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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 4/2010

Hin und weg

Seit Jahren blockiert das Bundeswirtschaftsministerium ein Gesetz für öffentliche Carsharing-Stellplätze. Dennoch kommt Bewegung in die Branche – von politischer und von Anbieterseite.

Foto: cambioCarsharing-Anbieter und auch Autovermieter würden profitieren, wenn sie Stationen auf öffentlichen Parkplätzen einrichten dürften.

Karl-Ernst Went ist seit 1990 Kunde bei einem Carsharing-Unternehmen. Im Nebenberuf ist der Bibliotheksangestellte Musiker und häufig mit seinem Instrument unterwegs, um Konzerte zu geben. „Ich suchte eine Möglichkeit, meine kleine Orgel zu vertretbaren Preisen zu befördern, und so bin ich aufs Carsharing gekommen“, berichtet Went. Er besitzt kein Auto und wohnt in zentraler Lage in Oldenburg, einer überschaubaren Stadt mit 160000 Einwohnern. Da die Stadt dem dortigen Carsharing-­Anbieter Cambio innenstadtnahe Stellplätze vermietet, muss Went nicht weit gehen, um ein Carsharing-Fahrzeug in Anspruch nehmen zu können.

Selbstverständlich ist das nicht. Zwar expandiert die Branche nach wie vor. Ker­stin Homrighausen, Geschäftsführerin der StadtTeilAuto Oldenburg Carsharing GmbH, die zu Cambio gehört, äußert sich zufrieden: „Auch in Zeiten der Wirtschaftskrise und der Abwrackprämie verzeichnen wir noch ein Wachstum von zehn bis 20 Prozent – sowohl beim Umsatz als auch im Hinblick auf die Kundenzahlen.“ Dennoch haben die Carsharing-Unternehmen mit einem Pferdefuß zu käm­p­­fen. Seit Jahren setzt sich der Bun­desverband CarSharing (bcs), dessen Mitglieder fast 90 Prozent der Kunden in Deutsch­land repräsentieren, vergebens für die sogenannte Parkraumprivilegierung ein.

Bundesrat, Grüne und SPD für Gesetz

Sie würde es den Carsharing-Anbietern erlauben, Stationen auf öffentlichen Parkplätzen einzurichten – auch in dicht bebauten Stadtquartieren, wo das Kundeninteresse am größten ist, die Anbieter auf privaten Flächen aber kaum Stellplätze anmieten können. Dabei ist die Koalition der Unterstützer groß: Die Forderung, Carsharing-Stationen so wie Taxistände einrichten zu können, wird unter anderem vom Bundesverkehrsministerium, vom Deutschen Städtetag, der an einer Verkehrsentlastung durch Carsharing interessiert ist, und vom VCD getragen. Eine bundesweit einheitliche Rechts­grundlage setzt aber eine Novellierung des Straßenverkehrsgesetzes und der Straßenverkehrsordnung voraus. Und hier kommt die Politik ins Spiel.

Das Bundesverkehrsministerium (BMVBS) hatte bereits im Frühjahr 2007 einen Gesetzentwurf veröffentlicht. Gegen den erhält jedoch das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) bis heute ein Veto aufrecht. So lange kann der Gesetzentwurf nicht ins Bundeskabinett eingebracht werden. Zwar sprachen sich sowohl der Bundesrat als auch die Grünen und die SPD in Anträgen für den Gesetzentwurf aus – an der Position des BMWi hat das jedoch nichts geändert. Das Wirtschaftsministerium begründet seinen Einspruch damit, dass auch die Autovermieter von einer solchen Regelung profitieren müssten. „Zum Gesetzentwurf des BMVBS hat das BMWi einen Änderungsvorschlag vorgelegt, der sicherstellen soll, dass alle Anbieter von Mietwagenleistungen und deren Geschäftsmodelle gleichbehandelt werden“, erklärte das Ministerium auf fairkehr-Anfrage. „Eine nicht kostendeckende Bereitstellung von Grundstücksflächen in Ballungsgebieten könnte aus Sicht des BMWi einen ungerechtfertigten und wettbewerbsverzerrenden Kostenvorteil für Carsharing darstellen.“

Foto: car2goHingehen, einsteigen, losfahren, abstellen: car2go bietet Miet­-autos für spontane Nutzer.

Auch Autovermieter profitieren

Willi Loose, Geschäftsführer des bcs, erklärt sich den anhaltenden Widerstand im Wirtschaftsministerium mit fehlendem Verständnis: Das Ministerium unterschätze den Stellenwert des Carsharings. Hinzu kommt, dass der Bundesverband der Autovermieter vor drei Jahren mit einer Klage drohte, falls es zu einer Parkraumprivilegierung für Carsharing-Organisationen kommen sollte. Dabei bieten mittlerweile viele Mitglieder des Verbandes ebenfalls Carsharing an. „Es gibt keinen sachlichen Grund mehr, gegen die Initiative zur Parkraumprivilegierung vorzugehen“, sagt Loose. „Autovermieter mit einem Carsharing-Angebot könnten davon ebenfalls profitieren.“

Loose stellt fest, dass der politische Widerstand allmählich schwinde. „Wir haben erst kürzlich ein intensives Gespräch mit den Verkehrsbeauftragten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion geführt. Viele der Abgeordneten finden die Gesetzesinitiative sinnvoll“, berichtet der bcs-Chef.

