fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

Obere Wilhelmstraße 32 | 53225 Bonn | Telefon (0228) 9 85 85-85 | www.fairkehr-magazin.de

Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 3/2010

Am liebsten großer Bahnhof

Die Deutsche Bahn investiert Milliarden in Großprojekte und lässt das Schienennetz verkommen. Das ist auch deshalb ärgerlich, weil es sich um Geld der Steuerzahler handelt.

Fotos: Marcus GlogerEin Eurocity der italienischen Staatsbahn. Trenitalia lässt internationale Züge nach West- und Osteuropa rollen.

Die Berliner Zeitung wird es später den „Schrankenwärterkrieg“ nennen. Ein Sonnabend, auf der Strecke zwischen Coesfeld und Dorsten. Vor jedem der acht Bahnübergänge hält der Lokführer der privaten Nordwestbahn an, steigt aus, schließt die Schranke, steigt wieder ein und fährt weiter. Immerhin werden die Schranken automatisch geöffnet, sobald der Zug den Übergang passiert hat. Die Schrankenhäuschen sind jedoch verwaist: Die Deutsche Bahn AG hat die Wärter entlang der Strecke kurzerhand abgezogen, weil sie die Kollegen dringend an einer anderen Linie brauchte – an einer, auf die die DB ihre eigenen Züge schickt.

Das war im Mai 2007, und seitdem ist einiges passiert. Die Bahn darf so willkürlich nicht mehr über das Netz herrschen und Wettbewerber derart kleinhalten. Bahnchef ist auch nicht mehr der widerspenstige Hartmut Mehdorn, sondern der diplomatische Rüdiger Grube. Aber eins ist geblieben: Das Unternehmen Bahn, das zu hundert Prozent dem Bund gehört, steht unter Druck – heute mehr denn je. Mit dem Gütertransport lässt sich derzeit nicht gut verdienen, weil die Stahl-, Chemie- und Automobilindustrie von der Krise erwischt wurden. Die beste Einnahmequelle, der von den Ländern bezahlte Regionalverkehr, wirft auch nicht mehr so viel ab wie früher. So machte die Bahn im vergangenen Jahr nur noch ein Plus von 830 Millionen Euro. Ein Jahr zuvor waren es 1,3 Milliarden. Und noch immer muss die Bahn AG 15 Milliarden Euro Altschulden abbauen. Der Börsengang fällt als Geldquelle aus.

Zeitalter der sympathischen Bahn

Rüdiger Grube will aber in das Zeitalter der, wie er sagt, „sympathischen Bahn“ eintreten. Das schafft er nur, wenn er Bahnhöfe renoviert, überfälligen Lärmschutz an Waggons und Strecken voranbringt, das Netz ausbaut. Dafür braucht er Milliarden. In der Mehdorn-Ära hat die Bahn massiv gespart. Das rächt sich jetzt.
Da fehlte es nicht nur an Wärtern, sondern auch an Wartung. Gebrochene Achsen. Gerissene Räder. Ramponierte Bremsen. Bahnchef Grube muss seine Züge nun reihenweise in die Werkstatt schicken. Allein den Schaden aus den ICE-Achsproblemen, der sich über Jahre ziehen wird, beziffert er auf satte 250 Millionen Euro. Züge fielen aus, kamen zu spät. In Chemnitz und Gera, in Heilbronn und Krefeld, in großen Städten halten mittlerweile nur noch Regionalzüge. Andernorts verkommen die Bahnhöfe. Ein Drittel aller Bahnhöfe ist sogar ganz dicht. Sträucher überwuchern Gleise.

Weniger weite Wege legt diese Lok der Schweizerischen Bundesbahnen zurück.

