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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 5/2010

Alles auf eine Karte gesetzt

Mit einem Ticket kostenlos Busse, Bergbahnen und Attraktionen nutzen – dieses Tourismuskonzept hat der Region Allgäuer Hochalpen dieses Jahr den „Fahrtziel Natur“-Preis beschert.

Foto: Gästeinformation Bad HindelangDer Kurort Bad Hindelang, am Tor zum Naturschutzgebiet gelegen, möchte, dass im Allgäu auch die Autos Urlaub haben.

Mitten in den Allgäuer Alpen begrüßt der Senn der Almwirtschaft Laufbichl seine Gäste mit kölschem Akzent: Der gebürtige Rheinländer Christoph Terfurth lernte vor 30 Jahren in Nepal einen Mann aus Sonthofen kennen und besuchte daraufhin den Ort im Allgäu. Der Bekannte war gar nicht mehr da, dafür blieb Terfurth in der Region: Der gelernte Zimmermann ließ sich einige Jahre in der Schweiz zum Senn ausbilden – zum Hirten, der die Milch seiner Kühe zu Käse und Butter verarbeitet.

Seit 2007 bewirtschaftet der 50-Jährige mit seiner Tochter Joanna die Alpe Laufbichl auf 1200 Metern Höhe im Naturschutzgebiet Allgäuer Hochalpen. Wanderer und Mountainbiker bekommen hier im Sommer täglich würzigen Bergkäse, frische Milch und leckere Butter von 60 glücklichen Kühen der Marke Braunvieh serviert. Was nicht die Gäste verspeisen, holen sich die Käsehändler aus dem Tal, um es in Bad Hindelang an ihre Kunden zu bringen.

Mit Bus, Bahn und Muskelkraft

Bergbäuerliche Wirtschaft und lokale Vermarktung sind typisch für die Alpenregion rund um die Gemeinde Bad Hindelang im Allgäu. Landwirte und Touristiker haben sich einem ökologischen Leitbild verschrieben. Dazu passt das neue Konzept „Bad Hindelang Plus“, von dem Besucher seit Mai dieses Jahres profitieren. 220 Gastgeber, mehr als die Hälfte der Betriebe im Luftkurort, machen bislang mit. Wer bei ihnen bucht, bekommt eine elektronische Chipkarte, mit der er kostenlos alle Busse im Südallgäu bis ins österreichische Kleinwalsertal, Bergbahnen und Schwimmbäder, Tennisplätze oder Abenteuerspielplätze nutzen darf. Ab der Wintersaison ist auch der Skipass inklusive.

Für diese „besonders vorbildliche Vernetzung von Mobilität und touristischen Angeboten“, so die Begründung der Jury, hat die Region Allgäuer Hochalpen den diesjährigen „Fahrtziel Natur“-Award gewonnen. Die Deutsche Bahn und die Umweltverbände BUND, NABU und VCD haben diesen Preis im Rahmen ihrer Kooperation „Fahrtziel Natur“ erstmals verliehen. Mit dem Preis für sanften Tourismus und nachhaltige Mobilität zeichnen sie Regionen aus, die ihre Gäste mit überzeugenden Konzepten dazu bringen, das Auto stehen zu lassen und sich mit Bus, Bahn und Muskelkraft fortzubewegen. Bewerben können sich die mittlerweile 18 „Fahrtziel Natur“-Regionen – Naturlandschaften vom Wattenmeer bis zum Alpenraum – sowie alle weiteren deutschen Nationalparke, Naturparke und Biosphärenreservate. Die Gewinnerregion bekommt 25.000 Euro Preisgeld für Öffentlichkeitsarbeit und Vermarktung.

Foto: DB AG/Hans-Dieter BuddeDer beliebte Giebelhaus-Bus ist für Gäste mit dem „Bad Hindelang Plus“-Ticket kostenlos.

