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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 3/2010

Mehr Bahn für Deutschland

Der Börsengang der Bahn liegt auf Eis. Die Bundesregierung sollte die Zeit nutzen, um fest­zulegen, wie der Schienenverkehr der Zukunft aussehen soll. Der VCD fordert mehr Wettbewerb und einen Takt für ganz Deutschland.

Fotos: Marcus GlogerFür die aktuelle fairkehr-Titelstrecke hat sich unser Fotograf aufs Gleis begeben und Gesichter internationaler Züge porträtiert. Den Auftakt macht der railjet, der Hochgeschwindigkeitszug der Österreichischen Bundesbahnen.

In einem Punkt ist sich der VCD-Bundesvorsitzende mit dem Bahnchef und dem Bundesverkehrsminister einig: Es ist gut, dass die DB AG im Oktober 2008 nicht an die Börse gegangen ist. Der geplante Börsengang sah vor, unter dem Dach einer DB-Holding, deren Eigentümer der Bund bleiben sollte, 24,9 Prozent der Aktiengesellschaft DB Mobility Logistic AG (DB ML) an private Investoren zu verkaufen. Zu DB ML gehören der Personenverkehr, der Güterverkehr und die Logistik. Die Infrastruktur, also die Bahnhöfe und das Schienennetz, sollte im Eigentum des Bundes bleiben. Diese Pläne sind auf unbestimmte Zeit verschoben.

Der Börsengang, den sein Vorgänger Hartmut Mehdorn mit allen Mitteln durchsetzen wollte, wäre zu dem Zeitpunkt fatal gewesen, glaubt Bahnchef Rüdiger Grube heute. „Das steht auf absehbare Zeit nicht auf der Tagesordnung“, sagte Grube im Interview mit der Wirtschaftswoche Ende April. Erstes Ziel sei es, Geld zu verdienen, um kapitalmarktfähig zu werden. „Über einen Börsengang reden wir erst dann“, sagte der Bahnchef. Auch für Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer ist die Privatisierung angesichts der Situation an den ­Finanzmärkten erstmal vom Tisch. In ih­rem Koalitionsvertrag hat die schwarz-gelbe Regierung aber vereinbart, an der Teilprivatisierung der Bahn festzuhalten. „Zugunsten fragwürdiger Renditen hätte der Bund volkswirtschaftliches Vermögen verschleudert und die Qualität des Schienenverkehrs in Deutschland weiter gefährdet“, sagt der VCD-Vorsitzende Michael Gehrmann. Wie es weitergehen soll mit der DB AG und ihrer Privatisierung, darüber herrscht keine Einigkeit.

Gemeinwohl ernst nehmen

Die Deutsche Bahn hat sich zum Ziel gesetzt, das weltweit führende Mobilitäts- und Logistikunternehmen zu werden. Dafür will Bahnchef Grube den integrierten Konzern. Das heißt: Verkehr und Infrastruktur sollen in einer Hand unter der Regie der DB AG bleiben. „Wir gestalten und betreiben die Verkehrsnetzwerke der Zukunft“, formuliert es der Bahnkonzern in seinem Strategiepapier. Dabei steht der Schienenverkehr in Deutschland bei der DB AG längst nicht mehr im Vordergrund. Es geht eben auch um Verbindungen auf der Straße, in Deutschland und Europa sowie um Luft- und Seefracht weltweit.

Bundesverkehrsminister Ramsauer möchte, dass die Infrastruktur beim Bund bleibt, und plant außerdem, eine Verschiebung von Gewinnen aus diesem Sektor, in den er jährlich mehr als 3,5 Milliarden  Euro pumpt, zu unterbinden. Die Bundesregierung unterhält das Schienennetz, baut Neubaustrecken und Bahnhöfe, ohne dass sie ernsthaft Einfluss darauf hat, wie viele Züge auf den Strecken fahren und wohin das Geld, das lukrative Strecken und der Nahverkehr einbringen, investiert wird. Ob die Verbindungen weiter ausgedünnt werden, ob die Fahrgäste profitieren oder Kaianlagen in Shanghai gebaut werden, entscheidet der DB-Konzern – allein nach unternehmerischen Gesichtspunkten. Bahnchef Grube streitet in der Wirtschaftswoche Quersubventionierungen heftig ab und sagt: „Jeder Cent aus Steuergeldern fließt in die Infrastruktur hier im Lande.“ Letztlich kann man einem privaten Unternehmen nicht wirklich zum Vorwurf machen, dass es dort investiert, wo es glaubt, Gewinne machen zu können, auch wenn es nicht der Heimatmarkt ist. Ob damit aber das im Grundgesetz § 87e festgeschriebene Wohl der All­ge­mein­heit bei den Ver­kehrs­an­ge­bo­ten auf dem Schie­nen­netz erfüllt wird, ist fraglich.

