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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 5/2010

Bahnlärm macht krank

Die Bahn ist das umweltfreundlichste motorisierte Verkehrsmittel – aber sie muss ­leiser werden. Jeder vierte Mensch in Deutschland leidet unter Schienenlärm.

Die Menschen am Rhein sind besonders hart betroffen. Mehr als 500 Züge jeden Tag, davon über 230 besonders laute Güterzüge jede Nacht, donnern durch das enge Mittelrheintal und verbreiten unter den Anwohnern zwischen Mainz und Koblenz Lärm und Schrecken. Die Bahntrasse führt direkt an den Häuserwänden vorbei, und die steil ansteigenden Felswände auf beiden Seiten des Flusses reflektieren den Lärm und leiten ihn bis auf die Höhen hinauf. An einer der engsten Stellen bei Rüdesheim-Assmannshausen erreichen Messungen regelmäßig Spitzenwerte, die jenseits des Erträglichen liegen. „Wenn die uralten Güterzüge mit ihren ausgefahrenen Rädern mitten in der Nacht volles Rohr durch die Orte donnern, das ist wie eine Explosion“, beschreibt Frank Groß, Vorsitzender und Sprecher der Initiative Pro Rheintal, den nächtlichen Lärmterror. Bahnlärm ist eine Gesundheitsgefahr. An ruhigen Schlaf ist an der „lautesten Eisenbahnstrecke der Welt“ nicht zu denken.

Der größte Lärm bei der Vorbeifahrt eines Güterzuges entsteht durch das Abrollen der Räder auf der Schiene. Die meisten Güterzüge in Deutschland fahren noch mit Graugussbremsen. Deren Klötze drücken zum Bremsen direkt auf die Räder, was die Laufflächen aufraut und Riffeln und Rillen verursacht. Auch in die Schienen kerben sich Gebrauchsspuren. Ein großer Teil dieses Lärms könnte heute durch technische Mittel verhindert werden. Grundsätzlich schützen glatte Räder auf glatten Schienen am besten vor unnötigen Lärmemissionen. Bei Güterwagen können Bremssohlen aus einer speziellen Kunststoffmischung ein Aufrauen der Räder verringern und den Lärm um bis zu zehn Dezibel mindern. Wären alle Waggons mit diesen Verbundstoffbremsen ausgerüstet, könnte die Lärmemissionen beim Güterverkehr halbiert werden. Auch dann müssten Räder und Gleise regelmäßig glattgeschliffen werden, aber nicht mehr so oft. Personenzüge fahren – schon den Fahrgästen zuliebe – mit Schei­benbremsen und sind deshalb leiser.

Lärm an der Quelle bekämpfen

„Der VCD fordert die zügige Umrüstung aller Waggons von Grauguss- auf Kunststoffbremsen“, sagt VCD-Bundesvorsitzender Michael Gehrmann. Da ist er mit der Bahn einer Meinung. Weil sie aber keinen wirtschaflichen Nutzen aus dem Lärmschutz ziehen kann und gesetzlich nicht verpflichtet ist auf die sogenannte K-Sohle umzurüsten, fordert die DB den Bund auf, diese Kosten zu übernehmen.

„Die Deutsche Bahn hat das Ziel, den Schienenlärm, gemessen an den Zahlen aus dem Jahr 2000 bis 2020, zu halbieren“, sagt Peter Westenberger, Leiter Umwelt- und Nachhaltigkeitsinformation bei der Deutschen Bahn. „Alle seit 2003 von DB Schenker Rail neu angeschafften Güterwagen sind mit Verbundstoffbremssohlen ausgerüstet, die den Lärm halbieren. Ende 2009 waren schon 5200 leise Güterwagen im Einsatz“, sagt Westenberger. Probleme machen der Bahn die bis zu 40 Jahre alten Güterzüge, die in Deutschland noch im Bestand sind. 135000 Güterwagen müssten umgebaut werden. Die Kosten schätzt das Unternehmen auf 600 Millionen Euro, die der Staat nicht fördert.

Viel Geld, wenig Lärmschutz

Menschen, die in der Nähe von Neubaustrecken wohnen, soll das Bundes-Immissionsschutzgesetz vor Schienenlärm schützen. An bestehenden Strecken ist die Lärmsanierung dagegen gesetzlich nicht verankert. Die Rheinschiene beispielsweise genießt Bestandsschutz, auch wenn hier der Verkehr in den letzten zehn Jahren dramatisch angestiegen ist. An solchen Strecken setzt die Bundesregierung auf das freiwillige Sanierungsprogramm. Seit 2007 stellt sie jedes Jahr 100 Millionen Euro für passiven Lärmschutz zur Verfügung. Die Förderrichtlinie sieht vor, dass die Maßnahmen in Wohngebieten bei Überschreiten der Schallpegel von 70 Dezibel (dB[A]) am Tag und 60 dB[A] in der Nacht durchgeführt werden können. An bestehenden Strecken sind 11 dB[A] mehr erlaubt als an Neubaustrecken.