Zahlreiche Mängel im Netz

Bereits 2007 rügte der Bundesrechnungs­hof die Bahn wegen der „zahlreichen Män­gel im Netz“, die nicht nur zu Langsamfahrstellen geführt, sondern auch „die Sicherheit gefährdet“ hätten. Die Prüfer hatten nachgerechnet. Ihr Ergebnis: Der Konzern hat allein zwischen 2001 und 2005 fast 1,5 Milliarden Euro Staatsgeld zurückgehalten, das vor allem zum Flicken von Gleisen auf dem Land gedacht war.
Der Vorstand einer Aktiengesellschaft hat vor allem eins im Sinn: Rendite steigern. So haben sich die Bahnmanager manche Strecken auch ganz gespart. Seit Beginn der Bahnprivatisierung 1994 wurden 20 Prozent der Gleise und 70 Prozent aller Anschlüsse stillgelegt, angeblich wegen mangelnder Nachfrage. Ganz so stimmt das allerdings nicht. In Schleswig-Holstein hat die AKN Eisenbahn AG die Strecke Neumünster–Bad Oldesloe übernommen. Sie leistete sich moderne Züge und eine neue Signaltechnik. Im Nu verbuchte sie 30 Prozent mehr Fahrgäste.

Die Provinz ist nicht die Sache der Bahn AG. 65 Milliarden Euro hat sie in den vergangenen 15 Jahren für neue Schienen ausgegeben. Knapp 90 Prozent davon kamen dem Fernverkehr zugute. Dabei macht der nur zehn Prozent des gesamten Schienenverkehrs aus. Die Baustellen können für die Bahn gar nicht groß genug sein. Prominentes Beispiel: Stuttgart 21, eines der größten Bauprojekte Europas. Die Bahnplaner veranschlagten für den Bau des unterirdischen Durchgangsbahnhofs zunächst drei Milliarden Euro, dann vier. Die Kritiker des Projektes, die lieber den bisherigen Kopfbahnhof für erheblich weniger Geld modernisiert sähen, halten acht für realistisch. Der neue Bahnhof soll weniger Gleise haben als der alte und könnte zum Nadelöhr werden.

Schönrechnen mit System

Anderer Fall: Bund und Bahn ließen sich die ICE-Neubaustrecke zwischen Frankfurt und Köln gut sechs Milliarden Euro kosten, wollten Tempo 300. „Im Schnitt kommt er eher auf Tempo 140“, sagt Heidi Tischmann, Bahnexpertin des VCD. Für manchen Bahngast dauere die Reise sogar extra lang, weil die Anschlüsse nicht funktionierten. „Es passiert, dass der ICE in den Bahnhof einfährt, wenn die Regionalbahn abfährt“, stellt Tischmann fest.

Die Prestigeprojekte bleiben hinter den Versprechen zurück, nur die Preise übersteigen die Prognosen. Die Frankfurter Rundschau nannte das vor kurzem „Schönrechnen mit System“. Sie berief sich auf eine Studie des dänischen Wissenschaftlers Bent Flyvbjerg. Demnach überschreiten neun von zehn Verkehrsvorhaben den Kostenrahmen, Bahnprojekte im Schnitt um 45 Prozent. Und das mit Absicht: Der Baustart wird umso wahrscheinlicher, je niedriger die veranschlagten Kosten sind. So verschwinden Milliarden – aus der Staatskasse.

Schienen auf der Streichliste

Die DB AG überlässt die Finanzierung weitgehend dem Bund. Der zahlt im Jahr allerdings auch nur 1,2 Milliarden Euro. Dabei sind im Bedarfsplan zum Bundesverkehrswegeplan 1,8 Milliarden veranschlagt. Bahnexpertin Tischmann hält fünf Milliarden für nötig. Für Containerzüge müss­ten beispielsweise dringend Nebenstrecken gebaut werden. Zu oft teilen sie sich die Gleise mit ICE oder IC.
Der Etat des CSU-Verkehrsministers Peter Ramsauer wird jedoch eher zusammengestrichen als aufgestockt, obwohl er das Kabinett warnte. Denn längst ist von Bahnchef Grubes Streichliste die Rede. Der hat 46 geplante Bauprojekte ausgemacht, die wegen einer Finanzierungslücke „zur Disposition“ stehen.

