Reise 4/2010
Gehen bewegt die Stadt
Ein 600 Kilometer langes Fußwegenetz zieht sich durch die deutsche Hauptstadt: 20 grüne Hauptwege laden Berliner und Besucher zum Wandern und Flanieren ein.
Dank der Navigationsgeräte können Autofahrer ohne Ortskenntnisse schnell von A nach B gelangen. Sie fahren keine Umwege und erreichen ihr Ziel in kürzester Zeit. Eines bleibt dabei auf der Strecke: die Stadt selbst.
Berlin hat sich auf den Weg gemacht dagegenzusteuern. Was die Senatsverwaltung unter „20 grüne Hauptwege“ 2008 markenrechtlich schützen ließ, hat ein Bürgerprojekt als Katalysator umgesetzt. Auf Initiative des Fußgängervereins FUSS e.V. gaben sich vor sechs Jahren 100 ehrenamtliche Flaneure im Rahmen des Projekts „Ein Plan für 20 grüne Hauptwege“ daran, ein Fußwegenetz über alle Berliner Bezirke zu erkunden und in Kartenskizzen einzutragen. Sie spazierten durch ihren Kiez, wanderten durch Parks und Wälder, umrundeten Kanäle und Seen und suchten die besten Wege für Fußgänger durch Häuserschluchten oder durchs Regierungsviertel. Sie beschrieben den Zustand der Wege und machten Vorschläge für die Umgehung von Lücken im Wegenetz.
„Es sind einfache Bürger für uns flaniert, aber auch Fachleute – alle ehrenamtlich, weil sie von der Idee begeistert waren, ein Fußwegenetz für Berlin zu schaffen“, sagt Eva Epple, die alle Skizzen und Aufzeichnungen in einer Karte zusammentrug. Ihr ehrenamtliches Engagement finanzierte die Lektorin und zweifache Mutter vorübergehend durch Lottomittel.
Heute können Bürger und Besucher Berlins die deutsche Hauptstadt auf 20 grünen Hauptwegen zu Fuß erobern. Sie finden schöne Wege von der Haustür oder vom Hotel ins Grüne oder zum Supermarkt, ruhige Wege für den Erholungsspaziergang oder fürs Gesundheitstraining und längere Routen für Wanderungen quer durch die Metropole und ins Umland, weitgehend abseits der großen Straßen.
Wanderkarten im Netz
Das Bürgerprojekt hat seine Kartierungen der Senatsverwaltung übergeben. Diese hat versprochen, daran weiterzuarbeiten, Wege zu markieren und fehlende Promenaden anzulegen. „Die 20 grünen Hauptwege haben Lücken, die angesichts der finanziellen Situation Berlins in nächster Zeit nicht geschlossen, sondern nur mit temporären Umwegen umgangen werden können“, heißt es allerdings zurzeit bei der Senatsverwaltung.
Entstanden sind dafür eine digitale Wanderkarte im Internet sowie einzelne gedruckte Karten, die zur Orientierung für Wanderer in den Berliner Wäldern hängen. Für einzelne beliebte Routen wie den Spreeweg oder das Grüne Band entlang der ehemaligen Berliner Mauer gibt der Senat kostenlose Informationsblätter heraus. Informationen über alle anderen Wege können sich Spaziergänger im Internet herunterladen. Eine Karte, die das gesamte Gebiet der grünen Hauptwege aus Fußgängersicht abbildet, ist auf Initiative des Berliner Piekart Verlages erschienen. Heute kann man einfach mit der S-Bahn ein Stück ins Grüne fahren oder direkt vom Hauptbahnhof aus losgehen.
Die Bürger von damals flanieren weiter. Ihr Netzwerk organisiert Spaziergänge und Führungen. „Zu Fuß gehen ist nicht unbedingt zielorientiert“, sagt Eva Epple, „die Menschen wollen beim Spazierengehen miteinander in Kontakt kommen, Kindern die Natur in der Stadt zeigen und täglich etwas Neues entdecken, das man vom Auto aus und sogar als Fahrradfahrerin nie gesehen hätte.“
Uta Linnert