Titel 5/2010
Kommentar: Lärm ist eine Mauer vorm Auge
Immer mehr Mauern werden gegen den Verkehrslärm gebaut, die akustische Verschmutzung wird in eine visuelle transformiert, mit dem Lärm wird auch gleich die Landschaft entsorgt.
Den Blick schweifen zu lassen, war immer Bestandteil und Motivation der Mobilität, jede Reise eine Entdeckungsreise, die einem das Land näherbringt, durch das man unterwegs ist. Das ist heute zusehends Vergangenheit. Links und rechts von Bahn und Autobahn werden immer öfter Schallschutzwände hochgezogen, die den Blick wie Scheuklappen kanalisieren. An Stelle des Zeitvertreibs durchs Schauen in die Landschaft tritt der Landschaftsvertreib durch Mauern. Man könnte sich irgendwo auf der Welt befinden.
Für die lärmgeplagten Anwohner ist die Lärmschutzwand eine optische Zumutung. Wohnsiedlungen entlang von Bahn und Autobahn nehmen den Charakter von Hinterhöfen an. Wer starrt schon gern gegen eine Wand, wenn er in seinem Garten sitzt?
Wände mit Nebenwirkungen
Doch die Lärmschutzwände haben nicht nur optische Nebenwirkungen. Die Monotonie auf der blickdichten Autobahn schläfert ein. Bereits heute wird jeder vierte Verkehrsunfall von Fahrern verursacht, die am Steuer einnicken. Bei Unfällen sind die Fluchtmöglichkeiten stark eingeschränkt, Hilfskräfte haben schlechteren Zugang, Rettungshubschrauber Schwierigkeiten beim Landen.
Vor allem die Baubranche und Gemeinden, die schnelle Lösungen vorziehen, befürworten Lärmschutzwände. Diese verlieren jedoch an Wirkung, wenn der Verkehr auf der eingemauerten Strecke weiter zunimmt.
Flucht vor Aussichtslosigkeit
Das Paradoxon der Lärmschutzwände wird immer augenfälliger. Als würden bei Kälte Öfen in die Landschaft gestellt, statt dass sich die Menschen wärmer anziehen. Es ist absehbar: Der Ausweichverkehr der Zukunft wird nicht vor der Maut fliehen, sondern vor der Aussichtslosigkeit auf der Autobahn. Es ist höchste Zeit damit aufzuhören, das Symptom Lärm durch teuren und uneffektiven Mauerbau ausblenden zu wollen. Das Geld ist besser investiert, wenn das Übel Lärm an der Quelle angegangen wird.
Christian Höller