Darunter sind politische Prestigeprojekte wie die umstrittene Y-Trasse, die Bremen und Hamburg mit Hannover verbinden und vorgeblich dem zügigeren Abtransport von Containern aus den Seehäfen dienen soll. Anwohner und Umweltschützer halten wenig von dem Milliardenprojekt: Es ließen sich vorhandene Strecken billiger ertüchtigen. Die Bahnstrategen haben jedoch auch unstrittig nötige Vorhaben gelistet – etwa den viergleisigen Aus- und Neubau der Rheintalstrecke Karlsruhe–Basel. Sie ist für den Güterverkehr immens wichtig.

Vertrautes Gesicht: ein DB-Intercity im Hauptbahnhof Frankfurt.

„Grube setzt die Politiker unter Druck“, sagt der verkehrspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion Toni Hofreiter. Dabei sei weniger die Geldmenge entscheidend, sondern wie die Euros ausgegeben werden. Siehe: Stuttgart 21. Siehe: Deutsche Bahn AG im Ausland. Sie organisiert die Luftfracht in den USA, sie plant Wüsteneisenbahnen in Katar, sie will den britischen Konkurrenten Arriva übernehmen – für satte drei Milliarden Euro. Es ist der größte Kauf in der Geschichte des Unternehmens. Rüdiger Grube sagt: „Manche tolle Braut kommt im Leben nur einmal vorbei – da muss man zugreifen.“ Michael Gehrmann, Bundesvorsitzender des VCD, fordert indes, die Braut ziehen zu lassen. Grube will das Geschäft komplett über Kredite finanzieren, wenn er das Bieterverfahren gewinnt. Die Entscheidung soll im August fallen. Der Bahnchef nimmt in Kauf, dass die Bahnschulden auf 18 Milliarden Euro steigen.

Wo Grube seine Gewinne einfährt? Aus dem maroden, aber hoch subventionierten , noch 34000 Kilometer langen Schienennetz. Die DB Netz AG führt jedes Jahr mehrere hundert Millionen Euro an die Bahnholding ab. Die Bahntochter Netz AG erhält nicht nur jährlich 1,2 Milliarden für neue Schienen vom Bund, sondern auch 2,5 Milliarden für den Austausch von Gleisen oder Weichen.

Auffällige Aufschläge

Als Verwalter der Bahninfrastruktur hat die DB AG Einfluss darauf, wer auf der Strecke fährt, im Bahnhof einläuft, den besten Service bekommt und welche Gebühren die DB dafür kassiert. Die machen bis zu 50 Prozent der Kosten im Zugverkehr aus. Allerdings dürften die Einnahmen empfindlich schrumpfen. Die Bundesnetzagentur hat das Preissystem für die Nutzung von Bahnhöfen im Dezember für ungültig erklärt. Im März befand sie zudem die Trassengebühren als „sachlich nicht nachvollziehbar“ und verlangte eine Änderung. Der Grund: Auf schwach befahrenen Strecken kassiert die Bahn einen Aufschlag. So kostet ein gefahrener Zugkilometer im Mittelsachsennetz, wo nur Tempo 100 möglich ist, 7,56 Euro, der Zugkilometer auf der ICE-Strecke Mannheim– Basel nur 7,08 Euro. Die Bahn argumentiert, nur so würden die hohen Kosten der Strecken auf dem Lande gedeckt. Und freilich muss auch die Nahverkehrstochter der Deutschen Bahn, DB Regio, diese Gebühren zahlen. Aber die Bundesnetzagentur fand auffällig, dass die Aufschläge vor allem dort erhoben werden, wo private Konkurrenz unterwegs ist.

Als Regierung und Opposition die hoch defizitäre Staatsbahn 1994 um stolze 34 Milliarden Euro entschuldeten und in eine Aktiengesellschaft umwandelten, war die Idee: Mehr Passagiere und Güter kommen auf die Bahn. Der Staatshaushalt wird entlastet. Ein fairer Wettbewerb startet. Resümee von Michael Gehrmann gut zehn Jahre später: „Die Politik muss sich entscheiden: Will sie weiterhin zuschauen und dafür bezahlen, dass eine privatwirtschaftlich agierende DB zum globalen Player wird? Oder stellt sie die Weichen für ein zukunftsfähiges Bahnsystem zum Nutzen von Kunden, Steuerzahlern und Umwelt.“

Hanna Gersmann

fairkehr 5/2023