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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 3/2010

Keine neuen Zuggesichter

Im Personenfernverkehr fährt die Deutsche Bahn hierzulande bislang weitgehend ohne Konkurrenz. Das wird nichts mit dem Wettbewerb im Fernverkehr, sagt eine Verkehrswissenschaftlerin.

Fotos: Marcus GlogerLogin ist ein Ausbildungsverbund von Schweizer Verkehrsunternehmen, der unter anderem Lokführer schult.

Niedrigere Preise und besserer Service als bei der Deutschen Bahn, dreimal täglich Züge vom Rheinland nach Norddeutschland und zurück: Eigentlich sollte der Hamburg-Köln-Express des Berliner Bahnunternehmens Locomore Rail Mitte August Fahrt aufnehmen und der DB im Personenfernverkehr Konkurrenz machen. Keolis, die deutsche Tochter der französischen Staatsbahn SNCF, wollte auf der gleichen Strecke und zu gleichen Tageszeiten ab Anfang 2011 Fernverkehrszüge fahren lassen. Aus beidem wird vorerst nichts. Keolis hätte bei der Trassenvergabe Vorrang gehabt, weil ihre Züge eine längere Strecke zurücklegen sollten. Locomore erhielt die gewünschten Verbindungen deshalb nicht. Doch auch die SNCF-Tochter blies Mitte April, nachdem sie die Trassenzusagen für den neuen Fahrplan ab Dezember 2010 erhalten hatte, den Angriff auf die DB im Fernverkehr ab. Das Verfahren der DB Netz AG, die – beaufsichtigt von der Bundesnetzagentur – das Schienennetz verwaltet, habe ihnen nicht genug Zeit gelassen, begründete eine SNCF-Sprecherin den Rückzug.

Damit sprach sie aus, was viele Bahnexperten seit langem kritisieren: Das im Eisenbahnrecht festgelegte Verfahren der Trassenvergabe macht es Konkurrenten der DB schwer, auf dem deutschen Fernverkehrsmarkt Fuß zu fassen. Rahmenverträge garantieren den Bahnunternehmen für mindestens fünf Jahre den Zugang zum Schienennetz auf bestimmten Strecken und zu bestimmten Zeiten und sorgen so für Planungssicherheit. Die brauchen die Unternehmen auch, immerhin müssen sie Millionen Euro in Loks und Waggons investieren. Doch sie sind an starre Bewerbungsfristen gebunden: Wenn sie die volle Laufzeit der Rahmenverträge ausnutzen wollen, können sie sich diese nur einmal alle paar Jahre sichern. Die Zuteilungsphase für Rahmenverträge ab 2011 ist Mitte April ausgelaufen – die nächste startet erst wieder in fünf Jahren.

Hinzu kommt: Wenn die Bahnunternehmen im April von DB Netz die Trassenzusage erhalten, haben sie lediglich acht Monate Zeit, bis sie zum Fahrplanwechsel im Dezember den Betrieb aufnehmen müssen. Schaffen sie das nicht, drohen Geldstrafen in Millionenhöhe.

Hohes Investitionsrisiko

Die kurze Frist ist nach Ansicht der Frankfurter Verkehrsberaterin Christiane Warnecke ein Grund dafür, dass Wettbewerb im Fernverkehr nicht funktionieren kann. „Die Bahnunternehmen müssen – erst recht, wenn sie neu auf dem Markt sind – sehr viel investieren“, erklärt die Diplom-Volkswirtin, die eine Doktorarbeit zum Thema schreibt und zuvor unter anderem für die DB im Bereich Angebotsplanung arbeitete. „Für den Kauf von neuen Fahrzeugen braucht man zudem eine Vorlaufzeit von vier oder fünf Jahren, gebrauchte Loks und Waggons sind kaum auf dem Markt.“ Die Zusage, dass sie auf den gewünschten Strecken zu den gewünschten Zeiten fahren können, bekommen die Unternehmen jedoch erst wenige Monate vor Betriebsaufnahme – ein hohes Investitionsrisiko.

Das Flaggschiff der Deutschen Bahn: Der ICE 3 erreicht auf der Rennstrecke ­zwischen Köln und Frankfurt am Main bis zu 300 Stunden­kilometer.

In ihrem Gutachten 2009 empfiehlt die Monopolkommission, ein Beratungsgremium der Bundesregierung in Wettbewerbsfragen, eine Vorlaufzeit von mindestens zwei Jahren, um „überhaupt zu einem nutzenstiftenden Zeitpunkt Rahmenverträge abschließen zu können und damit die Finanzierungsschwierigkeiten zu durchbrechen“. Die Bundesnetzagentur verpflichtete die DB Netz AG im März 2009 auf Wunsch mehrerer Konkurrenten, darunter Locomore, und unterstützt vom Bundesverkehrsministerium, die Frist zu verlängern. DB Netz legte vor Gericht Widerspruch ein und bekam vorerst recht. Das letzte Wort hat nun das Verwaltungsgericht Köln. Bei einer künftigen Novellierung des Eisenbahnrechts, heißt es aus dem Verkehrsministerium, werde zu prüfen sein, wie sich dieses Problem mit den Rahmenverträgen auch gesetzlich lösen lasse.

