fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

Obere Wilhelmstraße 32 | 53225 Bonn | Telefon (0228) 9 85 85-85 | www.fairkehr-magazin.de

Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 5/2010

Städte können Klimawandel stoppen

Der grüne Europaabgeordnete Michael Cramer möchte Quoten für die Schienen- und Radverkehrsförderung in der Stadt einführen.

Foto: Parlement EuropeenMichael Cramer (61) gestaltet seit 2004 als Abgeordneter der Grünen die Verkehrspolitik im Europäischen Parlament mit. Er hat sich in den vergangenen Jahren dafür eingesetzt, dass sein Projekt, der 160 Kilometer lange Berliner Mauer-Radweg auf Europa übertragen wurde: Der 7000 Kilometer lange Europa-Radweg Eiserner Vorhang (Iron Curtain Trail) führt durch 20 Länder, darunter 14 EU-Mitgliedstaaten. Michael Cramer ist dienstlich und privat ohne Auto mobil.

fairkehr: Wie bewerten Sie den „Aktionsplan urbane Mobilität“ der EU-Kommission?
Michael Cramer: Der Aktionsplan zur städtischen Mobilität ist allenfalls ein Anfang. Er ist völlig unverbindlich, weil der EU-Kommission die Subsidiarität im Wege steht. Das heißt, die Kommission kann den Städten nichts vorschreiben, sondern sie nur einladen, mehr für nachhaltige Mobilität zu tun.

Sind der EU also die Hände gebunden?
Man könnte trotz Subsidiarität etwas regeln. Eine Analyse der Strukturfonds hat ergeben, dass 60 Prozent der Gelder in die Straße gehen, 20 Prozent in die Schiene und nur 0,9 Prozent in den Fahrradverkehr. Über Quoten für die Schiene, das Rad oder Klimaschutzmaßnahmen könnte man Gelder umlenken. Aber der Rat, das Gremium der EU-Mitgliedsstaaten, verweigert das bis heute.

Warum interessiert sich die EU-Kommission plötzlich für städtische Mobilität?
In den Städten entscheidet sich, ob wir den Klimawandel stoppen können. Wenn ich alle klimaschädlichen Emissionen zusammennehme, ist der Verkehr in den Städten für 70 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. 90 Prozent aller Autofahrten in deutschen Städten sind kürzer als sechs Kilometer – ideale Entfernungen für den Umstieg auf Bus, Bahn, Fahrrad oder das Zufußgehen.

Wie gut ist das von der Kommission propagierte integrierte Konzept?
Die Kommission will die Klima-, Umwelt- und Sozialpolitik in die Verkehrspolitik integrieren und alle Verkehrsträger miteinbeziehen, also vom Auto über den ÖPNV bis zu Fahrrad- und Fußwegen. Das ist im Prinzip gut. Leider sind die „nachhaltigen städtischen Mobilitätspläne“ nicht an harte Kriterien als Voraussetzung für die Ko-Finanzierung durch die EU gebunden. Der Aktionsplan sagt zudem nichts zu unseren schnell alternden Gesellschaften.

Werden wir in 20 Jahren eigene Wege für motorisierte Rollstühle benötigen?
In alternden Gesellschaften bekommen ÖPNV und Behindertengerechtigkeit im Sinne einer sehr viel konsequenteren Barrierefreiheit als heute eine noch größere Bedeutung. Dass es eigene Rollstuhlwege gibt, kann ich mir nicht vorstellen. Aber man muss zum Beispiel konsequent die Gehwege absenken und verbreitern.

Warum wird Frachtverkehr in den Städten im Aktionsplan vernachlässigt?
Innerhalb der Stadt spielt Frachtverkehr bei Planungen fast nie eine Rolle. Güter sind keine Wählerstimmen, Personen schon. Es gibt nur in Dresden und Amsterdam eine Güterstraßenbahn. Perspektivisch ist das notwendig.

Die Finanzkraft der Städte ist unter Druck. Kann die EU helfen?
Die Mittel sind da. Nur setzen sie die Städte zu 60 Prozent für die Straße ein. Infrastruktur für die Schiene ist besser, Fahrradverkehr ist nicht teuer. Die meisten Städte entscheiden sich aber weiterhin für die Straße.

Warum wird das Gesundheitsproblem Lärm nicht thematisiert?
Das müssen Sie die großen Fraktionen im Europäischen Parlament fragen. Wir, die Europagrünen, stellen zum Thema Lärm regelmäßig Änderungsanträge. Die meisten werden abgelehnt. Europäische Gelder dürfen auch nur in die Infrastruktur fließen, aber beispielsweise nicht in das rollende Material. Lärmreduzierte Schienenfahrzeuge können deshalb von der EU nicht bezuschusst werden. Hier muss sich die europäische Gesetzgebung ändern.

Interview: Christoph Nick

fairkehr 5/2023