Derweil sorgt ein neuer Anbieter in der Branche für Bewegung. Mit dem Pilotversuch car2go setzt der Daimler-Konzern seit Herbst 2008 auf Carsharing. Das Ulmer Mobilitätsangebot wartet mit einigen Innovationen auf. So können Nutzer ihr Fahrzeug im Geschäftsgebiet nicht nur auf einem beliebigen car2go-Parkspot abstellen, sondern auch auf allen kostenlosen öffentlichen Parkplätzen. Das macht Einweg-Fahrten möglich. Wer einen der 200 Smarts nutzen möchte, lässt sich die Position des nächstgelegenen Fahrzeugs über die car2go-Seite im Internet anzeigen. Die Buchung erfolgt übers Mobiltelefon oder übers Internet, ist aber nicht erforderlich: Ebenso gut können Kunden die Smarts spontan auf der Straße mieten. Und sie müssen sich nicht im Vorhinein auf die Nutzungsdauer festlegen.

Damit erschließt dieses Konzept ei­nen größeren Kreis von Interessenten als die klassischen Carsharing-Unternehmen: Mehr als 15 Prozent der Ulmer Führerscheinbesitzer haben sich für das Angebot angemeldet. Für car2go Grund genug, nun die europäischen und nordamerikanischen Städte ab 500.000 Einwohner ins Auge zu fassen. Andreas Leo, Leiter der Unternehmenskommunikation, definiert car2go als Kurzzeitmietkonzept für ein bis zwei Personen in innerstädtischen Ballungsräumen: „Wir wollen nicht in Wettbewerb treten zu Autoverleihern oder zum klassischen Carsharing, das auch für längere Mietzeiten ausgelegt ist.“

Auch VCD-Vorstandsmitglied Werner Korn sieht in Daimlers Initiative keine unmittelbare Konkurrenz für den traditionellen Markt: „Car2go bietet ja nur einen Kleinwagen an, und beispielsweise Familien nützt der nichts. Deswegen sehe ich darin eher ein ergänzendes Angebot.“ Werner Korn bemängelt, dass die Daimler-Initiative bislang keine Bilanz ihrer Umweltwirkungen veröffentlicht hat. Von daher bleibt auch die Frage unbeantwortet, ob car2go seine Kunden dazu bringt, ihr Mobilitätsverhalten zu verändern und das eigene Auto seltener und sinnvoller zu nutzern.

Carsharing hat Zukunft

Bei aller kritischen Betrachtung gehen vom Ulmer Pilotversuch Impulse für die Mobilitätsdienstleister aus. So bietet „grü­nes auto Göttingen“ seinen Kunden als erstes Carsharing-Unternehmen an, die Autos ohne Reservierung an den Stationen abzuholen und beliebig lange zu nutzen. Und der im Rhein-Main-Gebiet vertretene Anbieter Book’n’drive hat in Darmstadt eine „Hin und weg“-Station eingerichtet. Hier können Carsharer die Fahrzeuge ohne Reservierung oder Buchung bis zu zwei Wochen lang ausleihen.

Trotz Blockade im Wirtschaftsministerium und trotz des Einstiegs der Automobilindustrie in die Branche sieht Werner Korn vom VCD Carsharing weiterhin als Zukunftsmarkt: „Ich sitze in Stuttgart, und der hiesige Anbieter wächst und wächst. Umfragen zufolge ist es gerade für jüngere Menschen immer weniger wichtig, ein eigenes Auto zu besitzen.“ Nach Angaben des bcs wuchs die Zahl der Carsharing-Kunden 2009 um mehr als 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Es waren außerdem fast 18 Prozent mehr Carsharing-Fahrzeuge auf deutschen Straßen unterwegs als noch 2008.

Michael Loot

Infos zum Carsharing gibt auch das Team der Kampagne „für mich. für dich. fürs klima“ unter der kostenlosen Telefonnummer 0800/2030900.

DB-Carsharing: Neue Dachmarke, neue E-Autos

Foto: DB AG/Hartmut ReicheDB-Carsharing-Kunden können seit neuestem Elektroautos mieten.

„Flinkster – mein Carsharing“: Unter diesem neuen Namen tritt der Kurzzeit-Autoverleih der Deutschen Bahn künftig auf. Damit fasst die DB ihre Carsharing-Systeme unter einer einheitlichen Marke zusammen, die Fahrzeuge bekommen bis Mitte 2011 ein neues Design.

Bislang bietet die DB unter zwei verschiedenen Marken Teilautos an: „DB Carsharing“-Kunden können europaweit in 580 Städten an mehr als 1900 Stationen, vor allem an Bahnhöfen, Pkw verschiedener Fahrzeugklassen zu unterschiedlichen Tarifen leihen, vom Smart über den 5er-BMW bis zum Mercedes Sprinter.

Das „Flinkster“-System, das jüngere Autofahrer ansprechen soll, existiert bisher als Pilotprojekt in Köln und Stuttgart. Für 1,50 Euro die Stunde plus Spritpauschale dürfen die „Flinkster“-Nutzer in Alfa Romeo MiTos Platz nehmen. Die Autos stehen in der Innenstadt verteilt auf Parkplätzen, die die DB von privat anmietet. Noch ist nach DB-Angaben nicht abschließend geklärt, in welcher Form die beiden Systeme zusammengeführt werden oder ob sich nur der Name ändert.

Die DB hat außerdem ihren Carsharing-Fuhrpark um die Elektroautos „e-Flinkster“ erweitert, die die Kunden online und telefonisch buchen können – bislang in Frankfurt, Berlin und Saarbrücken. Die DB-Ladesäulen ­stehen neben den Carsharing-Parkplätzen vor den Bahnhöfen und werden von der Bahntochter DB Energie mit regenerativem Strom versorgt. Bei der Online-Buchung sehen Kunden den Ladezustand des Autos. Sechs Stunden dauert es, bis die Batterien voll sind, die Reichweite gibt die DB mit 120 Kilometern an.

fairkehr 5/2023