99 Prozent Marktanteil der DB

Obwohl Wettbewerb auf deutschen Fernverkehrsschienen seit der Bahnreform 1994 theoretisch möglich ist, findet er faktisch nicht statt. Der Marktanteil der DB im Fernverkehr liegt seit Jahren bei mehr als 99 Prozent. Auf inländischen Fernstrecken machen ausschließlich Bahnunternehmen der DB Konkurrenz, die bereits im Nahverkehr erfolgreich sind und über Züge sowie lukrative Strecken verfügen. So bietet das Unternehmen Veolia Verkehr unter der Marke InterConnex einzelne Verbindungen zwischen Leipzig, Berlin und Rostock an.

Im Nahverkehr funktioniert der Wettbewerb mittlerweile. Der Schienenverkehr in den Bundesländern wird mit Geldern vom Bund gefördert, den sogenannten Regionalisierungsmitteln. Die Länder bestellen die gewünschten Verbindungen für einen Zeitraum von mehreren Jahren. Bei der Bahnreform verzichtete der Gesetzgeber darauf, das im Fernverkehr ebenso zu regeln. Der Bund sollte nicht als Besteller einzelner Fernverkehrslinien auftreten. Man ging davon aus, dass sich Fernverkehr auch ohne öffentliche Förderung rentiert.

Wettbewerb im Schienenpersonenfernverkehr ist nicht profitabel, sagt dagegen Bahnexpertin Warnecke. „Die Kosten für ein Bahnangebot sind bei den Wettbewerbern ähnlich hoch wie bei der DB. Bei der Nachfrage haben sie jedoch ein paar grundlegende Nachteile, die sie nur zum Teil über den Preis ausgleichen können. Sie werden nur in Ausnahmefällen wirtschaftlich agieren können. In ganz wenigen europäischen Ländern ist das vorstellbar, in Deutschland nicht.“

Mehr Wettbewerb für neue Kundenschichten

Dieser Einschätzung widerspricht Jan Werner, Geschäftsführer des Berliner Beratungsunternehmens kcw und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des VCD. Seiner Einschätzung nach haben DB-Konkurrenten Chancen, wenn sie auf günstige Tickets setzen. „Es existiert in Deutschland eine Nachfrageschicht, die weniger Komfort und längere Reisezeiten in Kauf nähme, wenn die Preise attraktiver wären als bei der DB“, sagt Werner. Eine Bahnfahrt sei häufig teurer als ein Billigflug oder – vor allem wenn mehrere Personen zusammen reisen – als eine Autofahrt. „Mehr Wettbewerb würde neue Kundenschichten fürs Bahnfahren gewinnen und dadurch die Bahn insgesamt stärken“, betont der kcw-Geschäftsführer.

Darauf setzt auch Locomore. Da die SNCF auf ihre Trassen zwischen Köln und Hamburg verzichtete, hat das Unternehmen die Verbindungen erneut bei DB Netz beantragt. Ab April 2011 sollen umgebaute gebrauchte Züge der österreichischen Bahn die Strecke in vier Stunden und sechs Minuten zurücklegen – die DB braucht ähnlich lang. Preislich will Locomore den Fernverkehrsmonopolisten im Durchschnitt unterbieten – ein DB-Ticket kostet zurzeit zwischen 29 und 80 Euro.

Der Staat ist gefragt

Für den VCD ist entscheidend, dass die Fahrgäste von mehr Wettbewerb im Fernverkehr profitieren, vor allem auch durch bessere Verbindungen. Dafür zu sorgen, sei Aufgabe des Staates, so VCD-Bundesvorsitzender Michael Gehrmann. „Wettbewerb führt nicht automatisch zu mehr Bahnverkehr in Gebieten, die heute unterversorgt sind. Vielmehr besteht die Gefahr, dass die DB-Konkurrenten sich ausschließlich lukrative Strecken herauspicken, auf denen ohnehin schon viele Züge fahren“, sagt Gehrmann. „Der Staat muss festlegen, welchen Fernverkehr er will und wie die Wettbewerber eingebunden werden.“ So könnte der Bund beispielsweise bestimmen, dass ein Unternehmen, das sich eine „Rosinenstrecke“ herauspickt, auch eine wirtschaftlich weniger attraktive „Zitronenstrecke“ befahren muss. „Oder der Staat verlangt auf gewinnbringenden Strecken von den Unternehmen eine Gebühr und bietet mit dem Geld anderen Wettbewerbern einen Anreiz, weniger attraktive Verbindungen zu übernehmen“, schlägt der VCD-Vorsitzende vor. Verantwortlich wäre eine neu zu gründende Bundesbehörde, eine „Bundesmobilitätsagentur“.

„Wenn der Staat im Fernverkehr mehr Wettbewerb haben möchte, muss er ihn lenken“, bestätigt Winfried Hermann, grüner Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag. „Wettbewerb geht nicht von heute auf morgen.“ In der Tat: Da erst in fünf Jahren neue Rahmenverträge vergeben werden, können Kunden frühestens 2016 mit Konkurrenz im Fernverkehr rechnen.

Kirsten Lange

fairkehr 5/2023