„Von den rund 3400 Streckenkilometern, die in das Lärmsanierungsprogramm aufgenommen wurden, sind derzeit über 23 Prozent saniert. Insgesamt sind in den vergangenen Jahren 279 Kilometer Schallschutzwände gebaut und über 40500 Wohnungen mit Schallschutzfenstern ausgerüstet worden“, bilanziert Oliver Kraft, Vorstand Produktion der DB Netz AG, die Bemühungen der Bahn. Michael Gehrmann, Bundesvorsitzender des VCD, findet es „erschreckend, dass in elf Jahren nur so wenig Kilometer lärmsaniert wurden, angesichts der Geldmengen, die fast ausschließlich der Bund gibt.“ Bei dieser Geschwindigkeit werde das Problem auf absehbare Zeit nicht geringer.

Diskussion um Grenzwerte

„Den Lärm muss die Bahn an der Quel­le bekämpfen“, fordert VCD-Bahnexpertin Heidi Tischmann. Mit Schutzwänden sei vielerorts nicht mehr viel zu erreichen. Zur Umsetzung ihres Ziels, den Schienenlärm zu halbieren, setzt die Bahn deshalb auch auf technische Innovationen. Zurzeit erprobt sie etwa den Einbau von Dämpfern und verschiedenen Schallschutzmaterialien direkt am Gleis. Sie sollen Lärm und Quietschen reduzieren. Außerdem werden Rad- und Schienenabsorber eingesetzt, die die Schallwellen direkt bei der Quelle aufsaugen und die Schallemissionen verringern.

Beim Bewerten von Grenzwerten sind sich Gesetzgeber und Betroffene nicht einig. Der Bund berechnet als Grundlage einen Mittelwert aus den gemessenen Pegeln der vorbeifahrenden Güterwaggons und den Ruhephasen dazwischen. Von diesem wird dann der sogenannte Schienenbonus von 5 dB[A] abgezogen. Dieser Korrekturwert ist in die Bundeslärmschutzverordnung eingegangen, weil es Studien gibt, die besagen, dass Schienenlärm als weniger störend empfunden wird als der gleichmäßig rauschende Straßenverkehr.

Die Bürgerinitiativen halten dagegen und fordern, den Lärmbonus abzuschaffen. Gestört würden die Menschen vom Getöse einzelner vorbeifahrender Züge und nicht von Mittelungspegeln. Die maximale Lautstärke erreicht im Rheintal Werte von 105 db[A]. „Wir liegen hier im Mittelrheintal 30 bis 40 Dezibel über dem, was Menschen ertragen können. Die Anwohner verbringen die Nacht mit Stopfen in den Ohren hinter Lärmschutzfenstern im hintersten Zimmer ihrer Häuser“, sagt Pro-Rheintal-Vorsitzender Groß. Der Werbeagenturchef aus Boppard beschreibt weiter die Erschütterungen, die die mit bis zu 40 Tonnen beladenen Güterwaggons bei den hohen Geschwindigkeiten erzeugen. „Dieser sogenannte Körperschall erzeugt Vibrationen, die die Decken in den Zimmern zum Schwingen bringen und einen dumpfen Druck entstehen lassen, gegen den weder Lärmschutzfenster noch Ohropax wirken. Das macht die Menschen einfach krank“, sagt Groß.

Tempolimit für Güterzüge

Die Anwohner im Mittelrheintal fühlen sich im Stich gelassen. „Der Lärm entwertet die gesamte Region, die Unesco-Welterbe ist und vom Tourismus lebt“, sagt Bürgerinitiativensprecher Groß. Um schnelle Abhilfe zu schaffen, fordert die Bürgerinitiative für Züge tagsüber ein Tempolimit und ein Fahrverbot für besonders laute Züge in der Nacht. „Es kann einfach nicht sein, dass Autos mit 30 oder 50 Stundenkilometern fahren, tonnenschwere Güterzüge aber mit Tempo 120 mitten durch die Dörfer donnern dürfen.“

