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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 3/2010

VCD Bahntest 2010

Neben vielen realen Nöten kämpfen die deutschen Betreiber im Schienennah- und -fernverkehr mit ihrem Image. Der VCD Bahntest 2010 hat ermittelt, was potenzielle Fahrgäste am Einsteigen hindert.

Foto: Marcus GlogerEinsteigen bitte: Einige Schweizer Intercity-Neigezüge lächeln ihre Fahrgäste mit freundlichen Triebwagen an.

Das Angebot im deutschen Schienenverkehr ist schlecht. Aber noch schlechter ist sein Ruf. So könnte man kurz und knapp das Ergebnis des diesjährigen VCD Bahntests auf den Punkt bringen.

Seit 2002 testet der VCD jährlich die Qualität des öffentlichen Verkehrs in Deutschland. Wurden in der Vergangenheit oft „harte Fakten“ wie Sauberkeit, Beratungsqualität oder Kinderfreundlichkeit untersucht, steht seit vergangenem Jahr auch die Einstellung der Deutschen zu ihrem Lieblingshassobjekt Bahn auf dem Prüfstand.

Dabei stellten die Befrager des Hamburger Forschungsinstituts Quotas 2009 fest: Je seltener Menschen den Schienenverkehr nutzen, umso schlechter bewerten sie dessen Angebote. Am negativsten beurteilen diejenigen die Leistungen der Bahn, die sie überhaupt nicht nutzen. Der VCD wollte wissen, was Ursache und was Wirkung ist, und ließ in diesem Jahr untersuchen, wo Nutzer und Nichtnutzer die größten tatsächlichen oder befürchteten Zugangshemmnisse zum Bahnsystem sehen.

Das Ergebnis des VCD Bahntests 2010 ist ernüchternd. Drei Hürden gilt es für potenzielle Fahrgäste zu überwinden, bevor aus dem Nicht-Bahnfahrer ein Bahnfahrer werden kann: die Hürde „Information“, die Hürde „Tarif“ und die Hürde „Fahrscheinkauf“. Wer an einem dieser drei Hindernisse ins Straucheln kommt, ist für die Bahn als Kunde verloren. Was der VCD Bahntest außerdem zeigt: Auch erfahrene Bahnreisende leiden unter der Komplexität des Systems und unter den vielen Zugangshemmnissen. Umso mehr wundert es, dass die Bahnbetreiber in Deutschland nicht mehr dafür tun, den Einstieg in ihre Fahrzeuge auch im übertragenen Sinn so einfach wie möglich zu machen.

„Ich bin eigentlich der Meinung, dass ich Bahnfahren gut kann“, sagt Britta S. Sie besitzt kein Auto und nutzt die Bahn häufig beruflich und privat. „Das geht gut, solange ich das buche, was ich immer buche“, sagt die Volkswirtin aus Bonn. „Sobald ich aber mal etwas anderes möchte – in einer Gruppe reisen oder das Rad mit in den Urlaub nehmen –, scheitere ich mit meinen gewohnten Strategien.“

1. Hürde: Information

Zu viele Informationen sind nötig, um zu entscheiden, wo die Bahn hinfährt, welche Verbindung zu welchem Ziel die beste ist, was das Ticket maximal kosten darf und wo es am einfachsten zu kaufen ist. Unerfahrene Bahnkunden geben oft auf, bevor sie überhaupt am Bahnhof sind. Doch selbst, wenn sie es bis dorthin schaffen, ist das noch keine Garantie für Erfolg. „Ich hatte meine Familie überredet, die Bahn statt des Autos für einen Ausflug zu nehmen“, berichtet Konrad G. aus Halle in Westfalen. Ein Motiv für den Familienvater war, dass seine beiden acht und zehn Jahre alten Kinder laut DB-Information kostenlos mit den Eltern reisen. „Am Bahnhof stellte ich mich am DB-Schalter an, um ein Ticket zu kaufen. Dort sagte man mir, dass das eine Verbindung innerhalb des Verkehrsverbunds sei, für die andere Bestimmungen gelten. Kinder müssen im Verbund schon ab sechs Jahren zahlen“, berichtet der Physiotherapeut. „Ich fühlte mich übers Ohr gehauen. Der Preis stimmte so für mich nicht mehr.“ Wenn er das schon beim ersten Versuch erlebe, nehme er der Einfachkeit halber in Zukunft wieder das Auto.

Einmal und nie wieder – ein Urteil, das man oft von Bahnneulingen hört, die den Schienenverkehr getestet haben. „Einfach und unternehmensneutral“ müssen Bahntickets sein, fordert daher der VCD. „Egal ob Verbund-, Fern- oder Nahverkehr: Es muss eine einheitliche Preisgestaltung geben, die auch ohne Tarif- und Ortskenntnisse funktioniert“, betont VCD-Bahnreferentin Heidi Tischmann. „Wer kennt sich schon mit Verbundsgrenzen aus oder weiß, ob Kinder bis sechs oder bis 14 Jahre mit ihren Eltern kostenlos fahren dürfen?“

Quelle: VCD Bahntest · Grafik: fairkehr/Marc VennerKein System überzeugt: Vor allem Menschen, die die Bahn bisher nicht oder nicht mehr nutzen, sind mit den Vertriebswegen der Bahn unzufrieden.

