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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Reise 5/2010

Urlaub fast von Anfang an

Die Anreise mit der Familie und öffentlichen Verkehrsmitteln auf die autofreien ostfriesischen Inseln verlangt Geduld und gute Nerven. Doch sie lohnt sich.

Foto: Tourismusbüro WangeroogeAuf der Fährfahrt nach Wangerooge fangen die Ferien richtig an.

Wenn einem etwas fehlt, muss das nicht von Nachteil sein. Manchmal ist sogar das Gegenteil der Fall: Jedesmal, wenn wir auf der Nordseeinsel Wangerooge Urlaub machen, sind wir zunächst irritiert. Etwas ist anders, ungewohnt. Und dann fällt es uns ein: Richtig, es gibt keine Autogeräusche! Keine aufheulenden Motoren, keine Sirenen, kein Gehupe. Nur hin und wieder das Klappern von Fahrrädern auf dem Kopfsteinpflaster, das Knarzen der Inselbahn oder das leise Surren von Elektrofahrzeugen. Ansonsten vernehmen unsere Ohren nichts weiter als die schmeichelnden Melodien der Natur: Der Wind lässt die Blätter rauschen, Möwen kreischen am Himmel, Wellen branden unablässig an den Strand.

In diesem Moment wird uns bewusst, weshalb wir immer wieder gern hierher reisen: Autofreie Inseln sind vollkommen stressfrei. Wir lassen den städtischen Lärmpegel hinter uns, und unsere Kinder können sich frei bewegen, ohne dass wir Angst vor Unfällen haben müssen. Wangerooge ist ein überschaubarer Mikrokosmos mit knapp 1000 Einwohnern, gerade einmal acht Kilometer lang und 1,2 Kilometer breit. Alle Wege sind gut zu Fuß oder mit dem (Leih-)Fahrrad zu bewältigen. Das eigene Auto bleibt folgerichtig auf dem Parkplatz am Fährhafen stehen – oder am besten gleich zuhause. Denn die Anreise ist komplett mit öffentlichen Verkehrsmitteln möglich und wird mit der Familie, na ja, sagen wir mal, zu einem Erlebnis.

Anreise als sportliche Herausforderung

Von unserer Haustür in Hannover bis zur Ferienwohnung auf Wangerooge nutzen wir insgesamt sechs Verkehrsmittel: Mit der Stadtbahn geht’s zum Hauptbahnhof, von dort mit dem Niedersachsen-Ticket im Regionalexpress nach
Oldenburg. Hier steigen wir in die Nordwestbahn, die uns nach Sande bringt. Dort wartet ein Bus, der zum Anleger in Harlesiel fährt. Mit der Fähre setzen wir nach Wangerooge über. Anschließend legen wir mit der Inselbahn das letzte Wegstück in den Ort zurück. Die Reisezeit beträgt insgesamt rund sechs Stunden.

So weit, so gut. Mit vier kleinen Kindern, Großmutter, Schwägerin und Dutzenden von Gepäckstücken – vom Strand­spielzeug über die Regenjacke bis zur Sonnenmilch – kann die Anreise aller­dings zur sportlichen Herausforderung werden. Verspätungen der Bahn sind eher Normalität denn Ausnahme, selbst großzügige Umsteigezeiten schmelzen so mitunter auf Spurtstrecken zwischen den Gleisen zusammen. Immer wieder flackert die Sorge auf, nicht rechtzeitig zum Anleger zu kommen, das Schiff wartet schließlich nicht. Über mangelnde Aus­lastung muss man sich zumindest in den norddeutschen Nahverkehrszügen keine Sorgen machen: Falls wir irgendwo freie Nischen finden, stopfen wir sie mit Gepäck und Personen voll. Seltsamerweise werden wir fast jedesmal von größeren Gruppen Fußallfans begleitet, die die Züge mit Biergeruch und Gesang erfüllen.

Foto: Sebastian HoffBei schönem Wetter plantschen die Kinder am Strand, bei Regen gehts ins Hallenbad.

