen Wirtschaftsministerium gedacht haben, als man ausgerechnet diesen in der Sache erledigten Fall zum Anlass für einen Angriff auf den Naturschutz wählte. Fünfzig Millionen Euro würde „der Naturschutz“ allein an dieser Stelle zusätzlich kosten, eine Zahl, die der VCD nicht nachprüfen kann. Das wären etwa zehntausend Euro pro Molch, so etwas könne und dürfe sich Deutschland einfach nicht leisten, so der Aufschrei. Wären die Molche Landwirte, hätte man ihnen das Feld abgekauft, aber bei Sumpfbewohnern geht so etwas nicht. So wählte man den Kammmolch als eines der Beispiele für „überzogenen Naturschutz“ aus, mit denen der hessische Wirtschafts- und Verkehrsminister Dieter Posch in Berlin und Brüssel für eine „Entkoppelung von Naturschutz und Infrastrukturprojekten“ wirbt.

Das andere Beispiel sind Fledermäuse am Frankfurter Flughafen. Um das Beispiel plastischer zu gestalten und auch in die Boulevardpresse zu kommen, wird der Fakt betont, dass keine sexuellen Aktivitäten der Fledermäuse zu beobachten waren. Mittlerweile wurde ihr Wald für die neue Landebahn gerodet, demnächst fliegt da etwas ganz anderes.

Wer spart, schadet sich selbst

Das Umweltbundesamt hat darauf hin­gewiesen, dass der Naturschutz nur für etwa drei Prozent der Baukosten von Verkehrswegen verantwortlich ist. Dass dort, wo die Bauverwaltung freiere Hand hat, billiger oder irgendwie sinnvoller gebaut würde, ist nach Ansicht des VCD ziemlich sicher ausgeschlossen. Es gibt im System des Straßenbaus keinerlei Anreize, Geld der Steuerzahler zu schonen. So­wohl die Mittel, die der Bund den Landesstraßenbauverwaltungen für Planungen gibt, als auch die Honorare für Ingenieurbüros sind von der Höhe der Baukosten abhängig: Wer spart, schadet sich selbst.

Als Symbol für angeblich überzogenen Naturschutz hat es der Kammmolch sogar bis Moskau geschafft. Der hessische Rundfunk zeigte russische Reporter, die im Lossetal nach Kammmolchen suchen. Dass Tiere den Straßenbau aufhalten, sei in Russland undenkbar, hieß es. Dass sie es auch in diesem Fall nicht tun, blieb unerwähnt. Ein Vertreter der hessischen Straßenbaubehörde beklagte sich im Beitrag über die hohen Kosten. Die Reporter fanden jedoch keine Molche. Hätten sie Naturschützer zu den Dreharbeiten eingeladen, hätten die ihnen davon abgeraten, die Teichbewohner im Getreidefeld zu suchen. Aber das hätte möglicherweise zu einer differenzierteren Berichterstattung geführt.

Der Kammmolch ist auch ein typischer Nordhesse. Eigentlich will er nur, dass alles bleibt, wie es ist, – und seine Ruhe haben. Im Lossetal wird es so kommen. Gönnen wir es ihm.

Martin Mützel

fairkehr 5/2023