Der VCD fordert neben der Umsetzung der möglichen technischen Maßnahmen die Einführung von lärmabhängigen Trassenpreisen. Dieses Instrument soll ein Anreiz für eine Umrüstung der Züge und Waggons schaffen. Laute Güterwagen müssten zukünftig höherer Trassenpreise zahlen als leise Güterwagen, die einen Bonus erhalten könnten. Die Bahn sträubt sich gegen eine lärmabhängige Differenzierung von Trassenpreisen, wenn diese eine allgemeine Erhöhung der Kosten und damit einen weiteren Wettbewerbsnachteil gegenüber dem Straßengüterverkehr zur Folge hätten. „Die Gefahr besteht, dass ein kompliziertes Trassenpreissystem eingeführt wird, dessen Umsetzung und Überwachung teurer wird, als die Umrüstung aller alten Wagen auf die lärmarme Kunststoffbremssohle“, sagt Peter Westenberger vom DB Umweltzen­trum.

Problem wird schlimmer

Wohin aber mit dem vielen Güterverkehr auf dem vorhandenen Netz? Der derzeitige Ausbau des europäischen Schienennetzes vom Hinterland der niederländischen Häfen bis zum Gotthardtunnel in der Schweiz kann nach neuesten Schätzungen dazu führen, dass sich der Verkehr auf der Nord-Süd-Achse bis 2050 verdoppeln wird. Einen Teil davon müsste das Mittelrheintal aufnehmen, das dann noch mehr zur Engstelle würde.

„Leider gibt es nicht die Kapazitäten, die Züge anders fahren zu lassen“, sagt VCD-Bundesvorsitzender Gehr­mann. „So traurig die Situation am Rhein auch ist, es muss und wird der Güterverkehr auch zukünftig durch das Rheintal rollen. So war es seit der Römerzeit und so wird es auch auch in den nächsten 40 Jahren sein.“ Selbst wenn Großprojekte wie „Stuttgart 21“ und alle geplanten und im Bau befindlichen Hochgeschwindigkeitsstrecken auf einen Schlag gestoppt würden, stünden wegen fehlendem Geld schneller keine Ausweichstrecken zur Verfügung. „Die DB setzt auf Tempo 300 für ICE, statt den Güterverkehr mit sinnvollen Maßnahmen menschenfreundlich auf die Schiene zu bekommen“, kritisiert Gehrmann die Bahnpolitik.

Programm "Leises Rheintal"

Langfristig müsse das Mittelrheintal vom europäischen Schienengüterverkehr durch eine Neubaustrecke befreit werden, fordert ein „Zehn-Punkte-Pro­gramm Leises Rheintal“, auf das sich die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Hessen in diesem Frühjahr verständigt ha­ben. Die Verkehrs- und Umweltminister, ein Bündnis aus FDP-, CDU- und SPD-Politikern, greifen damit auf die seit vielen Jahren vorgetragenen Argumente der Bürgerinitiativen zurück. „Bund und Bahn dürfen sich nicht weiter auf Absichtserklärungen beschränken, wir erwarten klar benannte Maßnahmen, ein Budget und verbindliche Umsetzungszeiten“, sagte der rheinland-pfälzische Verkehrsminister Hendrik Hering (SPD). Ziel müsse es sei, den Schienenverkehr schrittweise menschen- und umweltverträglicher zu machen. Die bisherigen Erfolge beim Lärmschutz seien durch die Zuwächse beim Güterverkehr auf der Schiene zunichtegemacht worden. Wer Güter auf die Bahn verlagern wolle, müsse Neubaustrecken bauen. Damit haben die Politiker die geplagten Bürger am Mittelrhein auf ihrer Seite.

Uta Linnert

Informationen

VCD-Aktion gegen Schienenlärm

Um die Umrüstung der Güterwagen zu beschleunigen, startet der VCD gemeinsam mit der TU Berlin im Oktober eine Aktion zur Identifizierung von leisen und lauten Güterzügen. Menschen an hoch belasteten Strecken werden gebeten, ein Schienenlärmprotokoll auszufüllen und es an den VCD zu schicken. Die Angaben werden ausgewertet und den politisch Verantwortlichen, den Unternehmen und DB Netz präsentiert.

Internationaler Bahnlärmkongress

Der Kongress „Lärm macht krank“ findet vom 13. bis zum 14.November 2010 in Boppard statt. Informieren und anmelden auf www.schienenlaerm.de

Anschaulicher Lärm

Sehr informative Seite der Fachstelle für Lärmschutz Zürich, gute Hörbeispiele, nette Filme: www.laermorama.ch

fairkehr 5/2023