2. Hürde: Preise und Tarife

Wer mit der Bahn in verschiedenen Städten oder Regionen in Deutschland unterwegs ist, merkt schnell, dass es keine gemeinsame Logik hinter den zahlreichen regionalen Tarifsystemen gibt. In jedem Verbund gelten eigene Regeln, die durch zahllose Ergänzungen für die Übergangsbereiche zwischen den Verbünden noch unverständlicher werden. Wer im Verkehrsverbund Rhein-Sieg ein Job-
Ticket besitzt, das für das gesamte Tarifgebiet gilt, muss für das nach Rheinland-Pfalz hineinreichende Erweiterungsgebiet einen Fahrschein kaufen. Aber welchen? Unter www.bahn.de findet sich eine Fahrplan-, aber keine Preisauskunft. Für die Verbindung von Hamburg nach Lübeck gibt das DB-Portal zwar den ICE-Preis an. Bei der Verbindung im Regionalverkehr heißt es dann wieder: „Keine Preisauskunft möglich.“

Dass Kundinnen und Kunden sich bei so viel Intransparenz genervt abwenden, zeigen die Befragungen im Rahmen des VCD Bahntests. Bei weitem die schlechteste Beurteilung aller Bahnleistungen erhalten die Tarifsysteme. Die Nutzer des Schienennah- und -fernverkehrs bewerten die unterschiedlichen Tarifsysteme gleichermaßen schlecht mit einer Vier minus, auf einer Schulnotenskala von sehr gut bis ungenügend. Den Nichtnutzern scheint das Tarifsystem im Nahverkehr – Durchschnittsnote 5,24 – noch verwirrender als im Fernverkehr, wo es aber auch eine glatte Fünf bekommt.

Deutlicher kann die Kritik an der Preisgestaltung der Bahnbetreiber kaum ausfallen. „Alle Züge ein Tarif“, fordert der VCD daher schon seit Jahren. Der „Deutschland-Tarif“, den der VCD erarbeitet hat, sieht einen Grundpreis vor, der für alle Züge gilt. Wer ein Bahnticket hat, ist also auf jeden Fall auf der sicheren Seite und kann in jeden Zug einsteigen. Wählt er statt Nahverkehr spontan Intercity oder ICE, fallen zwar entsprechende Aufschläge an. Die können aber im Zug ohne zusätzliche Gebühren zugekauft werden.

3. Hürde: Fahrscheinkauf

Doch auch eine neue Tarifordnung hilft nicht über die letzte Hürde: den Kauf eines realen Fahrscheins. Ob Automat, Internet, Telefonhotline oder Schalter – keines der von der Bahn angebotenen Verkaufssysteme erntet echte Begeisterung bei den Reisenden. Auf die Frage nach der Zufriedenheit mit den unterschiedlichen Vertriebssystemen zeigten sich die Bahnnutzer mit allen Verkaufssystemen nur mäßig zufrieden. Sowohl der Verkauf am Bahnschalter als auch Automat und Internet bekamen im Schnitt eine Drei.

Noch schlechter beurteilen die Nichtnutzer den Fahrscheinverkauf. Mit 3,3 schneidet der Schalter bei ihnen noch am besten ab, gefolgt vom Internet mit 3,6 und dem Automaten mit 3,8.

Auf die Frage, wie schwierig das Bedienen der Fahrkartenautomaten sei, ga­ben selbst geübte Automatennutzer den Fahrscheinautomaten auf einer Skala von eins (sehr einfach) bis fünf (sehr schwer) nur eine Drei. Die Nichtnutzer beurteilten die Bedienbarkeit des Automaten mit einem Durchschnittswert von 4,7 als sehr schwer. „Kein Wunder!“, kommentiert Bahnexpertin Tischmann.

„Eine so miserable Kundenbewertung weist darauf hin, dass die Verkehrsunternehmen die Wünsche ihrer Kunden ignorieren und die Chance, neue Kunden zu gewinnen, komplett auslassen“, bemängelt auch VCD-Bundesvorsitzender Michael Gehrmann. Eine schnelle und einfache Lösung für den Fahrkartenverkauf wäre der Ticketverkauf im Zug. Mehr Personal im Zug, das für Information und Ticketverkauf zuständig ist, könnte laut Gehrmann ein guter Anfang sein: „Wenn die Bahn tatsächlich ein zukunftweisendes Verkehrsmittel sein und einen Beitrag zur Umweltentlastung leisten möchte, muss sie ihre Fahrgastzahlen erhöhen. Das geht aber nur, wenn sie diese Hindernisse und Negativeinschätzungen ausräumen kann.“

Der VCD Bahntest zeigt auch in diesem Jahr wieder, wie wichtig Veränderungen im System Bahn wären.

Regine Gwinner

fairkehr 5/2023