Der französische Hochgeschwindigkeitszug TGV steuert ebenfalls regelmäßig den Kopfbahnhof in Zürich an. Er ist auch in Frankfurt, München und Stuttgart zu sehen.

Wettbewerb zulassen

Dass der Börsengang auf unbestimmte Zeit verschoben wurde, ist ein großes Glück“, sagt VCD-Bundesvorsitzender Michael Gehrmann. „Jetzt hat der Bund die Chance festzulegen, welchen Schienenverkehr er in Zukunft will und wie er seiner Gemeinwohlverantwortung nachkommen will.“ Bisher habe die Bundesregierung es versäumt, einen Masterplan für die Bahn in Deutschland aufzustellen. Die Mindestanforderungen an den Fernverkehr müssten formuliert werden, fordert der VCD, das sei festgeschriebene Aufgabe des Bundes. „Um Innovationen für einen besseren Bahnverkehr anzuschieben, brauchen wir aber auch den Wettbewerb auf der Schiene“, sagt Gehrmann. Der VCD tritt für eine  Trennung von Infrastruktur und Transport bei der Bahn ein – so, wie es das Holdingmodell zum Bahnbörsengang vorgesehen hatte. Dann hätten Schienenverkehrsunternehmen als Wett­bewerber der DB eine echte Chance, mit guten Angeboten Strecken zu übernehmen – zum Vorteil der Bahnkundinnen und -kunden. Diesen Wettbewerb versuche der Quasimonopolist DB zu behindern, wo es nur gehe.

Zur Aufsicht über die Teilung der DB AG in Netz und Betrieb möchte der VCD eine neue Organisa­tionsebene einziehen. „Wir schlagen vor, dass eine Bundesmobilitätsagentur den Wettbewerb managt, die Organisation der Infrastruktur überwacht, Takte und Preisstandards festlegt und kontrolliert, den Vertrieb überwacht, sowie Umwelt- und Sozialstandards sichert“, sagt Gehrmann. Voraussetzung dafür sei, dass die Zugangebote der verschiedenen Anbieter im Nah- und Fernverkehr vorausschauend koordiniert würden.

Deutschland-Takt einführen

Ein wichtiger Bestandteil eines zukunftsfähigen Bahnverkehrs ist der Deutschland-Takt. Ziel ist, das Zugangebot durch einen integralen Taktfahrplan bundesweit so zu verknüpfen, dass häufigere und schnellere Verbindungen mit optimalen Umsteigemöglichkeiten entstehen. Vom ICE über die Regionalbahn bis hin zum Bus sollen verlässliche Reiseketten entstehen. Ebenso wichtig ist, dass Planung und Ausbau des Schienennetzes entsprechend angepasst werden.

Privatisiert werden könnten nach Meinung des VCD alle DB-Gesellschaften und -Logistiksparten, die nicht mit der Aufgabe des Bundes konkurrieren, Schienenverkehr in Deutschland für alle zu sichern. Die Beteiligung privaten Kapitals könne neue finanzielle Handlungsspielräume schaffen. Die Erlöse sollten aber vor allem in Projekte in Deutschland investiert werden. „Der Bahnbörsengang muss kein Schreckgespenst sein“, sagt VCD-Bundesvorsitzender Gehrmann. „Aber das Schienennetz, die Bahnhöfe oder auch ein unternehmensunabhängiger Vertrieb müssen in öffentlicher Hand bleiben, damit die festgeschriebene Gemeinwohlaufgabe gesichert werden kann.“

Uta Linnert

fairkehr 5/2023