Viele lassen ihr Auto stehen

Bad Hindelangs Kurdirektor Maximilian Hillmeier ist auf den Preis „mächtig stolz“. Seit mehr als 20 Jahren engagiere sich die Ökomodellregion dafür, Landwirtschaft, Naturschutz und Tourismus zu verknüpfen. „Deshalb freue ich mich, dass wir nun für die Verbindung von Tourismus, Mobilität und Naturschutz ausgezeichnet wurden“, sagt Hillmeier.

Mit „Bad Hindelang Plus“ will er drei Zielgruppen noch stärker als bisher ansprechen: Wintersportler soll der Gratis-Skipass locken, Familien sollen vom freien Eintritt zu Schwimmbädern, Eisplätzen oder ins Schneekinderland sowie von den kostenlosen Bergbahntouren profitieren, Natururlauber und Bergwanderer vom Busfahren zum Nulltarif. Zwar kommen die meisten Gäste weiterhin mit dem Auto in den heilklimatischen Kurort, obwohl er über den Bahnhof im Nachbarort Sonthofen und mit Bussen ab Sonthofen im Halbstundentakt gut angebunden ist. „Doch viele lassen das Auto vor Ort stehen“, sagt Hillmeier. „Besonders Wanderer sind mit dem Bus viel flexibler unterwegs, als wenn sie ihr Auto auf einem Wanderparkplatz abstellen und nach der Tour dorthin zurückkehren müssen.“

Auch Gastgeber bestätigen, dass das neue Angebot Besucher in die Busse bringt. „Sie parken ihr Auto bei uns und nutzen den ÖPNV“, erzählt Carina Bestle, die eine Pension im Hindelanger Ortsteil Unterjoch betreibt. „Das ist viel bequemer für die Gäste, sie müssen sich nicht um Parktickets kümmern.“ Die junge Pensionswirtin hält „Bad Hindelang Plus“ für eine sehr gute Sache. „Unsere Gäste reagieren bislang ausschließlich positiv“, sagt Carina Bestle. „Ich denke, dass das Angebot dazu beiträgt, dass sie auch im nächsten Jahr wiederkommen.“

Ran an den Käse – mit dem Bus

Schon vor der Einführung von „Bad Hindelang Plus“ haben die Touristiker erfolgreich versucht, Gäste aus dem Auto und in Bus und Bahn zu bekommen. Das neue Konzept baut auf der Allgäu-Walser-Card auf. Diese Bonuskarte ist weiterhin erhältlich bei Hindelanger Betrieben, die nicht bei „Bad Hindelang Plus“ mitmachen, und bei allen anderen Gastgebern in der Region Südallgäu und Kleinwalsertal. Mit der Allgäu-Walser-Card können Besucher ein Sieben- oder 14-Tage-ÖPNV-Paket für 17 beziehungsweise 25 Euro buchen und beliebig oft in Bussen und Regionalbahnen fahren. Die Jury des „Fahrtziel Natur“-Awards sieht in den Angeboten „einen wirklichen Anreiz für Gäste, schon bei der Anreise in einen sensiblen Naturraum auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen.“

Auch Besucher der Laufbichl-Alpe im Naturschutzgebiet profitieren von „Bad Hindelang Plus“. Der beliebte Pendelbus vom Ortsteil Hinterstein zum Giebelhaus, Ausgangspunkt vieler Wanderungen ins Hochgebirge, ist dank der Chipkarte kostenlos. Er fährt einmal in der Stunde und bringt Wanderer und Bergradler dem köstlichen Käse vom Senn Terfurth ein gutes Stück näher. 

Kirsten Lange

Außerdem ausgezeichnet

Der diesjährige Spezialpreis für Unterkünfte ging an ein britisches Ehepaar in Bayerisch-Eisenstein, das unter der Marke „Bavarian Forest Holidays“ Gäste aus dem In- und Ausland konsequent zum Bus- und Bahnfahren bewegt.

Nominiert für den „Fahrtziel Natur“-Award 2010 waren neben der Gewinnerregion Allgäuer Hochalpen auch der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer mit dem Urlauberbus und der Naturpark Lüneburger Heide mit der Freizeitbuslinie Heide-Shuttle.

fairkehr 5/2023