Reisestress fällt von uns ab

In Sande herrscht dann High-Noon-Stim­mung wie im Wildwestfilm: Der Bahnhof liegt verlassen am Ortsrand, nichts regt sich, nur alle Jubeljahre fährt ein Zug ein. Wir haben das Gefühl, jederzeit könnte ein Revolverheld um die Ecke biegen. Stattdessen kommt pünktlich der Bus, der uns durch die platte ostfriesische Landschaft in einer knappen Stunde zum Anleger bringt.

Wenn sich auf der Fähre nicht gerade sämtliche niedersächsische Schüler auf Klassenreise drängen, wartet, sobald wir abgelegt haben, der entspannte Teil der Anreise auf uns: Salzwassergeruch, Möwengeschrei, auffrischender Wind, Robben auf Sandbänken und in der Ferne die Insel mit ihren markanten Türmen – Wangerooge, wir kommen! Die Kinder laufen auf dem Schiff umher, wir Erwachsenen strecken unsere Gesichter Richtung Sonne.

Unbestrittener Höhepunkt der Anreise ist jedoch die Inselbahn: Eine Diesellock zieht die Personen- und Gepäckwaggons, die sich aus einem fernen Jahrhundert hierher verirrt zu haben scheinen, vom Anleger durch die Salzwiesen zum Ort. Ich stehe auf der Plattform zwischen den Anhängern und lasse mir den Wind um die Nase wehen. Spätestens jetzt ist jeder Reisestress abgefallen.

Foto: Tourismusbüro WangeroogeUnbestrittener Höhepunkt der Anreise ist die Inselbahn: Eine Diesellock zieht altertümliche Personen- und Gepäckwaggons durch die Salzwiesen.

Der Urlaub auf der Insel ist zu jeder Jahreszeit und besonders außerhalb der Hauptsaison schön. Ob Wattwanderungen, Radausflüge, Plantschen im Priel, Joggen am Strand, Drachen steigen lassen oder Versteckspielen in den Dünen – Wangerooge lädt zur Bewegung an der frischen Luft ein. Ein Gesetz der Einheimischen besagt: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung. Wer einmal dick eingepackt bei starker Brise und sich überschlagenden Wellen am Strand spazieren gegangen ist, weiß um die einmaligen Reize der Nordseeinseln. Und ist es doch einmal zu kalt oder zu nass, geht die Familie ins Hallenbad, ins Leuchtturmmuseum oder ins Nationalparkhaus.

Nordsee oder Hiddensee?

Auch auf Juist, Baltrum, Spiekeroog, Langeoog und der Felseninsel Helgoland sind Straßen und Wege Fußgängern, Radfahrern, Kutschen und Elektrofahrzeugen vorbehalten. Der Urlaub auf autofreien Nordseeinseln ist für die ganze Familie sehr erholsam. Die Inseln besitzen einen unverwechselbaren Charme.

In der Ostsee liegt ebenfalls eine Insel, auf der Autos verboten sind: Hiddensee. Anders als auf den ostfriesischen Inseln gibt es auf der kleinen Schwester Rügens fast keine Gezeiten und die Sandstrände sind schmaler. Dafür wartet Hiddensee mit Steilküste und mehreren Orten auf: Vitte, Kloster, Neuendorf und Grieben bieten Abwechslung. Und in der Ostsee baden die Kinder ungefährlicher als an der Nordsee.

Sebastian Hoff

Zug zum Wasser

Auf die autofreien ostfriesischen Inseln gelangt man gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Auf die kleinste Insel Baltrum geht’s von Hannover aus mit dem Zug, dem Bus und dem Schiff über Norden nach Neßmersiel.

Die Verbindung nach Langeoog erfolgt über Esens und Bensersiel. Spiekeroog wird über Esens und Neuharlingersiel erreicht. Nach Norddeich Mole gibt es eine direkte Zugverbindung. Dort legt das Schiff nach Juist ab. Die Abfahrtszeiten der Schiffe sind abhängig von Ebbe und Flut. Der Preis ab Hannover für eine einfache Fahrt inklusive Fährverbindung beträgt im Normaltarif der Deutschen Bahn ab 50 Euro pro Person.

Wer mit der Bahn nach Hiddensee reist, fährt bis zur sehenswerten Hansestadt Stralsund und steigt dort auf die Fähre. Durch die Boddenlandschaft geht’s dann in knapp zwei Stunden zu einem der drei Häfen auf Hiddensee.

fairkehr 5/2023